Das virtuose Energiebündel

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Aliosha Biz: Musik als grenzenloses Ereignis zwischen allen Sparten kann man mit dem russisch-jüdischen Violinisten erleben.

Von Marta S. Halpert   

Der Violinist und sein Instrument verschmelzen im Spiel zu einer harmonischen Einheit. Der schlanke, energiegeladene Körper schwingt mit dem Bogen mit: Da man nur ein Ganzes sieht und hört, weiß man nicht, wo Aliosha Biz anfängt und seine Geige aufhört. „Schon Herbert von Karajan meinte, man müsse so spielen, dass man den Bogen gar nicht sieht“, lacht der 1970 in Moskau geborene Musiker, dem man seine 45 Jahre schwer glauben kann.

„Da wir für ein Klavier keinen Platz hatten, ging mein Vater mit mir in ein Möbelgeschäft und kaufte mir dort eine Geige für 21 Rubel.“

Derzeit gibt ihm nur das Warten auf sein drittes Kind Bodenhaftung, denn beruflich ist gerade ein großer Traum in Erfüllung gegangen – und das verleiht ihm wahrlich musikalische Flügel. „Unsere Band Dobrek Bistro gibt es seit 15 Jahren, und fast genauso lang war es unser größter Wunsch, mit David Krakauer, dem bekanntesten amerikanischen Klezmer-Musiker und Klarinettisten, zusammenzuarbeiten“, erzählt Biz. Vor knapp zwei Monaten standen sie dann in Wien im Rahmen des 12. KlezMore-Festivals mit ihrem Stargast aus New York auf der Bühne. Doch das war nur ein Teil des Hochgefühls: Mit der Präsentation der brandneuen CD Dobrek Bistro featuring David Krakauer wurde die Hartnäckigkeit und Ausdauer sowohl von Aliosha Biz als auch seinem langjährigen musikalischen Weggefährten, dem polnischen Akkordeonisten Krzysz­tof Dobrek, belohnt. „Wir hatten schon 2005 ein kurzes Treffen mit Krakauer, aber erst 2012 ist es uns gelungen, ihn endgültig für unser Projekt zu gewinnen.“ Wie das gelang, ist eine Geschichte für sich und zeigt die phantasievolle Improvisationslust von Biz und Dobrek. „Ich war mit der Bahn unterwegs von Prag nach Wien. Die beiden sind in Brünn zu mir in den Zug gestiegen und ich konnte ihnen nicht mehr davonlaufen“, erinnert sich Krakauer amüsiert.

Dobrek Bistro featuring David Krakauer. 1 CD Dobrecords, 2015
Dobrek Bistro
featuring David Krakauer. CD
Dobrecords, 2015

Aus den Gesprächen auf dieser unentrinnbaren Bahnfahrt entstand dann aber nicht nur die Idee für ein Konzert und das Einspielen von einigen Musikstücken: Schlussendlich vereinten sich zwei Größen der internationalen Weltmusikszene, deren musikalische Herzen im unnachahmlichen Gleichklang schlagen, auf einem faszinierenden Album. Die Musikzeitschrift music austria beschreibt es so: „In den Stücken dieses außergewöhnlichen Kollektivs wird geweint, getanzt, gelitten und auch gefeiert. Es ist das Gefühl, mit dem Dobrek Bistro und David Krakauer ihre Musik aufladen, das den Unterschied ausmacht und einen jeden Ton zu einem ungemein stimmungsvollen und berührenden Erlebnis werden lässt. Ja, so etwa klingt die höchste Kunst der Weltmusik.“ Das Album dieser großartigen Virtuosen beweist, dass Biz und seine Kollegen von Dobrek Bistro schon lange intuitiv erkannt hatten, dass sie mit Krakauer gemeinsam auf außergewöhnlichen musikalischen Wellen reiten können: Die fünf Musiker durchqueren in großartiger Weise die Welt des Jazz in Richtung Klezmer, um von dort aus zu den feurigen Rhythmen des Balkans zu rasen. Aber sie bleiben nicht dort, sie swingen zum Gypsy-Sound und landen schlussendlich bei südamerikanischen Tänzen und Klängen.

Die erste Geige — aus dem Möbelgeschäft

Doch ganz so einfach und beschwingt, wie das jetzt alles klingt, war es für den 19-jährigen Aliosha nicht, als er 1989 in Wien ankam. Und das, obwohl die Familie österreichische Wurzeln hatte, jedenfalls mütterlicherseits. Die Großmutter flüchtete 1938 noch in der Pogromnacht mit ihrer Mutter von Wien nach Lemberg. Künstlerisch ist Aliosha stark vorbelastet: Sein Vater war in Moskau ein bekannter Kameramann, die Mutter eine angesehene Dokumentarfilmerin. „Da wir für ein Klavier keinen Platz in der Wohnung hatten, ging mein Vater mit mir in ein Möbelgeschäft und kaufte mir dort eine Geige für 21 Rubel. So begann ich schon mit sechs Jahren zu spielen.“ Wie sich später herausstellte, hatte sein Vater auch gewisse Hintergedanken mit der musikalischen Ausbildung seines talentierten Sohnes. „Du wirst als Musiker leichter aus der Sowjetunion hinauskommen“, war der Vater überzeugt. Als die „Gefahr“ des Militärdienstes drohte, drängte ihn auch die geliebte Großmutter zur Reise nach Ungarn, um von dort den Sprung nach Österreich zu wagen. „Geh’, geh’, du schaffst es, sagte sie zu mir. Ich bin ihr ewig dankbar dafür, dass sie mich ermutigt und an mich geglaubt hat“, so Biz heute. Er bereitete auch die Rückkehr der Großmutter nach Wien vor, die dann 1992 stattfand. Heute zählt sie 94 Jahre und wohnt im Maimonides-Zentrum, wo sie öfter auch den Konzerten ihres Enkels lauscht.

