Zwei Freunde aus Wien – Ein Rabbiner und ein Imam touren durch Konfliktzonen

3842

Der Rabbiner Schlomo Hofmeister und der Imam Ramazan Demir bewiesen mit ihrer gemeinsamen Reise durch Israel, dass ein Dialog möglich ist und Lösungen in greifbarer Nähe sind. Von Ben Segenreich  

Der quirlige israelische Soldat, der an diesem Morgen am Fuß der steinernen Stiege zum Grab der Patriarchen die Ankömmlinge kurz ausfragte, war äthiopischer Herkunft. Vielleicht kannte er sich deswegen mit den Outfits der verschiedenen religiösen Würdenträger, die einem in der Region über den Weg laufen können, nicht so gut aus. Das selbstbewusste, ruhige Auftreten der beiden offensichtlich respektablen Besucher muss ihn irgendwie überrumpelt haben, und nachträglich stellte sich heraus, dass er geglaubt hatte, es mit zwei Rabbinern zu tun zu haben – denn der merkwürdige Weißgekleidete trug ja eine kreisrunde Kopfbedeckung, die durchaus als große Kippa eines nationalreligiösen Juden durchgehen konnte. Nur so ist es zu erklären, dass der Muslim mit seinem jüdischen Gefährten den Aufstieg nehmen konnte, der für die Juden vorgesehen ist. Erst unmittelbar vor dem Synagogeneingang wurde der Imam von anderen Soldaten, die ihren Augen nicht trauten, „ertappt“ und über eine Abkürzung zur muslimischen Abteilung umdirigiert. Das herodianische Bauwerk in Hebron ist eines der Symbole für den israelisch-palästinensischen Konflikt mit seiner Verflechtung von territorialen, nationalen und religiösen Motiven. Weil der Stammvater Abraham hier begraben sein soll, ist die Stätte sowohl Juden als auch Muslimen heilig. Also ist man hier immer wieder übereinander hergefallen. Und deshalb wurden streng getrennte Zugänge eingerichtet – kein Jude darf auf die muslimische Seite, und umgekehrt, egal, ob es sich um Einheimische oder Ausländer handelt.

„Ich bin ja mit meinem Freund Schlomo hier, und wir haben unseren Stammvater Abraham besucht, ich als Imam kann sagen, dass wir mit dem Judentum sehr viele Gemeinsamkeiten haben.“ Imam Ramazan Demir

Hebron war nicht der einzige Ort, wo der ungewöhnliche Paarlauf der beiden jungen Geistlichen aus Wien Verwirrung gestiftet hat. Schlomo Hofmeister ist Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde, Ramazan Demir ist Imam bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Außerdem sind sie befreundet – und gemeinsam sind sie im Dezember fünf Tage lang durch die Türkei, Israel und das Palästinensergebiet gefahren, um zu zeigen: Wir können miteinander. „Wir haben als Religionsgesellschaften, als jüdische Gemeinde und als muslimische Gemeinde in Europa in den letzten Jahren immer wieder Konflikte, die sich leider wie in den letzten Monaten immer wieder militant zeigen“, erläutert Hofmeister, der Initiator des Unternehmens. „Und wir haben gesagt, als ein Rabbiner aus Europa, aus Wien, als ein Imam, die sich gut verstehen, denn wir haben zusammen viele Projekte auch in Wien im interreligiösen Dialog: Warum können wir nicht hierherkommen, in die Länder des Konflikts, als Freunde, und auch danach Freunde bleiben, um ein Verständnis zu wecken dafür, dass dieser Konflikt, so tragisch er ist, so komplex er ist, eigentlich das Verhältnis zwischen Muslimen und Juden in der Welt nicht derart beeinflussen sollte?“

