„Das ist mein Auftrag“

1857

In ihrem ersten Spielfilm Spanien erzählt Anja Salomonowitz über das Schicksal von vier Menschen und ihren Sehnsüchten. Alexia Weiss bat die Regisseurin für wina zum Interview. 

wina: „Spanien“ hat eben das Filmfestival Diagonale eröffnet. Bisher haben Sie Dokumentarstreifen gedreht. Was war die Motivation, etwas Fiktives zu erzählen?

Anja Salomonowitz: Ich mache eigentlich diesen Unterschied zwischen Dokumentar- und Spielfilm in meiner Arbeit nicht. In meinen Dokumentarfilmen wissen wir vorher, was die Menschen sagen werden, das Setting ist klar, die Ausstattung. Und anders herum war es so, dass ich beim Spielfilm eben wollte, dass die Schauspieler das Umfeld, in dem sie sich bewegen, sehr gut kennen. Lukas Miko zum Beispiel, der den Krankfahrer spielt, hat einen Krankfahrerkurs machen müssen. Grégoire Colin hat schnitzen gelernt und seine Sätze in Deutsch, Cornelius Obonya hatte die Möglichkeit, bei der Fremdenpolizei zu recherchieren. Ich denke, dass die Schauspieler eine Figur nur dann spielen können, wenn sie das Umfeld gut kennen. Und weil es auch mein erster Spielfilm war, wollte ich auf Nummer sicher gehen und wissen, dass das eine Wahrhaftigkeit hat.

wina: Der nächste Film, wieder eine Dokumentation, ist schon abgedreht und Sie sitzen derzeit im Schneideraum. In „Die 727 Tage ohne Karamo“ geht es um Ehen zwischen Österreichern und Drittstaatsangehörigen. Dieses Thema kommt auch in „Spanien“ vor. Muss man als politisch denkender Künstler solche Fragestellungen bearbeiten?

AS: Die 727 Tage ohne Karamo ist der Film, für den ich schon vor Spanien recherchiert habe. Dieser Film hat eine sehr traurige Geschichte, denn es hat sehr lange gebraucht, ihn zu finanzieren – weil es eben ein politischer Film ist. Einmal angenommen, einmal abgelehnt. So ging das über viele Jahre. Ich hatte immer so viel Geld, dass ich weiterarbeiten konnte, aber nicht anfangen zu filmen. Deshalb habe ich diesen Film drei Mal durchgecastet, und erst beim letzten Mal ist er aufgegangen. Die Menschen, die ich da gecastet habe, sind immer binationale Paare. Eine österreichische Frau und ein Afrikaner zum Beispiel. Oder wir hatten einen österreichischen Studenten und sie ist aus Georgien.

wina: Sie haben das Drehbuch für „Spanien“ gemeinsam mit Dimitré Dinev geschrieben, der aus Bulgarien nach Österreich geflüchtet ist. War sein Migrationshintergrund wichtig für das Erzählen der Geschichte?

AS: Ja, absolut. Mir gefallen die Geschichten von Dimitré so gut wegen der Vermischung von Alltäglichem und Metaphysischem. Zum Beispiel, was in einem seiner Bücher vorkommt, wenn man die abgeschnittene Vorhaut nach einer Beschneidung einpflanzt und daran glaubt, dass das Glück bringt und dem Kind hilft oder daraus eine schöne Pflanze werden wird, was ich ja auch als Geschichte kenne. Das ist einfach schön. Dinge, die Menschen machen, die eine Mischung zwischen Himmel und Erde sind, die irgendwo ganz nah an etwas Göttliches herankommen.

wina: Wie hat die Entwicklung der Geschichte von „Spanien“ dann konkret funktioniert?

AS: Ich habe schon für Die 727 Tage ohne Karamo recherchiert und dabei mit so vielen Menschen gesprochen, die mit der Fremdenpolizei zu tun hatten. Ich wollte aus dem Dreieck eine Geschichte machen, wie ein Fremdenpolizist Kraft seines Amtes die neue Liebe seiner Exfrau zerstören kann, also eine Eifersuchtsgeschichte mit einem realpolitischen Hintergrund bauen. In dem Moment, wo Dimitré dazu kam, ist das Ganze total aufgebrochen und etwas anderes geworden. Von Dimitré ist sehr viel Autobiografisches dazugekommen. Zum Beispiel hat er erzählt, dass man nur die Kleidung mitnehmen kann, die man anhat. Und dann schleichst du eben im Sonntagsanzug über die Grenze. Deshalb ist die Figur des Sava, wenn sie aus dem Auto steigt, auch so schön angezogen. Das habe ich da eingebaut.

wina: Ist man mit einer jüdischen Familiengeschichte sensibler für gewisse Themen?