Bevor Aliosha seine Geburtsstadt verließ, studierte er Violine am Tschaikowsky-Konservatorium. In Wien besuchte er zwar die Hochschule für Musik und darstellende Kunst, richtig entdeckt wurde er aber auf der so genannten „Akademie der Straße“, denn auch Biz musizierte auf der Kärntnerstraße. Er mauserte sich zum gefragten Theatermusiker (u. a. am Theater in der Josefstadt und im Volkstheater) mit schauspielerischen Ambitionen und arbeitete an diversen musikalischen Projekten mit Gerhard Bronner, Albert Thiemann oder Adi Hirschal zusammen. Doch der große Durchbruch kam 1997, als er den polnischen Akkordeonist Krzysztof Dobrek bei den Proben zu Anatevka am Theater an der Wien das erste Mal traf. Die beiden Musiker sprechen von Liebe auf den ersten Takt: Nach dem ersten Zusammenspiel wussten sie, dass sie ihre künstlerische Zukunft gemeinsam gestalten wollten. Zunächst folgten Auftritte im Burgtheater, auch als Begleitmusiker von Maria Bill bei der Jacques-Brel-Revue und danach beim Acoustic Drive Orchestra, ehe sie daran gingen, ihre eigene, unverkennbare musikalische Sprache zu entwickeln. Das Quartett von Dobrek Bistro komplettieren der brasilianische Multiperkussionist Luis Ribeiro und der Wiener Jazzkontrabassist Sascha Lackner. Die Bezeichnung des französischen Lokals kommt vom russischen „bystro“ (schnell). Damit bezieht sich das Quartett mit seinem Namen sowohl auf die virtuose Rasanz ihrer Darbietungen als auch auf die melancholische Eleganz der Kompositionen, die alle von Dobrek stammen: „Bei uns klingt der Salsa zigeunerisch, der Tango wienerisch, der Jazz jiddisch, und die Musette hat einen russischen Touch.“ Privates und Arbeit verschmolzen dann auch miteinander: „Es wurde eine Wohnung bei uns im Haus frei, und da ist Dobrek eingezogen. So haben wir sogar in einem Haus gewohnt und musiziert“, lacht Aliosha.

Aliosha Biz ist für die jüdisch-russischen Akzente im Repertoire zuständig: „Meine Wurzeln will und kann ich nicht abschneiden, daher sorge ich für den russischen Weltschmerz, die orientalischen Klänge und natürlich den Schmalz und das Gefühl vom Once upon a time im Stetl.“ Weil Biz aber seine Muttersprache nicht verleugnen will, hat er mit weiteren drei russischstämmigen Musikern der heimischen Musikszene den Russian Gentlemen Club gegründet: Mit dabei sind Russkaja-Frontman Georgij Makazaria (Gesang und Gitarre), Alexander Shevchenko (Klezmer Reloaded, Akkordeon) sowie Roman Grinberg (Frejlech, Piano). „Hier präsentieren wir eine bunte russische Schlagershow auf höchstem Niveau.“ Doch den Spaß an der Musik will das Energiebündel nicht nur den Erwachsenen vorbehalten: Seit einem halben Jahr engagiert er sich für das Projekt Mozart-Konzerte, bei dem Kinder und Jugendliche von Volksschulen und  Mittelschulen zu Mitmachkonzerten animiert werden. „Kinder sind das schwierigste und beste Publikum. Wir können sie sowohl für Amadeus als auch den Türkischen Marsch von Mozart begeistern“, so Biz.

Dass er seine ersten Schritte und Erfahrungen in Wien als Neuling nicht vergessen hat, beweist er jetzt auch in der Flüchtlingskrise: „Man hat mir von einem jungen syrischen Musiker erzählt, der hier gestrandet ist. Er ist Schlagzeuger, und wir haben ihn gleich zu einer Jam-Session eingeladen. Das wurde für alle zu einem großen Erlebnis.“ Damit schloss sich an dem Abend ein ungewöhnlicher Kreis: Hans Tschiritsch, Musiker und Instrumentenbauer, war bei der Jam-Session dabei – und „er wiederum hatte mich vor 26 Jahre auf der Kärntnerstraße aufgelesen und Lena Rothstein vorgestellt“, freut sich Aliosha. Aber es schließt sich noch ein persönlicher Kreis für den virtuosen Musiker, der in Wien mit seiner Weltmusik angekommen ist: Heute spielt sein siebenjähriger Sohn auf der 21-Rubel-Geige aus dem Moskauer Möbelgeschäft. Die Zukunft des Jungen ist voraussehbar.

Bild: © Biz

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