Theater soll das Herz berühren!

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Mit ihren unkonventionellen Theaterprojekten eroberte die israelischösterreichische Regisseurin Yael Ronen in den letzten Jahren auch das  deutschsprachige Theater. Mit Lost and Found gibt sie nun ihr Regiedebüt in Wien. Premiere ist am 18. Dezember am Volkstheater. Über ihre  österreichischen Wurzeln, ihr aktuelles Projekt und ihre Auffassung von Theater sprach sie mit Christina Kaindl-Hönig.

WINA: Sie wurden 1976 in Jerusalem geboren und entstammen einer berühmten Theaterfamilie. Ihre Mutter, Rachel Hafler, ist Schauspielerin. Ihr Vater, Ilan Ronen, ist Regisseur und Intendant des Israelischen Nationaltheaters Habimah in Tel Aviv. Sie studierten Szenisches Schreiben am HB Studio in New York, ehe Sie Ihre Regieausbildung am Kibbutzim College of Education in Tel Aviv absolvierten. Entkommt man seiner familiären Prägung nicht?

Yael Ronen: Ich wollte schon als Kind zum Theater, das mir als magische Welt erschien. Ich glaube, ich wurde Regisseurin und nicht Schauspielerin, weil ich schon als kleines Mädchen gerne andere dirigierte. Vielleicht liegt das bis heute in meinem Charakter, denn ich könnte nicht mit einem anderen Regisseur arbeiten. Ich finde es reizvoller, die kreative Person hinter dem Ganzen zu sein, als nur einen Teil als Performerin zu erfüllen.

„Es geht mir nicht um politische Aktualität, sondern um persönliche Berührungspunkte.“

Sie sagten einmal, das Theater bilde in Ihrer Familie ein Brücke zwischen den Generationen. Inwiefern?

❙ Da meine Eltern immer schon sehr aufgeschlossen waren, hatte ich als Jugendliche keinen Anlass zu rebellieren und erlebte kaum Generationskonflikte, da Künstler zu sein auch bedeutet, jung zu bleiben und offen gegenüber der Gegenwart. Kunst und Theater schufen in unserer Familie eine gemeinsame Sprache zwischen den Generationen. Ich war immer stolz auf meine Eltern. Sie inspirierten mich, und ich hatte nie das Gefühl, sie könnten mit meinen Ideen nichts anfangen.

Was ist Ihre Position als Teil der „dritten Generation“?

❙ Ich habe versucht, diese Frage mit einigen meiner Theaterarbeiten auszuloten wie etwa Third Generation, einer Koproduktion der Schaubühne Berlin mit dem Habimah Nationaltheater 2008, oder Hakoah Wien, uraufgeführt am Schauspielhaus Graz 2012. Im Gegensatz zu meinen Eltern und Großeltern will ich mich mit der Vergangenheit, den Traumata der Schoa, auseinandersetzen, auch in Hinblick auf meine eigene Identität. Hakoah Wien dreht sich zwar nicht ausschließlich um dieses Thema, doch es handelt von meiner eigenen Familiengeschichte, indem ich die Vorstellungen meines Großvaters mit jenen seiner Enkelkinder konfrontiere.

Ihr Großvater, Wolf Fröhlich, war Mitglied der legendären Fußballmannschaft des Sportclubs Hakoah, ehe er 1936 als überzeugter Zionist nach Palästina emigrierte. Was sind die zentralen Fragen, die Sie in „Hakoah Wien“ beschäftigten?

Yael und Michael Ronen, Nestroy- Theaterpreis 2013. Yael Ronen über ihre Familie und ihren Zugang zum Theater.
Yael und Michael Ronen, Nestroy-Theaterpreis 2013. 

