Rüstzeug fürs Leben‏

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Im Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum werden Mitglieder der Wiener jüdischen Gemeinde für die Anforderungen des Arbeitsmarktes fit gemacht. Im JBBZ können Jugendliche das neunte Schuljahr oder eine Lehrausbildung absolvieren. Auch Erwachsene können Deutschkenntnisse und Zusatzqualifikationen erwerben – in einem jüdischen Umfeld und unter auf die Bedürfnisse der Wirtschaftzugeschnittenen Rahmenbedingungen.

„Der Arbeitsmarkt braucht Arbeitnehmer, die über mehr als nur fachliche Kompetenz verfügen.“ Markus Meyer

Es ist Freitagmittag und ein Grüppchen Jugendlicher steht fröhlich plaudernd vor der Tür. Sie haben in der Adalbert-Stifter-Straße, wo das JBBZ seit 1998 zu finden ist, eine temporäre Heimat gefunden. Die Lehrer, Trainer, Betreuer des JBBZ bringen ihnen nicht nur all das bei, was sie fachlich für ihr künftiges Arbeitsleben benötigen. Hier erwerben sie auch soziale Kompetenzen, trainieren Körpersprache, lernen sich zu bewerben. „Nur mit fachlicher Kompetenz alleine bekommt man heute keinen Job“, ist JBBZ-Gründer Ilan Knapp überzeugt. Fachliche Kompetenz sei in unseren Breiten im Überfluss vorhanden – wer im Arbeitsleben reüssieren wolle, brauche auch entsprechende soziale Kompetenz. „Ich muss wissen, wie ich mein Wissen umsetze. Das ist der eigentliche Schlüssel zum Erfolg“, betont Knapp.

JBBZ-Gründer Ilan Knapp präsentiert Außenminister Sebastian Kurz seinen Ansatz für Erfolg:  „Best of class“ sein.
JBBZ-Gründer Ilan Knapp präsentiert Außenminister Sebastian Kurz seinen Ansatz für Erfolg: „Best of class“ sein.

„Best of class“ sein: Das vermitteln er und sein Team daher seit nunmehr 16 Jahren. Best of class: Das bedeutet, sich eben nicht einfach nur irgendwie durchzuwurschteln, sondern sein Bestes zu geben, in jeder Beziehung. Leistung sei gefragt, und das müsse jedem von Anfang an klar sein. Höflichkeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit: Diese Tugenden werden daher am JBBZ groß geschrieben. Was auf den ersten Blick nach Selbstverständlichkeit jeder guten Kinderstube aussieht, ist es auf den zweiten Blick nicht: Jede Kultur funktioniert nach anderen Regeln. Die Kunden, so werden die Schüler im JBBZ genannt, haben die unterschiedlichsten Herkunftsgeschichten. Genau aus diesem Grund wurde das JBBZ auch gegründet: als Integrationszentrum der Wiener jüdischen Gemeinde.

Berufliche Integration

In den 1970er- und 1980er-Jahren nutzten viele jüdische Sowjetbürger die Möglichkeit, über Wien nach Israel auszureisen. Nicht allen behagte es jedoch im Nahen Osten – sowohl Klima als auch die gänzlich andere Mentalität bewegten einige, ein zweites Mal auszuwandern. Der Weg in die alte Heimat in der Sowjetunion blieb versperrt. Wien aber schien attraktiv: Das Klima wurde besser vertragen, die hiesige Kultur wurde geschätzt. Dennoch war das Ankommen in Österreich nicht leicht: Die mangelnden Deutschkenntnisse erschwerten den Zugang zum Arbeitsmarkt, oft fehlten auch nötige berufliche Qualifikationen.

Das JBBZ hat hier etwas aufgebaut, was in der Wiener Stadtpolitik als Best-practice-Modell für gelungene Integration gehandelt wird. Jugendliche, die noch über keinen Pflichtschulabschluss verfügen, können sich im einjährigen Berufsorientierungslehrgang, dem neunten Schuljahr am JBBZ, auf diesen vorbereiten. Ausbildungen in den Bereichen Büromanagement, Informationstechnologie, Orthopädietechnik und Bankwesen führen zum Lehrabschluss, und falls gewünscht auch zur Berufsreifeprüfung, die ein universitäres Studium ermöglicht. Deutschkurse vom Level A1 bis zum Niveau C2 ermöglichen ein Erlernen und Perfektionieren der Sprache. Kürzere Ausbildungen schaffen ebenfalls Chancen am Arbeitsmarkt, wie etwa die Ausbildung zur Kindergarten- und Hortassistenz oder, neu am JBBZ, die Schulung zu Tageseltern.

Letztere wendet sich ganz explizit auch an Frauen mit orthodox-religiösem Hintergrund: Einerseits suchen fromme Familien nach solcher Betreuung, andererseits können die Tageseltern so auch problemlos selbst entsprechend des jüdischen Jahreskreislaufs leben. Frauen, vor allem Müttern, eine berufliche Weiterqualifizierung zu ermöglichen, hat sich das JBBZ-Team schon seit Längerem zum Ziel gesetzt. Daher werden viele Lehrausbildungen als Mütter-Intensiv-Training in einer Teilzeitvariante angeboten, welche die Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie ermöglicht. Um die tägliche Anwesenheitsdauer zu verkürzen, wurde hier die gesamte Laufzeit der Ausbildung entsprechend verlängert.

