„Ich bin angekommen“

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Michael Schottenberg über sein Engagement für die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, seine Bilanz nach zehn Jahren Volkstheater – und seine jüdischen Wurzeln. Von Petra Paterno

WINA: Zehn Jahre Michael Schottenberg am Volkstheater: Was klappte in dieser Zeit – was ging schief?

Michael Schottenberg: Es ging all das auf, was wir uns vorgenommen hatten. Wir wollten ein Theater der Vielfalt, der sozialen Aufmerksamkeit, ein Theater, das sich einmischt. Sozialkritische Themen waren die Basis, dazwischen durfte es aber auch Das weiße Rössl, Sonny Boys oder Cabaret sein. Bekenntnistheater allein wäre zu langweilig gewesen. Auf die Mischung kommt es an. Der Spielplan war ein breiter Fächer: Stücke von der Antike bis zur Gegenwart, Konzerte, Kasperltheater. Es war für jeden etwas dabei. Mit einem Wort: Volkstheater.

„Eine Bühne wie das Volkstheater muss ein Ort des Bekennens, Bedenkens, Erinnerns sein. Nur wer sich die Vergangenheit vergegenwärtigt, kann in die Zukunft blicken.“

Das Volkstheater muss wegen des geringen Aboanteils das Gros seiner Erlöse an der Abendkasse umsetzen. Hatte diese Bandbreite auch mit dem Erfolgsdruck zu tun?

❙ Natürlich war das eine Riesenherausforderung. Das Positive daran: Geht ein Stück gut, verdienen wir mehr, weil wir Karten zum Vollpreis verkaufen können. Wir haben sehr viel neues Publikum dazugewonnen – vor allem junge Menschen und Studenten. In den vergangenen zehn Jahren hatten wir über zwei Millionen Zuschauer. Also mehr, als Wien Einwohner hat.

Von „Spiegelgrund“ über „Vor den Ruhestand“ bis zu „Arturo Ui“ und dem Auftragswerk „Dorothea Neff“ war die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eine Konstante Ihres Spielplans.

❙ Dieses Thema habe ich immer im Auge behalten, weil es mir auch persönlich ein Anliegen ist.

Wobei die 1986 verstorbene Dorothea Neff dem Haus als Ensemblemitglied besonders verbunden war.

❙ Sie war eine fantastische Schauspielerin und mutige Frau – sie versteckte ihre jüdische Freundin und wurde von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Sie ist ein Vorbild in jeder Hinsicht, daher lag es nahe, bei Felix Mitterer ein Stück über ihr Leben in Auftrag zu geben. Außerdem haben wir mit Andrea Eckert eine Schauspielerin, die bei Neff noch Schauspielunterricht genommen hatte. Um die Erinnerung an Neff lebendig zu halten, haben wir auch unseren Künstlerpreis nach ihr umbenannt. Der Karl-Skraup-Preis wurde zum Dorothea-Neff-Preis.

„Ich habe lange Zeit gebraucht, um den Weg zu finden – ich wusste ja nicht, dass ich ihn überhaupt suchen soll.“

Seit den 1990er-Jahren wird am Volkstheater auch alljährlich an die Pogrome der Kristallnacht gedacht. Zuletzt fand auch eine Gedenkveranstaltung zum Kriegsende vor 70 Jahren statt. Warum sind Ihnen solche Veranstaltungen wichtig?

20140209_PD8353❙ Eine Bühne wie das Volkstheater muss ein Ort des Bekennens, Bedenkens, Erinnerns sein. Nur wer sich die Vergangenheit vergegenwärtigt, kann in die Zukunft blicken. Es liegt in der Verantwortung meiner Generation, dieses Wissen und die Lebensgeschichten unserer Eltern und Großeltern an die nächste Generation weiterzugeben. Keine andere Wiener Bühne setzt sich so intensiv mit der NS-Zeit auseinander. Ich wollte, wir wären nicht die einzigen.

Während Ihrer Direktion entbrannte um das so genannte „Führerzimmer“ ein eigentümlicher Konflikt. 1938 wurde der Raum in vorauseilendem Gehorsam für einen Besuch Hitlers eingerichtet, um dem Diktator einen separaten Zugang zum Theater zu ermöglichen. Hitler hat das Zimmer aber nie betreten. Wann haben Sie zum ersten Mal davon erfahren?

❙ Nach meiner Ernennung zum Volkstheater-Direktor machte mich Paulus Manker auf die Existenz dieses architektonischen Unikums aufmerksam. Ich wusste davor überhaupt nichts davon. Was soll denn das? Weg damit! Das war meine erste Reaktion. Ich ließ die braune Vertäfelung abnehmen, dahinter tauchte zentimeterdicker Schimmel auf, deshalb roch es auch so muffig. Auf Druck des Denkmalamtes und des VT-Aufsichtsrates musste ich aber den Raum später auf eigene Kosten wiederherstellen. Das Argument war, dass es sich hier um ein „Mahnmal von öffentlichem Interesse“ handle. Die absurde Popularität dieses Unraumes habe ich dann zum Anlass genommen, oft auch in Zusammenarbeit mit der Kultusgemeinde, vielfältige Formate zu entwickeln: Symposien, Ausstellungen, Lesungen, Stückaufträge.

Veranstaltungshinweis:  Shalom!  Music Between Friends Volkstheater, 18. Juni, 20 Uhr Mit dem Wiener jüdischen Chor, Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, dem Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, u. a.
Veranstaltungshinweis:
Shalom! Music Between Friends
Volkstheater, 18. Juni, 20 Uhr
Mit dem Wiener jüdischen Chor, Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, dem Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, u. a.

Mitglieder Ihrer Familie wurden selbst Opfer während der NS-Zeit.

❙ Meine Großmutter und meine Tante wurden im November 1941 vom Aspang-Bahnhof aus nach Kowno, Litauen, transportiert und dort mit tausend anderen Juden an die Wand gestellt und erschossen. Ich wusste das lange Zeit nicht. Erst vor wenigen Jahren habe ich von meiner wahren Herkunft erfahren. Meine Mutter konnte damals mit Hilfe einer geänderten Identität überleben. Ich habe viel Verständnis für diese Entscheidung, ohne die es mich vielleicht gar nicht geben würde. Ich habe es immer gespürt – viele meiner Freunde sind Juden, und vor einigen Jahren bin ich in eine Wohnung in der Rotensterngasse umgezogen. Danach erfuhr ich, dass meine Großeltern auch in der Rotensterngasse gelebt hatten. Es fühlt sich an, als wäre ich endlich zu Hause angekommen. Ich habe lange Zeit gebraucht, um den Weg zu finden – ich wusste ja nicht, dass ich ihn überhaupt suchen soll.

Michael Schottenberg wurde 1952 in Wien geboren, studierte von 1971 bis 1974 Schauspiel am Mozarteum in Salzburg und arbeitet seit 1978 kontinuierlich als Regisseur. 1984 gründete er das Theater im Kopf und begeisterte mit seinen Inszenierungen im Theaterzelt vor der Wiener Votivkirche über 20.000 Zuschauer. Es folgten Inszenierungen an vielen Wiener Bühnen. 2005 übernahm er die künstlerische Leitung des Wiener Volkstheaters. Daneben ist er seit den 70er-Jahren in Film und Fernsehen als Schauspieler tätig. Michael Schottenberg war 35 Jahre lang mit der Schauspielerin Maria Bill verheiratet und hat einen Sohn.

Bilder: © M. Lipus / Volkstheater Wien ; © picturedesk.com/Christa Fuchs

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