Anlässlich der Uraufführung seines Stückes Verklärte Nacht am stadtTheater walfischgasse sprach der berühmte israelische Dramatiker und Regisseur Joshua Sobol mit Marta S. Halpert über seine Verbindung zu Wien und seine Heimat Israel.
wina: Europäischen und Wiener Theaterbesuchern sind Sie vornehmlich dadurch bekannt, dass Sie gerne heikle Themen aus der Vergangenheit, und nicht nur jüdische, aufgreifen. Man kennt Ihre Stücke „Ghetto“, „Weiningers Nacht“, den „Fall Jägerstätter“ und natürlich die weltweit reisende „Alma“. Sie haben nun am Wiener stadtTheater walfischgasse ihr Stück „Verklärte Nacht“ zur Uraufführung gebracht. Darin lassen Sie ein Paar im Cyberspace verschwinden. Wie kam es zu dieser Idee?
Joshua Sobol: Seit meiner Studienzeit in Paris in den 1970er-Jahren hat mich das Thema fasziniert, da ich zusätzlich zum Fach Philosophie einen Kurs in Informatik belegte. Und obwohl damals Computer und auch das Wissen darüber noch in den Kinderschuhen steckten, war mir bewusst, dass die Software-Entwicklung unsere Gesellschaft nachhaltig verändern würde.
wina: Sie haben „Verklärte Nacht“ mit der großartigen Mercedes Echerer – im stadtTheater walfischgasse noch im Februar und März zu sehen – auch selbst inszeniert, aber bereits 1997 geschrieben. Waren Sie mit der Vision von einer virtuellen Welt, die uns unserer Identität, Individualität und auch persönlicher Sicherheiten beraubt, zu früh dran?
JS: Vielleicht, denn heute können sich schon viele Menschen in diese Situation hineindenken: Dass man statt nutzloser Zimmerwände sprechende Screens hat, die man auch steuern kann. Ich habe mir vorgestellt, dass ein Mann nach Hause kommt und sagt, ich möchte im Schwarzwald sein oder einen Tag mit Van Gogh verbringen – und beides erscheint sofort auf der Wand.
wina: Der starke Wien-Bezug ist in Ihren Werken nicht zu übersehen. Woher kommt diese Affinität?
JS: Es begann mit der Recherche zu meinem Stück Night of 20th/Laila 20, das 1976 in Haifa herauskam. Darin habe ich mich mit den Pionieren der Kibbuzbewegung beschäftigt, und sie kamen alle aus dem Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, aus Wien, Baden und Lemberg, zum Beispiel Siegfried Bernfeld, einer der bedeutendsten jüdischen Psychoanalytiker und Pädagogen. Er gehörte in Wien zum engen Kreis um Sigmund Freud, sein reformpädagogisches Werk gehört zu den psychoanalytischen Klassikern. Bernfeld wuchs in Wien auf und engagierte sich schon in den Jahren von 1914 bis 1921 in der zionistischen Jugendbewegung. Als ich die Tagebücher dieser Gruppe gelesen habe, bin ich darauf gestoßen, dass sie großteils Schüler von Sigmund Freud gewesen waren und die Theorien Otto Weiningers heftig diskutierten. Da sie alle für eine Gesellschaft kämpften, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sein sollten, war es für sie eine intellektuelle Herausforderdung, Weininger zu widerlegen, der ja die Ansicht vertrat, dass dies unmöglich sei.
wina: Sind Sie vielleicht so auf die Figur Weininger gestoßen?
JS: Ja, ich wurde sehr neugierig und wollte unbedingt sein Hauptwerk Geschlecht und Charakter lesen. Es war zwar ins Hebräische übersetzt, aber damals vergriffen. Ich habe dann in einem Antiquariat in Tel Aviv eine Originalausgabe gefunden und lernte Deutsch, um es lesen zu können.
wina: Das war keine leichte Einstiegslektüre für einen Anfänger?
JS: Das stimmt, aber insgesamt wurde ich bereichert, denn ich begann mich für das Fin de siècle und für Gustav Mahler zu interessieren. Als ich an Weiningers Nacht arbeitete, habe ich viel Musik von Mahler gehört. Ich wollte auch ein Stück über ihn schreiben.
wina: Und was ist passiert? Hat Alma den Gustav verdrängt?
JS: Ja, genau das ist mir passiert. Je mehr ich über Mahler, sein Leben und das Umfeld gelesen habe, umso mehr hat dann in meiner Phantasie Alma den Platz von Mahler eingenommen.
wina: Wie kam die enge Zusammenarbeit mit Paulus Manker zustande?
JS: Paulus Manker hat zuerst bei Peter Zadek am Hamburger Schauspielhaus den Otto Weininger gespielt, bevor er am Wiener Volkstheater 1988 selbst die Regie und die Hauptrolle übernahm. Zu dieser Zeit war ich in London und er hat mir interessante Dokumente aus dem Rathaus über Karl Lueger geschickt. Ein paar Jahre später schrieb ich für die Wiener Festwochen ein Auftragswerk: Der Vater; Untertitel: Eine blutige Komödie. Das Stück handelte von NS-Reichsminister Hans Frank, dem berüchtigten Generalgouverneur von Polen – auch als „Judenschlächter von Krakau“ bekannt – und basierte auf dem Buch seines Sohnes Niklas Frank. Paulus Manker hat Regie geführt, und die antisemitischen Zitate aus den Rathaus-Protokollen haben wir da eingebaut.