„Drei Generationen ordentlich ernährt“

2022

Robert „Bob“ Uri ist einer der letzten Pelzgroßhändler in Wien. Sein Geschäft steht als typisches Beispiel für zahlreiche jüdische Unternehmen im letzten Jahrhundert: Gründerzeit und Aufschwung, Vertreibung und Wiederkehr, Nachkriegsboom und Niedergang des Handwerks. Von Reinhard Engel 

Kommt zurück, hier boomt die Wirtschaft.“ Bob Uri hatte gerade in Los Angeles seine Bar Mitzwa gefeiert, da folgte seine Familie diesem Ruf und zog wieder nach Wien. Ziel war das großelterliche Geschäft in Ottakring, zwischen Gürtel und Brunnenmarkt. Die österreichische Wirtschaft begann gerade, sich in den 60er-Jahren vom Krieg zu erholen. Als eines der ersten Zeichen von Wohlstand konnten die Unternehmer, Handwerksmeister und höheren Angestellten ihren Frauen oder Freundinnen wieder Pelzmäntel kaufen. Die Firma Max Haber, benannt nach Uris Großvater, lieferte dazu die Ware.

Das Geschäft boomte

Bob maturierte in Wien und studierte einige Semester Medizin, doch bald wurde er im Geschäft gebraucht. Denn dieses brummte. Nicht nur Wiener, Salzburger und Grazer Kürschner verlangten nach feiner Ware, gleichzeitig lief der Fell-Export in die USA auf Hochtouren. Darüber hinaus war auch die Beschaffung der Rohware vergleichsweise aufwändig. Einerseits kauften die Pelzhändler von heimischen Jägern die Felle von Füchsen, Iltissen oder Mardern ein, sortierten sie und schickten sie an die Gerbereien weiter. Andererseits musste man bereits Zuchtpelze beschaffen – auf den internationalen Auktionen in Nordeuropa, Russland und in Amerika. „Wir haben in der Blütezeit der Firma in ganz Österreich etwa 500 Kunden beliefert: Kürschner, Schneider, Warenhäuser“, erinnert sich Uri. Es gab in Wien acht Pelz-Grossisten. „Damals konnte man wirklich verdienen und sich etwas auf die Seite legen.“

Das war auch notwendig, denn die guten Zeiten sollten nicht andauern. Ab Ende der 80er-Jahre kam die heimische Pelzbranche von mehreren Seiten unter Druck – und sollte sich davon nicht mehr erholen. Zuerst begannen die Kaufhäuser und Bekleidungsketten, billige Pelzmäntel anzubieten – aus griechischer und chinesischer Produktion. „Für einen Laien war es wirklich schwer, zwischen hoher und niedriger Qualität zu unterscheiden“, so Uri. „Gekauft haben die Kunden nach dem Preis.“ Der Pelz-Massenmarkt brachte dann die Tierschützer auf den Plan, plötzlich wurden nicht nur grausame Zuchtfarmen, sondern Luxuswaren an sich kritisiert. Auch der Pelzhandlung Haber verklebten Aktivisten mehrmals die Schlösser. Schließlich wurden noch die leichten Daunenjacken zur modischen Alternative zum Pelz.

Langfristig noch stärker wirkte sich der Niedergang des Handwerks aus. „Es sind zwar kaum Kürschner in Konkurs gegangen“, weiß Uri, „aber meist hat es keinen Nachfolger gegeben, dann hat der Betrieb zugesperrt“. Heute finden sich kaum noch Interessenten für den Lehrberuf. „Wir sind heute nur mehr einer von zwei Großhändlern in Österreich.“

Von der Bukowina nach Ottakring

Mit dem Geschäft begonnen hatte Bob Uris Urgroßvater mütterlicherseits: Samuel Linker. Er war aus der Bukowina nach Klagenfurt gezogen und hatte dort seine Fellgroßhandlung mit Jägerware aufgebaut. Uris Großvater Max Haber, einen Wiener, dessen Vorfahren aus Galizien stammten, hatte es in dieselbe Branche verschlagen, und er belieferte Linker in Kärnten mit Fellen. Schließlich heiratete er dessen Tochter und die beiden übersiedelten Anfang der 20er-Jahre ihre Firma nach Wien.

Diese sollte – erst im 20. Bezirk und dann bald am heutigen Standort in Ottakring – recht erfolgreich werden. „Es war vor allem der Export in die USA“, erzählt Uri. „Die Fellbranche war dort jüdisch, in Manhattan zwischen der 30. und 32. Straße.“ 1938 trieb dann ein Wiener Kürschner, Kunde bei Max Haber, den Unternehmer aus dem Haus und arisierte das Geschäft. Haber kam nach Dachau, aber seiner Frau gelang es, ihn mit einem Visum nach Palästina frei zu bekommen, freilich gegen hohe Zahlungen an Reichsfluchtsteuer. Der Urgroßvater wurde in Buchenwald ermordet.

„Es sind kaum Kürschner in Konkurs gegangen, aber meist hat es keinen Nachfolger gegeben, dann hat der Betrieb zugesperrt.“ Bob Uri

„Für meine Familie passt das Lied Ich fühl mich nicht zuhause von Georg Kreisler ganz genau. Sie hatten zwar in Tel Aviv eine Imbissstube, aber sie waren Jeckes und konnten sich nicht an Israel gewöhnen.“ Bobs Vater Max Uri diente bis Kriegsende in der Jüdischen Brigade der britischen Armee. Schon 1947 kehrten alle nach Wien zurück, wo der Großvater das – leere – Geschäft wieder zurückbekommen hatte. Hier wurde 1949 Bob geboren. Später – die Eltern hatten sich mit den Großeltern überworfen – zog die Familie nach Kalifornien, aber wirklich glücklich waren sie auch dort nicht. Als der Ruf der Heimat kam, zögerten sie nicht lange und fuhren nach Wien.

Bob ist Vater dreier erwachsener Kinder und stolzer dreifacher Opa. Seine Frau Judith, eine Tochter des Anwalts und langjährigen IKG-Präsidenten Ivan Hacker, unterrichtet Englisch. Neben der Arbeit ist Uri in einer Reihe jüdischer Vereine aktiv – etwa bei Keren Hajessod, in der Basketball-Sektion des SC Hakoa oder als Tempelvorstand. „Für das Geschäft habe ich keinen Nachfolger. Ich werde es wohl zusperren, wenn ich in ein paar Jahren in Pension gehe.“ Aber er ist nicht wehmütig: „Es hat drei Generationen ordentlich ernährt. Die Zeiten ändern sich halt, man muss nach vorne schauen.“

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