Die Komplexität war wirklich in jedem Augenblick zu fühlen. Von Jerusalem zum Morgengebet in Hebron fuhren sie in einem kugelsicheren Fahrzeug – darauf hatte Österreichs diplomatische Vertretung im Palästinensergebiet bestanden, denn die Straße durch das südliche Westjordanland ist nicht ganz ungefährlich. Und an der Pilgerstätte konnten die beiden einander dann eben nicht zur jeweiligen Andacht begleiten, was sie in ihrer positiven Denkweise aber nicht erschütterte. „Wir haben hier einen gemeinsamen Raum, der unterteilt ist in zwei Hälften, damit es nicht zu Konflikten kommt, was auch ein gutes Zeichen dafür ist, dass ein Miteinander, ein Nebeneinander möglich sein kann“, so Hofmeisters Interpretation. „Ich bin ja mit meinem Freund Schlomo hier, und wir haben unseren Stammvater Abraham besucht, und ich als Imam kann sagen, dass wir mit dem Judentum sehr viele Gemeinsamkeiten haben, auch wenn es einige gibt, die immer auf die Unterschiede so draufhacken“, sekundiert Demir. Kompliziert bis kurios war es manchmal auch in Jerusalem. An einem Punkt in der Altstadt konnte der Rabbiner nicht passieren – es war einer der für Muslime reservierten Zugänge zu den Moscheen auf dem Tempelberg, zu dem Hofmeister aus religiösen Gründen ohnehin nicht hinaufsteigen wollte. Der Imam seinerseits muss einen Text aus dem Koran aufsagen, um zu beweisen, dass er wirklich ein Muslim ist – erst dann lässt der misstrauische israelische Polizist ihn durch. Problemlos können beide hingegen zur Klagemauer, wo gleich ein junger Mann, der bald heiraten wird, spontan den Rabbiner um seinen Segen bittet. Hofmeister stellt auch seinen Gefährten, den Imam, vor, der Bräutigam schaut ziemlich verdattert. An einer anderen Stelle im jüdischen Viertel ist ein religiöser Jude dafür richtig begeistert: „Schau her“, ruft er seinem Freund zu, „ein Muslim, ein Imam!“

600.000 Muslime und einige Tausend Juden in Österreich

„Die Menschen, die uns gesehen haben, in Istanbul, in Jerusalem, waren wirklich irritiert“, aber in einem guten Sinn, berichtet Demir. „Sie haben gesagt: Ein Imam und ein Rabbiner gemeinsam, ja was machen sie denn da? Das waren diese Aha-Effekte, die wir ausgelöst haben.“ Einen „Dialog“ führten der 39-jährige Rabbiner und der 29-jährige Imam auf ihrer Reise nicht nur in einem phrasenhaften, sondern deutlich sichtbar in einem wörtlichen Sinn. Im gleichen hohen Tempo, in dem sie Schulter an Schulter durch die Gassen der Altstadt rauschten, redeten sie dabei auch ständig – sie haben einander offenbar immer etwas zu fragen und zu erklären. Demir ist sogar in die jüdische Siedlung Nokdim im Westjordanland mitgekommen. Hofmeister wollte ihm zeigen, dass es „nicht nur den stereotypen Siedler gibt, wie er in den Medien oft gebracht wird, der militant auf illegalem Grund lebt, sondern auch jene, die auf rechtmäßig erworbenem Grund ihre Häuser haben und dort leben in freundschaftlicher Kooperation mit ihren arabischen Nachbarn“.

Ist es nicht naiv zu glauben, dass so ein Besuch etwas in der Region verändern kann? „Es geht uns nicht darum, für Israel und Palästina Lösungsvorschläge zu unterbreiten“, sagt Hofmeister, es gehe vielmehr um ein Signal nach Österreich. Und Demir versichert, er sei wegen der Reise nicht angefeindet worden: „Als ich der Islamischen Glaubensgemeinschaft gesagt habe, dass ich mitmachen möchte,  kam die hundertprozentige Zustimmung. Wir haben 600.000 Muslime in Österreich und einige Tausend Juden, und ich will, dass wir die Probleme, die hier im Nahen Osten sind, nicht immer mit nach Österreich nehmen.“ ◗ 

segenr2Schlomo Hofmeister,
geb. 1975 in München, absolvierte das Rabinatsstudium und das Studium der Sozialwissenschaften in Deutschland, Israel und England. Seit 2008 ist er Gemeinderabbiner in Wien.

Ramazan Demir,
geb. 1986 in Ludwigshafen als Sohn türkischer Einwanderer, lebt seit 2006 in Wien, um an der Islamischen Akademie zu studieren, und arbeitet derzeit als Imam und Gefängnisseelsorger.

Bilder: © Florian Rainer

2 KOMMENTARE

  1. „…kein Jude darf auf die muslimische Seite, und umgekehrt…“
    An dem Tag, an dem dies nicht mehr gilt und wir als Juden und Muslime beide Seiten, ohne Furcht betreten dürfen, hat die Vernunft gewonnen.
    Shalom + Salaam

    Schweizer Gruss
    dr y h bajwa

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here