Verliebt in den Feind

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Jasmin aus Jerusalem und Osama aus Ramallah, ein Liebespaar aus zwei verfeindeten Völkern, das klingt beinahe wie bei Shakespeares einander hassenden Familien, die eine Verbindung ihrer Kinder Romeo und Julia nicht zulassen konnten.

 Von Daniela Segenreich-Horsky

Die naheliegende Assoziation mit dem berühmtesten Liebespaar der Weltliteratur lehnt Jasmin Avisar entschieden ab: „Unsere Eltern haben uns immer unterstützt, ohne ihre Hilfe hätten wir es nie geschafft. Meine Mutter besuchte Osamas Familie und setzte damit ein Zeichen, ab dann standen auch seine Eltern voll hinter uns.“ Und es gibt ein Happy End, davon ist Jasmin überzeugt. Dass jedoch eine halbwegs positive Wendung möglich war, ist wohl nur ihrer Emigration aus der Heimat zu verdanken.

„Wenn man einander kennen lernt, hat man keine Angst mehr vor dem Fremden, dem anderen.“ Jasmin Avisar

Es herrschte das Gesetz der Macht

In Israel oder Palästina schien ein gemeinsames Leben der Balletttänzerin und des Bildhauers mit den vielen Nebenjobs nicht mehr möglich: „Es wurde immer schwieriger“, erinnert sich Jasmin: „Mir war klar, dass das so nicht weitergehen konnte, dass es zu gefährlich wurde.“ Osama wurde einige Male von der Polizei der palästinensischen Behörde festgenommen, geschlagen und verhört, ohne zu wissen, was man ihm vorwarf. Und auch Jasmin, die nach der Hochzeit mit Osama in Ramallah lebte und täglich zu ihren Tanzstunden nach Jerusalem musste, machte ihre Erfahrungen mit dem israelischen Militär an den Grenzposten: „Oft dachten sie, mein Erlaubnis, in Ramallah zu leben, wäre gefälscht. Es war sehr frustrierend und langwierig, es herrschte das ‚Gesetz der Macht‘. Gleichzeitig fühlte ich mich als Israelin dafür verantwortlich, was an den Absperrungen vor sich ging.“

Begonnen hatte die Liebesgeschichte im Heim für verlassene Hunde und Katzen in Jerusalem, wo sie beide ihre Tierliebe ausleben und ein wenig dazuverdienen konnten. Jasmin war Studentin für Tanz an der Akademie in Jerusalem, Osama fand immer andere Gelegenheitsjobs und kreierte damals schon Skulpturen aus Fundobjekten und verschiedensten Materialien. Kurz davor, gegen Ende der zweiten Intifada im Jahr 2003, ging in Israel ein Zusatz zu einem Gesetz durch, das besagt, dass Palästinenser nicht in Israel leben dürfen. Damit gab es für ‚gemischte Pärchen‘ von Israelis und Palästinensern die Option der Familienzusammenführung nicht mehr. Das gilt auch, wenn ein Araber oder eine Araberin aus Israel einen Palästinenser aus den ‚Gebieten‘ oder aus Ostjerusalem heiratet, und soll unter anderem verhindern, dass jemand eine Ehe vorschützt, um in Israel Terroranschläge ausführen zu können. Israel macht damit, laut dem Beschluss, von seinem Recht Gebrauch, den Einwohnern eines feindlichen Staates die Einreise zu verweigern.

Keine Angst mehr vor dem Fremden

Ein Zusammenleben der beiden in Israel war damit nicht mehr möglich, also beschloss Jasmin, dass sie heiraten mussten, damit sie nach Ramallah ziehen konnte: „Osama verzichtete auf sein Prinzip, das besagt, dass Dokumente nichts wert sind, und wir heirateten in Zypern.“ In den palästinensischen Gebieten lebte sich Jasmin überraschend gut ein: „Die meisten Leute waren nett zu mir und akzeptierten mich. Wenn man einander kennen lernt, hat man keine Angst mehr vor dem Fremden, dem anderen. Aber sie beobachteten mich ununterbrochen. Wenn ich entführt worden wäre, hätten sofort alle gewusst, wo ich mich befinde“, scherzt sie.

