„Die Hamas wird wieder aufrüsten“

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Der Nahost-Experte Ehud Ya’ari sieht gute Chancen für die Waffenruhe in Gaza. Mit Marta S. Halpert sprach er über den Iran, US-Präsident Obama und den voraussichtlichen Wahlsieg Netanjahus im Januar 2013.

wina: Wird die Waffenruhe zwischen Israel und dem Gazastreifen halten? Kann diese zur Basis für weiterführende Friedensverhandlungen werden?
Ehud Ya’ari: Ich sehe für eine anhaltende Waffenruhe sehr gute Chancen. Die Hamas hat schon eine religiöse Richtlinie (Fatwa) herausgegeben, worin sie die Leute davor warnt, die Ruhe zu verletzen und „sich vom Teufel treiben zu lassen“. Sie hat große Verluste hinnehmen müssen und wird von Ägypten unter Druck gesetzt, die Waffenruhe zu respektieren. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Hamas an irgendwelchen Friedensgesprächen interessiert ist, denn ihre Vertreter sagen weiterhin, dass Israel zerstört werden muss. Das nächste Ziel der Hamas ist es wiederaufzurüsten und auf Präsident Abbas Druck auszuüben, damit er Wahlen abhält, die Hamas zu gewinnen hofft.

„... sie mögen sich nicht und vertrauen einander auch nicht. Aber sie werden zusammenarbeiten.“

wina: Premierminister Benjamin Netanjahu hat die Wahlen zur Knesset auf Januar 2013 vorverlegt. Er beschuldigt seine Koalitionspartner, nicht fähig zu sein, ein „verantwortliches Budget mit schweren Einschnitten“ auf den Weg zu bringen. Ist das der wahre Grund für die vorgezogene Wahl?

EY: Netanjahu spekuliert damit, dass er sich leichter tut, wenn er im Januar wählen lässt, weil er sowohl schmerzliche Budgetkürzungen als auch Steuererhöhungen durchführen muss. Er ist sich auch des Niedergangs der Kadima-Partei bewusst und weiß, dass Ehud Olmert nicht in den Wahlkampf einsteigen kann, solange sein Korruptionsprozess läuft.

wina: Bei seinem jüngsten Auftritt vor der UN-Generalversammlung kündigte Netanjahu den Frühling als kritischen Zeitpunkt an, um zu verhindern, dass der Iran die Fähigkeit zum Bau einer Atombombe erreicht. Hat er damit das zentrale Wahlthema vorgegeben oder benützt er dieses Problem nur, um von den sozialen Protesten in Israel abzulenken?

EY: Ich glaube, dass jetzt die Hamas zum Hauptthema wird und der Iran nur die zweite Geige spielen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass Netanjahu das als Ablenkung verwendet, weil er die sozioökonomischen Fragen schon sehr ernst nimmt. Er ist ehrlich überzeugt, dass die Entwicklungen des iranischen Atomprogramms im Frühjahr gestoppt werden müssen. Wenn US-Präsident Obama zu keinem vernünftigen Abkommen mit Teheran kommt und sich auch gegen eine Angriff entscheidet, meint er, dass dann die israelische Luftwaffe das machen muss.

wina: Netanjahu und seine Likud-Partei sind derzeit sehr stark, während die Mitte in Israel eher gespalten ist. Auch die Chefin der Arbeiterpartei, Shelly Yacimovich, kommt in der Öffentlichkeit nicht gut an, weil man ihr mangelnde Erfahrung im Sicherheitsbereich vorwirft. Welche neue Konstellationen sehen Sie voraus?

EY: Vielleicht ist es noch zu früh, das zu behaupten, aber es kann sein, dass Kadima diesmal überhaupt nicht antritt. Zipi Livni hat sich mit ihrer Entscheidung zu lange Zeit gelassen, und Netanjahus Sieg ist sehr wahrscheinlich.

wina: Kann es zu einem Machtwechsel kommen?

EY: Es ist kaum eine Situation vorstellbar, in welcher der rechtslastige Block seine Mehrheit verlieren könnte.

wina: Wird Netanjahu an seinen „natürlichen Partnern“ am religiösen und rechten Flügel festhalten, oder wird er sich eine breitere Allianz suchen?

EY: Er wird sich um eine zentristischere Regierung mit Shelly Yacimovich von der Arbeiterpartei und Yair Lapid – beide sind Ex-Kollegen von mir beim Channel 2 TV – als Koalitionspartner bemühen. Ich glaube, er hat bereits eine Hintertüre zu beiden gefunden … Er will die Abhängigkeit von den orthodoxen Parteien wie auch Avigdor Lieberman reduzieren. Das würde auch das Gewicht in Richtung wirtschaftliche Reformen verschieben. Aber die Sicherheit bleibt ganz oben auf der Prioritätenliste.

wina: Die Friedensgespräche sind seit zwei Jahren praktisch eingefroren. Könnte in der zweiten Amtszeit von Präsident Obama Druck entstehen, die Gespräche mit den Palästinensern wieder aufzunehmen?

EY: Ich erwarte nicht, dass Obama hier echten Druck ausübt. Alle jene, die glauben, dass sich Obama für Netanjahus angebliche Unterstützung für Mitt Romney „rächen“ wird, werden enttäuscht werden.

wina: Kann die „schlechte Chemie“ in den Beziehungen zwischen Obama und Netanjahu je überwunden werden oder ist das hoffnungslos?

EY: Ja, es stimmt, sie mögen einander nicht und vertrauen einander auch nicht. Aber sie werden zusammenarbeiten. Schauen Sie sich einmal die Unterstützung Obamas für Netanjahu in Gaza an.

wina: Wie beurteilen Sie die Entwicklungen des „Arabischen Frühlings“, und welche Gefahren oder Chancen sehen Sie für Israel?

EY: Es ist immer sehr wichtig, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Wir haben jetzt fünf Hauptaufgaben zu bewältigen: 1. Wir müssen den 1979er-Friedensvertrag mit Ägypten erhalten und so weit als möglich mit dem Muslimbrüder-Präsidenten Mursi zusammenarbeiten, um den Terror im Sinai und den Waffenschmuggel nach Gaza zu unterbinden. 2. Wir müssen den Friedensvertrag mit Jordanien beschützen, ungeachtet der Unruhen, die auch dort zu erwarten sind. 3. Wir müssen vermeiden, dass der Bürgerkrieg in Syrien über die Golangrenzen schwappt. 4. Wir sollten der Palästinenserbehörde im Westjordanland ein großzügiges Angebot für eine gute Zwischenlösung anbieten, da ja beide Seiten augenscheinlich nicht fähig sind, zu einem definiten Abkommen zu gelangen. Und zuletzt sollten wir den Iran davon abhalten, zu nah an den Besitz von Atomwaffen zu gelangen.

Zur Person

Ehud Ya’ari ist als Nahost-Experte politischer Kommentator für das israelische Fernsehen (Channel 2 News). Er veröffentlichte acht Bücher über den arabisch-israelischen Konflikt, einige davon in Zusammenarbeit mit Ze’ev Schiff. Ya’ari ist Mitherausgeber von The Jerusalem Report und International Fellow des Washington Institute for Near East Policy. Er publiziert regelmäßig in der New York Times, im Wall Street Journal, der Washington Post und im Atlantic Monthly.

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