AS: Ja, ich glaube, dass mein jüdischer Hintergund ein ganz wichtiges Element dafür ist, dass ich für unterdrückte Menschen kämpfen will. Ich wurde ja so erzogen und geprägt. Ich war im Hashomer Hatzair und in der Volksschule in der jüdischen Schule. Ich bin also in einem komplett jüdischen Kosmos aufgewachsen und das ist mein Background. Und ich finde, das ist mein Auftrag, der mir mitgegeben wird. Gegen diese Ungerechtigkeiten, die einen so sprachlos und wütend zurücklassen, zu kämpfen. Eben nicht sprachlos zu bleiben.

This is custom heading element

wina: In „Spanien“ spielt auch einer Ihrer beiden Söhne mit. Wie war die Arbeit mit ihm am Set?

AS: Wir haben ein langes Kindercasting gemacht, und bei den Zwei- bis Dreijährigen ist es ja so, wenn sie gerade schlecht gelaunt sind, kann man sie zu nichts überreden. Irgendwann kam dann die Idee, mein eigenes Kind zu nehmen. Er war sechs Tage am Set und das war wunderschön. Und er war auch ein super Darsteller. Wir haben die Frühstücksszene sieben Mal gedreht – und er hat jedes Mal mitgespielt und brav dasselbe gesagt. Er ist offensichtlich gewohnt, dass Erwachsene sich wiederholen.

wina: Binden Sie Ihre Kinder öfter in Ihre Arbeit ein?

AS: Ja, letzte Woche habe ich sie zum Beispiel ins Tonstudio mitgenommen. Insgesamt braucht es aber sehr viel Disziplin, um Arbeit und Kinder zu verbinden.

wina: Wie gelingt Ihnen das?

AS: Ich genieße die Zeit mit den Kindern. Im Gegenteil ist es so, dass mich die Kinder auch vor einem Burnout bewahren. Weil du ja Spielplatzpflichten am Nachmittag hast. Und sie geben einem so viel Freude und sagen so lustige Dinge die ganze Zeit. Aber es ist natürlich wahnsinnig anstrengend, und es gibt Momente, wo man abends in der Küche sitzt und sich fragt, wann ist der Tag jetzt aus? Und in meinem Beruf ist es ja auch so, dass es Spitzen gibt, wo ich drehe, dann habe ich aber auch wieder sehr viel Zeit für die Kinder.

wina: Beeinflussen im Gegenzug Ihre Kinder Ihre Filme?

AS: Ich bereite gerade einen Dokumentarfilm vor zum Thema junge Familien – Spiel mit mir. Ich möchte junge Familien porträtieren und mir anschauen, wie es in der Praxis aussieht mit der Aufteilung der Betreuung zwischen Müttern und Vätern. Es geht also auch um eine Aussage über den Zustand der Kindererziehung. Da suche ich gerade Menschen, die im Film vorkommen werden.

wina: Ist es Ihnen auch wichtig, Ihren Kindern eine jüdische Identität mitzugeben?

AS: Ich will ihnen ganz klar eine jüdische Identität mitgeben. Sie gehen in eine Religionsgruppe der WIZO einmal in der Woche und das macht ihnen sehr viel Spaß. Ich finde, dass Religion, und vor allem die jüdische, eine schöne und liebevolle Heimat ist.

wina: Wird das Judentum auch wieder einmal in einem Ihrer Filme eine Rolle spielen?

AS: Ja, ich arbeite auch schon am nächsten Spielfilm, Die einarmige Banditin. Es geht um eine Frau mit nur einem Arm und der Film wird in einem jüdischen Umfeld spielen.

This is custom heading element

Zur Person

Anja Salomonowitz, geboren 1976 in Wien, studierte an der Filmakademie Wien Regie und Schnitt. Ihr Dokumentarfilmdebüt „Das wirst du nie verstehen“ über die Geschichte ihrer Familie in der NS-Zeit wurde mehrfach ausgezeichnet. In „Kurz davor ist es passiert“ setzt sie sich mit dem Thema Frauenhandel auseinander. „Spanien“ ist ihr erster Spielfilm. Derzeit in Arbeit ist die Dokumentation „Die 727 Tage ohne Karamo“, die sich mit binationalen Ehen befasst.

www.anjasalomonowitz.com

Spanien

In ihrem Spielfilmdebüt „Spanien“ verquickt Anja Salomonowitz die Schicksale eines Fremdenpolizisten (gespielt von Cornelius Obonya), dessen Ehe in die Brüche gegangen ist, seiner Exfrau (Tatjana Alexander), die eine neue Liebe gefunden hat, eines Flüchtlings (Grégoire Colin), der von seinen Schleppern im Stich gelassen wird, und eines Kranfahrers (Lukas Miko), der mit seiner Spielsucht die Existenz seiner Familie gefährdet. Das Drehbuch hat Salomonowitz gemeinsam mit dem Schriftsteller Dimitré Dinev verfasst. „Spanien“ ist Ende März in den heimischen Kinos angelaufen.

www.spanien-derfilm.at

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here