Doch nach sieben Monaten, in denen sie in Ramallah lebte und beinahe jeden Tag nach Jerusalem fuhr, wurde die Situa­tion mit den Grenzposten und der palästinensischen Behörde untragbar und die beiden beschlossen zu emigrieren. Mit viel Protektion schaffte Osama es, ein Künstlervisum zu bekommen, und so konnten sie gemeinsam ausreisen und gingen nach Berlin. „Wir haben dort einige interessante Projekte gemacht, wie Conflict Zones mit Yael und Michael Ronen und den Dokumentarfilm Love during Wartimes, aber es war eine schwierige Zeit für uns“, erinnert sich Jasmin. Die Rettung kam schließlich aus Wien: „Hier ging alles plötzlich viel leichter, wir wurden aufgenommen und anerkannt. Die Stiftung Essl kaufte Osamas Arbeiten, und ich bekam den Job als Choreografin der Ballettschule und Probenleiterin in der Staatsoper, wir hatten Glück!“

Die Rechnung kommt noch

In Wien kam auch Töchterchen Lailah, mittlerweile sechs, zur Welt. Sie fühlt sich beinahe als echte Wienerin, spricht perfekt Deutsch, aber auch Hebräisch und Arabisch, und geht in einen muslimischen Kindergarten in der Nachbarschaft. „Wahrscheinlich wird sie uns einmal die Rechnung präsentieren“, befürchtet Jasmin, „aber ich versuche ihr nichts aufzudrängen. Sie soll einmal selbst entscheiden können, welcher Religion sie angehören will.“

Ihre Erfahrungen aus Ramallah will Jasmin jetzt in einem Tanzprojekt umsetzen: „Ich möchte andere gerne an dem Prozess teilhaben lassen, durch den ich gegangen bin, und ihnen ein Fenster öffnen, durch das sie ‚den anderen‘ nicht als anders und fremd, sondern als gleich sehen können.“ Sie träumt von einem Festival mit lokalen und internatio­nalen Choreografen und will auch ihre Verbundenheit zu biblischen Texten einfließen lassen: „Als gemeinsames Thema würde ich einige Geschichten aus der Bibel nehmen. Die unterschiedliche Art, in der ein Künstler Abschnitte aus der Bibel oder auch aus dem Koran interpretiert, können sehr viel darüber aussagen, woher er/sie in seinem oder ihrem Zugang zu Kunst und Gesellschaft kommt.“ Damit will Jasmin einen fruchtbaren Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen und Perspektiven kreieren.

Ein hoher Preis für die Liebe

Ihr Dasein als Emigrantin sieht sie in gewisser Weise als Vorteil: „Da kann man aus beiden Ländern, dem alten und dem neuen, etwas für sich nehmen und quasi als Kosmopolit leben.“ Doch für den 35-jährigen Osama ist der Preis der Emigration hoch: Er lebt in einer fremden Kultur und Sprache und war seit acht Jahren nicht mehr bei seiner Familie in Ramallah, denn würde er sie besuchen, könnte er nicht mehr so leicht ausreisen. Seine Mutter hat er nur einmal bei einer Ausstellungseröffnung in den USA getroffen. Was ihm bleibt, sind seine neue Familie und die Kunst: In dem ebenerdigen Häuschen in einem Wiener Außenbezirk, das gleichzeitig als Wohnung für die drei und als Studio von Osama fungiert, teilen auch Fatima und Jesus das kleine Wohnzimmer. Fatima ist die Skulptur einer von vorne völlig in Schwarz gehüllten islamischen Frau, die von hinten aber hohl ist. Jesus, an Kopf und Armen mit Ein- und Ausreisestempeln übersät, steht für Osama Zatars Frage: „Wenn Jesus Palästinenser wäre, könnte er dann heute in Israel einreisen?“ Die nächste Ausstellungseröffnung in Wien ist bereits geplant. Der nächste Besuch in Ramallah wird wohl noch auf sich warten lassen … ◗

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