„Mich interessiert’s, wenn etwas Pfeffer streut.“

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Der promovierte Sozialpsychologe Michael Freund war Leiter des Media Communications Department an der Webster Universität Wien, Ressortleiter  Album bei der Tageszeitung Der Standard und freier Mitarbeiter des ORF.

Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: Als ich Sie um ein Interview bat und Ihnen Beispiele aus dieser Serie schickte, antworteten Sie, Ihre Tätigkeiten seinen doch keine Spitzenleistungen auf einem bestimmten Gebiet wie etwa Medizin, Terrorismusforschung oder Kunst.

Michael Freund: Ja, ich bin in der Tat kein herausragender Spezialist für etwas Bestimmtes, sondern ein Generalist in einem Feld, das abgesteckt ist durch Medien, Sozialwissenschaften, Popkultur mit Schwerpunkt USA und Sprachen, immer im Hinblick auf Vermittlung. Dementsprechend bin bzw. war ich als Lehrbeauftragter, Professor für Medienkommunikation, Redakteur und Autor, Radiomitarbeiter, Texter, Moderator, gelegentlicher Fotograf und Comiczeichner immer ganz gut ausgelastet.

„Vom Judentum habe ich die melancholische Selbstironie und die Abneigung gegen falsches Pathos.“

Hatten Sie jemals die Befürchtung, keine Fertigkeit wirklich zu beherrschen, so nach dem Motto: Jack of all trades, master of none?

❙ Diverse Fertigkeiten beherrsche ich sehr wohl. Ob sie nun masterful sind, ist eine Frage des Maßstabs. Sie sind nicht nobelpreisverdächtig, aber es macht mir Freude, in den genannten Bereichen ganz gut unterwegs zu sein und gewisse Einsichten weitergeben zu können – ob nun in einer wissenschaftlichen Zeitschrift über Bildkultur, in einer Album-Geschichte, im Hörsaal oder auch mal als Comic auf Facebook.

Wurde Ihnen der Tausendsassa schon in die Wiege gelegt?

❙ Naja, Tausendsassa, ich weiß nicht. Es hat halt viele Einflüsse gegeben. Ich bin die ersten zwölf Jahre mit Eltern und Großeltern mütterlicherseits aufgewachsen, da wurde Deutsch, Ungarisch und Slowakisch durcheinander geredet. Diese Vorfahren waren ziemlich katholisch, väterlicherseits waren es unter anderem Prager Juden, aber davon habe ich nichts Religiöses mitbekommen – nur den Witz und die melancholische Selbstironie meines Vaters und die Abneigung gegen falsches Pathos. Als ich zwölf war, sind wir nach Italien gezogen, da kam dann eine Sprache dazu – und noch stärker die Motivation, in verschiedenen Kulturen unterwegs zu sein. Und ich denke, die Neugier war immer sehr groß und wurde zu meinem Glück kaum gebremst.

Wie kam es zur Faszination mit den USA?

❙ Die Amerikaner wurden bei uns zu Hause als Befreier gesehen, was in österreichischen Familien nicht selbstverständlich war. Donald Duck und Elvis Presley haben auch geholfen. Nach Wien und Heidelberg habe ich auch in New York studiert und dort sechs Jahre mit guten Freunden gelebt. Das prägte mich und hat mir auch das Dilettieren in unterschiedlichen Fächern erleichtert. Was ja nichts Schlechtes ist, das kommt von dilettare bzw. delectare, sich oder andere erfreuen. Ich erfreue mich an vielem in unterschiedlichen Kulturen und unter verschiedenen Menschen. Da kommen immer wieder Querverbindungen zustande, aus denen sich Spannendes produzieren  lässt. Das können dann etwa Features im Standard werden, die nicht in ein bestimmtes Ressort passen, ein Uni-Kurs über Musik und Medien oder einer über Politik und Comics.

Sehen Sie sich auch in der US-Popkultur als Vermittler, oder konsumieren Sie lieber?

❙ Beides. Mich interessiert’s vor allem, wenn etwas Pfeffer streut, aufregt, parodiert, Heucheleien demaskiert, Energien freisetzt – und gleichzeitig unterhält und formal beeindruckt. Dann ist es mir nicht wichtig, ob es Hoch-, Pop-, Sub-, U- oder E-Kultur ist. Ich find Robert Crumb spannender als Jeff Koons, und John Oliver bringt in seiner nicht nur komischen Comedy-Show mehr und Interessanteres über heutige Probleme als die Regietheaterstücke, die ich leider auch gesehen habe. Das kann ich in akademischen und in journalistischen Kanälen vermitteln, und es macht Spaß, beide Orgeln spielen zu können – immer mit ein paar Dissonanzen.

 Verrät uns die Popkultur mehr über den Menschen als die Hochkultur? Wie war das denn früher, hat es Popkultur immer schon gegeben?

❙ Den Begriff nicht, der hat mit Medien und massenhafter Verbreitung zu tun. Aber „populäre“ Formen von kultureller Produktion sind älter, die hießen dann eben „volkstümlich“ und wurden geringer geschätzt als die dem Adel und Bürgertum vorbehaltene „hohe“ Kultur. Was ja ideologisch ist. Ich habe unlängst einen Fotoband über Völker und Stämme gesehen, die vom Aussterben bedroht sind. Was da an kultureller Vielfalt allein bei Kleidung und Schmuck zu sehen ist, das ist von so atemberaubender Kreativität und Schönheit, es ist nicht zu fassen. Leider wird bei uns immer mehr Abschotten statt Neugierde gefördert, unter Mithilfe von „sozialen“ bzw. „christlichen“ Politikern.

Verraten uns Pop- oder Hochkultur viel über den Menschen? Ich glaube, beide nur in Maßen. Und: Den Menschen gibt’s ja nicht. Es gibt Klassen und Schichten und Nischen, die sich allesamt durch „kulturelle“ Attribute auszeichnen. Irgendwo wollen wir ja alle dazugehören.

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