„Ich wollte dem Jüdischen mehr Präsenz geben.“

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Die Münchner Buchhändlerin Rachel Salamander im Gespräch mit WINA über ihre Visionen für eine Vermittlung jüdischer Literatur. Interview: Manja Altenburg

WINA: Wie kamen Sie auf die Idee, die „Literaturhandlung“ zu eröffnen?

Rachel Salamander: Nach meinem Studium wusste ich, dass ich nicht an der Universität bleiben wollte. Da kam die Idee, eine auf Literatur zum Judentum spezialisierte Fachbuchhandlung zu gründen. Seit der „Arisierung“ des deutschen Buchhandels waren ja jüdische Buchhandlungen aus dem Straßenbild deutschsprachiger Städte verschwunden. Mein Konzept war so angelegt, dass um die Literatur herum Handlung entstehen sollte. Deswegen der programmatische Name „Literaturhandlung“. Neben einem Sortiment von über 40 Sachbereichen biete ich ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm. Viele Gespräche, Kongresse und namhafte Autoren haben die Literaturhandlung zu weit mehr werden lassen als eine Buchhandlung: zu einem Dreh- und Angelpunkt in der Auseinandersetzung mit jüdischen Themen. So hatte ich mir das vorgestellt. Bei den Veranstaltungen plante ich drei Themenschwerpunkte: Emigranten und Flüchtlinge aus Deutschland sollten eine Plattform finden. Es kamen u.  a. H. Jonas, H. Kissinger, L. Rabin und viele mehr. Zudem sollten auch die neuen jüdischen Stimmen, die sich wieder in deutscher Sprache artikulierten, zu Wort kommen. Davon gab es Anfang der 80er-Jahre wieder viele wie H. M. Broder, J. H. Schoeps, M. Wolffsohn, B. Honigmann usw. Drittens wollte ich die hervorragende israelische Literatur einem breiteren Publikum vorstellen. Es kamen A. Oz, D. Grossman, B. Gur, Z. Shalev, E. Keret, einfach alle.

WINA: In den letzten Jahrzehnten hat sich der Umgang mit jüdischen Themen im deutschsprachigen Raum entwickelt. Dazu haben auch Sie maßgeblich beigetragen und sind dafür ausgezeichnet worden. Wie bewerten Sie diese Entwicklung und was kennzeichnet diese?

RS: Als ich anfing, war das Thema Judentum noch nicht „in“. Ich wollte damals dem Jüdischen mehr öffentliche Präsenz geben. Jahrzehnte nach der Schoa wollte ich zumindest die geistige jüdische Welt rekonstruieren helfen, alles zusammentragen, was das Wort und die Schrift aufbewahrt hatten, all jene wieder einbürgern, die vertrieben und ermordet worden waren. Anfangs dachte ich, ich könnte die Regale nicht füllen. Aber allmählich hat sich der Markt dafür geöffnet. Nach anfänglicher Befangenheit dem Thema gegenüber ist es geradezu medial explodiert. Derzeit habe ich das Gefühl, dass das Thema wieder öffentlich absinkt.

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WINA: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des deutsch-jüdischen Verhältnisses?

RS: Dass nicht nur die jüdische Seite das Gedächtnis an die Schoa bewahrt. Sie sollte im gegenseitigen Gespräch bleiben. Die jüdische Geschichte kann ein Paradigma für ein zivilisiertes Zusammenleben unterschiedlicher Völker sein.

WINA: Welches Buch lesen Sie derzeit, und welche Neuerscheinung empfehlen Sie?

RS: Ich lese im neuen Buch von Jehoschua Kenaz, einem großen Romancier Israels. Die Nachmittagsvorstellung erzählt neun Geschichten über den israelischen Alltag. Immer lauert irgendetwas, was die Routine aussetzt und den Menschen zwingt, sich aus Eingefahrenem zu lösen. Mir gefällt Kenaz Umgang mit Sprache, seine feine Ironie und dass er viel von der alten jüdischen Welt in sich trägt. Großartig!

Zur Person

Dr. Rachel Salamander, geboren 1949 in Deggendorf. Die promovierte Mediävistin und Herausgeberin der Literaturbeilage von Die Welt eröffnete 1982 die Literaturhandlung in München, eine auf jüdische Literatur und Literatur zum Judentum spezialisierte Buchhandlung.

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