❙ Es geht um den Zionismus, um die Frage, wo man sich zugehörig fühlt und wo ein Jude heute eigentlich leben sollte. Als ich in Wien zum ersten Mal in die Straße ging, in der mein Großvater gewohnt hatte, machte es mich traurig. Ich hatte das Gefühl, nun würde sich ein größerer Kreis schließen. Denn das Verhältnis meines Großvaters zu Österreich, das ihn vertrieben hatte, war eine Art Hassliebe. In seinen jungen Jahrenim Kibbuz versuchte er all seine Verbindungen zu Europa zu kappen. Doch als er älter wurde, fühlte er sich wieder viel stärker mit seinen Wurzeln verbunden und besuchte regelmäßig Wien, auch wenn er nie mehr in die Nähe seines einstigen Hauses ging. In seinem Inneren gab es immer eine Ambivalenz. Im Sinne einer spät erfolgten Akzeptanz empfand ich es als bewegenden Abschluss der Ereignisse, dass wir in der Geburtsstadt meines Großvaters für Hakoah Wien 2013 den Nestroy-Preis erhielten. Seit September wird es auch am Volkstheater gespielt.

Sie gelten als eine der wichtigsten Theatermacherinnen Israels. Wie wird Ihre Arbeit, die immer wieder den Nahostkonflikt, den Holocaust und die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen thematisiert, in Ihrer Heimat wahrgenommen?

❙ In den vergangenen Jahren hat sich durch die Erstarkung des rechten Flügels in Israel sehr viel verändert, auch indem es für Kultur immer weniger Budget gibt. Grundsätzlich erscheint mir das Publikum ängstlicher gegenüber politischem Theater. Ich weiß nicht, ob Inszenierungen, mit denen ich meine Karriere in Israel begann, heute noch dort gezeigt werden könnten. Als 2008 Third Generation in Tel Aviv aufgeführt wurde, das auf der Geschichte einer deutschen, einer israelischen und einer palästinensischen Familie in den Jahren 1939 bis 1949 basiert, wurde ich von Teilen des Publikums und selbst vom Außenministerium als jemand bezeichnet, bei dem man aufpassen müsse, ob man seine Arbeit weiterhin unterstütze. Ich habe den Eindruck, dass die Möglichkeiten, mich so auszudrücken, wie ich das möchte, in Israel immer geringer werden.

Sie leben mit Ihrem Mann, dem palästinensischen Schauspieler Yousef Sweid, und Ihrem vierjährigen Sohn Alexander in Berlin. Warum dort?

❙ Ich bekam das wunderbare Angebot, als Hausregisseurin am Maxim Gorki Theater zu arbeiten, und verliebte mich in die Stadt und in dieses Theater. Mein Sohn ging in den Kindergarten und fand sich sehr schnell zurecht. So hatte ich bald das Gefühl eines Neubeginns. Mittlerweile fällt es mir immer schwerer, mir ein Leben in Israel vorzustellen. Wenn man sich die gegenwärtige Flüchtlingskrise ansieht und die politischen Reaktionen darauf, kann man einen Wandel der Geschichte beobachten, gerade was Deutschland betrifft, das politisch eine führende Rolle mit einer stark liberalen Haltung einnimmt, begleitet von einer vitalen Zivilgesellschaft, die die Flüchtlinge willkommen heißt. Man kann das in gewisser Weise auch als gerechten Ausgleich, als eine Ironie der Geschichte betrachten. Gibt es eine Verbindung zwischen den demokratisch-kollektiven Werten, für die Ihr Großvater eintrat, und Ihrer künstlerischen Arbeitsweise? ❙ Ja, auch wenn ich die Verantwortung für die Inszenierung trage, hat meine Arbeit sehr viel mit Kollektivität zu tun. Ich versuche, Hierarchien abzubauen, indem alle Teil des künstlerischen Prozesses sind und sich eigenverantwortlich mit ihren Ideen einbringen. Ich arbeite nie mit Schauspielern, die sich für große Stars halten und im Mittelpunkt stehen wollen, ich gruppiere meine Arbeit nie um nur eine Persönlichkeit. Die Schauspieler sind stets Co-Autoren, so wie ich auch die Musiker, Bühnenbildner und Videokünstler als Co-Schöpfer einer Arbeit begreife. Ich komme nicht mit einem fertigen Konzept und abgeschlossenen Ideen auf die erste Probe, sondern wir versuchen, gemeinsam etwas herauszufinden. Die Aufführung entsteht aus den Vorstellungen aller Beteiligten! Ich liebe es, mich in einen Prozess hineinzuschmeißen, bei dem ich im Vorhinein nicht weiß, was dabei herauskommen wird. Man lässt Dinge passieren und wachsen − das macht mich kreativ. Dabei gilt es als Regisseurin, sehr offen zu sein, auch gegenüber der Erkenntnis, dass man nicht alle Antworten in Händen hält.