Insgesamt versucht man am JBBZ, das Ausbildungsangebot ständig sowohl den Bedürfnissen der Kunden als auch jenen des Arbeitsmarkts anzupassen, sagt Edgar Weiland, Leiter des Bereichs Berufsorientierung und Integration. Daher werden die Kunden auch vorrangig für eine Berufstätigkeit im Angestelltenverhältnis vorbereitet. Dennoch bleibe der unternehmerische Aspekt nicht unberücksichtigt. Finanziert wird das JBBZ zur Gänze durch die öffentliche Hand, erklärt Geschäftsführer Markus Meyer. Und das nicht nur zum Vorteil der im JBBZ Ausgebildeten: Die Rendite könne sich sehen lassen, zeigt sich Meyer stolz.

Eine Erfolgsgeschichte ist auch die Erfolgsquote: Je nach Berufssparte finden zwischen 85 und 91 Prozent der Absolventen schon während der Ausbildungszeit, spätestens aber innerhalb eines Jahres nach Abschluss einen Arbeitsplatz. Bei vielen geht es wesentlich rascher, freut sich Klaus Bruckner, Leiter des Bereichs Büromanagement. Das JBBZ kooperiere mit vielen Firmen, auch um den Kunden Praktika zur Verfügung stellen zu können. Für manchen oder manche wird daraus der künftige Arbeitsplatz. „Oft haben wir wirklich den Fall, dass eine Auszubildende zu uns kommt und sagt: ‚Wenn ich hier fertig bin, gibt es eine freie Stelle für mich, wo auf mich schon gewartet wird.‘ Das ist natürlich das Schönste für uns.“

Manchen Kunden muss das JBBZ dagegen stärker unter die Arme greifen, wenn sie sich um einen Arbeitsplatz bewerben. Die beste Bewerbung bleibe aber immer noch die, die man selbst und authentisch verfasst habe, betont Weiland. Und Meyer fügt hinzu: „Unsere Arbeit soll den Absolventen die beste berufliche Zukunft sichern, die möglich ist. Der Arbeitsmarkt braucht Arbeitnehmer, die über mehr als nur fachliche Kompetenz verfügen.“

Dem JBBZ gehe es daher auch nicht darum, Menschen am Arbeitsmarkt unterzubringen, sondern die Kunden bestmöglich zu qualifizieren. Das JBBZ agiere dabei wie ein Wirtschaftsunternehmen, betont Knapp. Wichtig ist ständiges Networking, meint Meyer, einerseits um die Finanzierung sicherzustellen, andererseits um Kontakt zu Kooperationspartnern aus der Wirtschaft zu halten. Eine persönliche Betreuung der JBBZ-Kunden wird immer groß geschrieben. Welche Sorgen die Auszubildenden auch plagen: Im JBBZ in der Adalbert-Stifter-Straße hat man ein offenes Ohr für sie.

Knapp ist überzeugt davon, dass ein Mensch sich nur dann für Neues öffnen und lernen könne, wenn er sich sicher fühlt. Dazu trägt am JBBZ das Einhalten der jüdischen Feiertage und die koschere Verpflegung bei, aber auch das Verständnis für die Schwierigkeiten bei Migration und Neuanfang in einem Land fern der Heimat. Nur so könnten sich Fenster und Türen öffnen – die schließlich in ein neues Leben führen. Wichtig ist für Knapp zu unterstreichen, dass der Weg in etwas Neues auch bedeutet, Traditionen zu pflegen. Beides lasse sich verbinden. Man müsse die geöffneten Türen nur auch selbst durchschreiten und die angebotenen Chancen ergreifen.

Das JBBZ will so vielen Gemeindemitgliedern wie möglich ein gutes berufliches Fortkommen ermöglichen. Aktuell besuchen über 330 Kunden eine Aus- oder Weiterbildung im JBBZ. Mehr als 5.000 Menschen haben sich bis heute bereits in der Adalbert-Stifter-Straße für das Arbeitsleben fit gemacht. Voraussetzung für die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen ist dabei immer der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, wie Weiland betont. Wer über keine Arbeitserlaubnis verfüge, könne daher vom JBBZ nicht betreut werden. Diese Kunden unterstützt das JBBZ aber bei den Behördenkontakten, damit sie nach Möglichkeit rasch die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, um in Österreich arbeiten zu können.

Als öffentliche Einrichtung des Arbeitsmarktservice Österreich ist die Aufnahme von JBBZ-Kunden nicht an die IKG-Mitgliedschaft gebunden. Daraus ergeben sich, wie Bruckner erzählt, auch durchaus schöne Momente der gelebten Integration: dann etwa, wenn der eine seine Manga-Sammlung herzeige und der andere vom eben zu Ende gegangenen Laubhüttenfest erzähle. Und Knapp fügt hinzu: „Wir im JBBZ bilden für den österreichischen und den EU-Arbeitsmarkt aus, und diese Arbeitsplätze sind eben vielfältig und interkulturell.“
jbbz.at

Bilder: © JBBZ

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