Neubeginn in Graz

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Elie Rosen zeichnet seit diesem Jahr als Geschäftsträger für die jüdische Gemeinde Graz verantwortlich. Dabei hat er alle Hände voll zu tun, wie er im Gespräch mit Alexia Weiss erzählt.

WINA: 2013 hat die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien auch die Zuständigkeit für die Steiermark, Kärnten und das Südburgenland – und damit auch für die jüdische Gemeinde in Graz – übernommen. Warum?

Elie Rosen: Die seinerzeitige Plenarversammlung der Israelitischen Kultusgemeinde Graz hat nach vorangegangenen Verhandlungen mit der Kultusgemeinde Wien auf Grund der Kleinheit der Gemeinde, den gleichzeitig bestehenden umfangreichen Aufgaben wie etwa einer Immobilienverwaltung, mangelndem Potenzial an Personen aus den eigenen Reihen und laufenden internen Differenzen beschlossen, die Kultusgemeinde Graz als Körperschaft aufzulösen und sich als Filialgemeinde ähnlich der jüdischen Gemeinde in Baden zu organisieren.

Inzwischen hat die IKG Wien beschlossen, die Geschäfte in Graz selbst zu führen, und Sie sind dieses Jahr als Geschäftsträger eingesetzt worden. Warum haben Sie dieses Amt übernommen?

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Die Grazer Synagoge

❙ Die Erhaltung beziehungsweise Fortführung jüdischer Religionsausübung und Kultur in den Bundesländern ist mir seit mehr als zwei Jahrzehnten ein wichtiges Anliegen gewesen. Erfahrungen in der Führung von Provinzgemeinden konnte ich über viele Jahre in Baden sammeln, darüber hinaus bin ich heute auch Vizepräsident des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs und in Wien für die Finanzen zuständig. All dies scheint dafür ausschlaggebend gewesen zu sein, mir die Führung in Graz zu überantworten und vor allem eine Stabilisierung nach innen herbeizuführen. Die kleine jüdische Gemeinde Graz hat sich in den letzten Jahren eigentlich primär durch Außenkontakte definiert, das heißt im christlich-jüdischen, muslimisch-jüdischen und wie auch immer gearteten Dialog mit der nichtjüdischen Umwelt. Hingegen gab es nach innen deutlich weniger Anstrengungen. Ich sehe meine Aufgabe primär nach innen gerichtet. Der Dialog nach außen ist mir zwar wichtig, aber ein ernst zu nehmender Dialogpartner kann man erst sein, wenn man nach innen hin gefestigt ist.

„Die Grazer Synagoge ist einer der schönsten Synagogalbauten, die ich im deutschsprachigen Raum sehen durfte.“

Wie war der Zustand der Grazer jüdischen Gemeinde, als Sie das Amt des Geschäftsträgers übernommen haben?

❙ Die Gemeinde in Graz ist sehr klein. Sie hat kaum 50 Mitglieder und weitere zirka 20 in den Bundesländern Steiermark, Kärnten und dem südlichen Burgenland, davon gerade mal zehn Personen, die überhaupt einen Kultusbeitrag bezahlen. Wir sprechen somit von einer sehr kleinen Gemeinde. Aus dieser heraus ragt noch eine kleine Gruppe heraus, die sich zwar nach außen gerne als jüdische Gemeinde Graz positioniert, aber in breitem Maße von Nichtjuden getragen wird und die Nähe zu Freikirchen nicht scheut, die Veranstaltungen mit Organisationen wie Juden für Jesus tragen. Die Gruppe positionierte sich nach außen gerne als Gegenpol zu meiner Vorgängerin Ruth Kauffmann und versuchte sich als Mehrheit der Gemeindemitglieder darzustellen.

Wie war die Ausgangssituation für Sie in Bezug auf jüdisches Leben? Was gab/gibt es – und woran müssen Sie nun arbeiten?

❙ Die Ausgangssituation war, dass schlechthin kein geregeltes jüdisches Leben vorhanden war oder ist. Von einer Regelmäßigkeit kann beziehungsweise konnte man nicht sprechen. Nicht einmal – Stichwort: Mechiza – von einem Ritus, der konkret und eindeutig einem gängigen Ritus zugeordnet werden kann, konnte gesprochen werden. So saßen bislang beispielsweise Männer und Frauen zwar auf verschiedenen Seiten, aber im selben Raum, der Männerabteilung, zusammen. Vorgebetet wurde aber nach orthodoxer Art. Und das war und ist jenseits der Vorgaben, an die ich mich zu halten habe, und meines eigenen traditionellen Zugangs, dass man sich einfach für eine Richtung entscheiden muss. Wenn eine Gemeinde in einem sie unterstützenden Verbund existieren will, kann sie nicht quasi freikirchlich agieren und sich überall das herausholen, was sie will. Und das ist in Graz, was die Sitzordnung und damit das Gebet betrifft, sicherlich geschehen. Regelmäßigkeit und Art des Ritus sind insofern für mich von Bedeutung, weil es nicht möglich ist, die Gemeinde zu bespielen, wenn nicht gewisse Regeln eingehalten werden.