Zielt Ihre Arbeitsweise auf stärkere Direktheit auf der Bühne?

❙ Ja, denn viele meiner Arbeiten basieren auch auf den persönlichen Biografien der DarstellerInnen, also auf sehr authentischen Momenten. Mir ist es wichtig, dass Theater in Verbindung zur Realität steht, in der wir leben. Grundsätzlich sehe ich Theater als Werkzeug, um das Leben zu meistern, ein psychologisches, soziologisches und politisches Instrument, um zu lernen, um nachzudenken und um sich zu verändern.

Ihr aktuelles Projekt, das Sie gerade am Wiener Volkstheater erarbeiten, trägt den Titel „Lost and Found“. Worum geht es dabei?

Lost and Found ist inspiriert von der wahren Familiengeschichte eines Ensemblemitglieds: ein Familiendrama, in dem unerwartet ein entfernter Cousin auftaucht, der aus dem Irak flüchtete, am Westbahnhof ankommt und um Aufnahme bittet. Dadurch wird die Familie, die lange Zeit ihre eigenen Wurzeln ignorierte, plötzlich direkt in die globale Flüchtlingsbewegung involviert, die sie bis dahin nur über die Nachrichten verfolgt hat.

Wie vollzieht sich der Arbeitsprozess?

❙ Wir hörten uns intensiv die Erzählungen der jungen Frau und ihres irakischen Cousins an. Um die Geschichte und die Charaktere für die Bühne zu entwickeln, widmen wir uns aber auch unseren eigenen Familiengeschichten und Themen, die in diesem Zusammenhang auftauchen. Im Moment tun wir nichts anderes, als einander zu erzählen und zuzuhören. Die Regieassistentin verfasst Protokolle unserer Gespräche, die in einer zweiten Probenphase
als Inspiration für die Bühnendialoge dienen werden, wenn die SchauspielerInnen improvisieren und ihre Texte entwickeln. Dabei werden wir den Akzent auf die österreichische Perspektive der Familiengeschichte legen, um verstärkt den Ort zu reflektiere, an dem wir arbeiten.

Was ist für Sie die Hauptaufgabe von Theater?

❙ Ich fokussiere mich nicht auf große Aufgaben, sondern ausschließlich auf das, was mich besonders interessiert, damit auch wirklich etwas Authentisches dabei herauskommt. Es geht mir nicht um politische Aktualität meiner Themen, sondern um persönliche Berührungspunkte und den subjektiven Blick auf Konfliktfelder. Die Fragen nach nationaler Identität und Migration sind natürlich stark mit meinem Leben verbunden. Grundsätzlich halte ich es für die größte Herausforderung des Theaters, das Publikum nicht zu langweilen. Kluge Unterhaltung wäre das Beste, was ich erreichen könnte, indem sich das Publikum rational und emotional gleichermaßen bewegt fühlt. Theater soll das Herz berühren! Den Weg dorthin ebnet der Humor.

YAEL RONEN, geb. 1976 in Jerusalem, studierte Szenisches Schreiben und Regie in New York und Tel Aviv und inszenierte u. a. am Nationaltheater Habimah in Tel Aviv, am Staatsschauspiel Dresden und am Schauspielhaus Graz. Seit 2013 ist sie Hausregisseurin am Maxim Gorki Theater in Berlin. Ihre Inszenierung Third Generation wurde von der Fachzeitschrift Theater heute als ausländisches Stück des Jahres 2010 ausgezeichnet, 2013 erhielt Hakoah Wien den Nestroy-Preis in der Kategorie beste Bundesländeraufführung, 2015 erhielt Common Ground eine Nominierung für den Mülheimer Dramatikerpreis.

Bilder: © lupispuma.com &  © Manfred Werner

samsbar

 

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