Ein Mann, ein Wort

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Statt einer großen Koalition mit dem zionistischen Lager hat sich Benjamin Netanjahu in letzter Minute für eine Allianz mit Israel Beitenu entschieden. Wer das politische Spektakel betrachtet, muss sich fragen, ob Inhalte überhaupt noch eine Rolle spielen. Von Gisela Dachs.

Der Parteispruch von Israel Beitenu lautet: „Ein Wort ist ein Wort.“ Avigdor Lieberman hat ihn gleich mehrfach auf Plakaten sichtbar im Rücken, als er sich von seinen Schimpftiraden auf Benjamin Netanjahu dis­tanziert. Sechs Monate lang hat er gewettert und beleidigt. Doch jetzt entschuldigt er sich für diese Worte. Knapp und kurz. Schließlich ist er ja gerade zum Verteidigungsminister designiert worden.

Es sind die Armeechefs und die Verantwortlichen für die Geheimdienste, die aggressive Politiker mit Verweis auf Moral und Menschenrechte zu beruhigen suchen.

Daran musste man sich erst einmal gewöhnen. Denn am Vortag hatte man sich noch mit der plötzlichen Bildung einer großen Koalition auseinandergesetzt. Alles schien schon unter Dach und Fach, nach wochenlangen Verhandlungen zwischen Netanjahu und Oppositionschef Jitzchak Herzog. Am Ende, so hieß es, habe Netanjahu sich aber auf seine Zusagen nicht schriftlich festlegen wollen, deshalb sei es nicht zum Durchbruch gekommen. Was mit Herzog begann, endete mit Lieberman. Das hinterlässt für viele Israelis – auch aus dem rechten Lager – einen bitteren Nachgeschmack und wirft die Frage auf, worum es hier überhaupt noch geht.

Jetzt gibt es also eine erweiterte Regierungskoalition, wie sie Netanjahu seit der Wahl vor gut einem Jahr in Aussicht gestellt hatte. Allerdings nicht zur Mitte hin, sondern noch weiter nach rechts, zumindest wenn man Lieberman beim Wort nimmt. Über die potenziellen Gefahren seiner Ernennung ist seither schon genug und alarmierend berichtet worden. Lieberman gilt tatsächlich als impulsiv und unberechenbar. Weil er aber auch – oder vielleicht vor allem – ein machtbewusster Politiker ist, hatte er zuletzt als Außenminister (als es einen ähnlichen Aufschrei gab) am Ende viel weniger Aufsehen erregt als befürchtet. Es gibt also immer die Hoffnung, dass ein hohes Amt zähmt.

Sechs Monate lang hat er gewettert und beleidigt. Doch jetzt entschuldigt er sich für diese Worte. Knapp und kurz. Schließlich ist er ja gerade zum Verteidigungsminister designiert worden.

Blickt man auf die jüngsten Entwicklungen in weiten Teilen der westlichen Welt, wo sich der Rechtspopulismus immer mehr etabliert, so liegt Israel sozusagen voll im Trend. Es gibt aber einen gravierenden Unterschied. Israel ist ganz anderen Gefahren ausgesetzt. Das führt zu der zentralen Rolle des Militärs. Während aber in den meisten Ländern die politische Klasse das Verteidigungsestab­lishment überwacht und in seine Schranken verweist, passiert nun in Israel gerade das Gegenteil. Es sind die Armeechefs und die Verantwortlichen für die Geheimdienste, die aggressive Politiker mit Verweis auf Moral und Menschenrechte zu beruhigen suchen.

Sichtbar wurde dieser Konflikt in der Affäre um den Soldaten Elor Azariah vom 24. März. Dieser hatte auf einen auf dem Boden liegenden verwundeten palästinensischen Attentäter, der zuvor auf einen seiner Kameraden eingestochen hatte, geschossen und ihn so getötet. Während der General­stabschef Eisenkott das Verhalten Azariahs als einen Verstoß gegen die „Werte der Armee“ verurteilte, der geahndet werden müsse, stellten sich rechte Politiker hinter hin. „Die Soldaten der israelischen Verteidigungskräfte, unsere Kinder, sind mit mörderischen Attacken durch Terroristen konfrontiert, die sie töten wollen. Sie müssen Entscheidungen in Jetzt-Zeit treffen“, konterte Netanjahu, der auch den Vater Azariahs anrief, um ihm beizustehen.

Das kam nicht gut an bei den Generälen. Auch in komplexen Situationen dürfe man nicht die Nerven verlieren, hieß es. Was folgte, waren die harschen Worte, ausgerechnet am Schoah-Gedenktag, des stellvertretenden Generalstabschefs Yair Golan, der sich besorgt über die Entwicklungen äußerte. Er sagte unter anderem, dass die deutsche Geschichte der Dreißigerjahre zeige, wie schnell Menschen, Staaten und Kulturen ihre Menschlichkeit verlieren können. Er verurteilte die Vorfälle von Rassismus und Unmenschlichkeit, die jüngst, wenn auch nur als Randerscheinungen, vorgekommen seien, und betonte, dass ein Teil der Verantwortung des Offizierskorps darin bestehe, die moralischen Normen in der Armee aufrechtzuerhalten.

Als Netanjahu sich über die Schande des „Vergleichs mit Nazi-Deutschland“ aufregte, stellte sich Likud-Mitglied Moshe Ya’alon, der da noch Verteidigungsminister war, auf die Seite der Armee und verteidigte die Meinungsfreiheit ihrer Offiziere. Nach einer Aussprache zwischen den beiden, zu der Ya’alon zitiert wurde, begann Netanjahu Koalitionsgespräche mit Israel Beitenu und offerierte Lieberman den Posten des Verteidigungsminister. Ya’alon trat zurück und schwor, nach einer Auszeit wieder ins politische Leben zurückzukehren. Er könnte ein chancenreicher Kandidat für das Amt des Premierministers sein.

Doch bis dahin wird noch viel Wasser den Jordan hinunterfließen. Fürs Erste wird nun Lieberman dem ehemaligen General­stabschef Ya’alon im Amt nachfolgen – wenn denn auch die allerletzten Koalitionsgeplänkel vorbei sein werden – mit einer Fraktion von fünf (!) Knesset-Abgeordneten (Nr. 2 von ursprünglich 6 ist zurückgetreten, weil sie nicht am Laufenden war) und einer Militärerfahrung, die sich auf einen Ausbildungskurs für Neueinwanderer beschränkt.

Ob die Armee in Israel zu einem Coup bereit wäre? Diese Frage habe sich zumindest in seinen Gesprächen mit hochrangigen Militärs gestellt – aber nur mit einem Lächeln, schreibt der Journalist Ronen Bergman. Denn das bleibe höchst unwahrscheinlich. Die größte Herausforderung hinsichtlich der Beziehungen zwischen Rechtspopulisten und Armeeführung werde sein, sollte Lieberman einige seiner Ideen, wie er sie in der Vergangenheit so enthusiastisch vorgeschlagen hat (den ägyptischen Staudamm Aswan bombardieren, der Hamas den völligen Garaus machen), tatsächlich umsetzen wollen. Alles ist somit erst einmal offen. Ein Wort ist ein Wort!

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