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In diesem Sinne kennen wir heute reformierte Riten und den traditionell orthodoxen Ritus. Die Synagoge in Graz selbst erfährt ihre diesbezügliche Verfassung über die Jüdische Kultusstiftung, die in ihrer Satzung den traditionell-orthodoxen Ritus und die Halacha unmissverständlich vorgibt. Selbst wenn ich wollte, hätte ich also hier keinen Spielraum. Zudem ist auch für Graz das Wiener Rabbinat zuständig, dessen Ausrichtung eindeutig ist. So wie das Gebet zuletzt geführt wurde, wäre keine Reformrabbinerin möglich gewesen, weil ihr keine egalitäre Stellung zugestanden wurde, sie also etwa nicht vorbeten oder leinen dürfte oder eine Alija bekommen hätte. Es wäre aber auch kein der Halacha verpflichteter orthodoxer Rabbiner gekommen, da Frauen ohne Mechiza mit Männern im gleichen Raum gesessen sind.

Es gab also bisher keinen speziell zuständigen Rabbiner.

❙ Keine der Provinzgemeinden außerhalb Wiens hat einen eigens von ihr angestellten Rabbiner. Für Barmitzwot ist etwa der bisherige Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg nach Graz gekommen. Am Schabbat gab es keine Rabbiner. Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister war, wie mir berichtet wurde, zwar einige Male in Graz, hat aber letztlich nach seinen Angaben nicht jene Verpflegung auf dem Gebiet der Kaschrut vorgefunden, wie sie von Nöten gewesen wäre. Die Küche in der Syna­goge war vollkommen unüblich milchig geführt. Ob sie glatt koscher war, kann ich nicht sagen, glaube ich aber nicht. Jetzt wird es so sein, dass regelmäßig auch Menschen von außen nach Graz kommen werden, darunter auch ein neuer Kantor. Kleine Gemeinden kann man nur im Netzwerk führen. Wir sind da­rauf angewiesen, dass wir Unterstützung von außen bekommen. In Graz unterrichtet etwa auch eine Religionslehrerin, die aus Wien kommt. Analog zu Baden findet der Religionsunterricht als Sunday School in vierzehntägigem Rhythmus statt. Dieselbe Religionslehrerin unterrichtet an den anderen Sonntagen in Baden. So etwas kann man als kleine Gemeinde aus den eigenen Reihen oft nur schwer zufriedenstellend bewerkstelligen. Die Geschichte des Ritus spielt auch hinein in die Frage: Wer kommt uns als Funktionär zu den Hohen Feiertagen?

Inzwischen wird die Mechiza genutzt, und Frauen und Männer sitzen auf verschiedenen Ebenen. Rund um diese Entscheidung gab es allerdings auch Kritik. Von wem?

❙ Die Synagoge wurde als Synagoge mit traditionellem Ritus erbaut, sonst hätte man schon architektonisch gar keine Frauengalerie vorzusehen gehabt, die übrigens ohnehin noch offener, noch einsehbarer ist als die im Wiener Stadttempel. Ich habe mit den meisten Damen im Vorfeld persönlich gesprochen. Die Aufregung wurde eigentlich von zwei nichtjüdischen Ehegattinnen von Gemeindemitgliedern geschürt – nichtjüdische Eheleute bzw. Familienangehörige haben in Graz bislang überhaupt sehr mitgemischt. Eine der Damen meinte, sie würde dann nicht mehr kommen, und ich habe geantwortet, sie sei bei uns als Gast jederzeit willkommen, habe als Gast aber das Hausrecht zu respektieren. Allenfalls es ihr, wie von ihr angekündigt, dann natürlich freistehe, nicht zu kommen. Beim Gebet selbst war es eigentlich überhaupt nur ein Gemeindemitglied, das mit Vehemenz in den Männerbetraum zu gelangen trachtete. Am nächsten Tag hat mich dann schon die Kleine Zeitung angerufen.

Ich möchte aber in diesem Zusammenhang deutlich unterstreichen, dass es nicht so ist, dass alle, die in Graz beten, nur einen reformierten Ritus wollten. Es gibt auch in Graz Gemeindemitglieder, die sagen, was soll die Diskussion, es ist überall so, warum soll das bei uns Thema sein? Leider gibt es aber eine bereits erwähnte kleine Gruppe, in der auch viele Nichtjuden mitmischen, die die Situation so darzustellen versuchen, als würden sie mit all ihren Anliegen die gesamte Gemeinde repräsentieren. Das ist aber keineswegs der Fall. Mit ihren „Anliegen“ versucht diese Gruppe – wie sich schon in der Vergangenheit als auch jetzt gezeigt hat – aber primär über Medien und in der nichtjüdischen Umwelt Politik zu machen. Es gibt genauso Frauen, die sagen, wir haben kein Problem oder wir wollen sogar den orthodoxen Ritus. Aber noch einmal: Mir steht die Wahl des Ritus gar nicht zu.

Welche Konzepte, die Sie für Baden entwickelt haben, werden Sie nun auch in Graz umsetzen?

❙ Die Führung einer Provinzgemeinde unterscheidet sich sehr stark von der Führung größerer Gemeinden. Provinzgemeinden führt man integrativ, das heißt, wir haben es zumeist mit sehr assimilierten Menschen zu tun, die in gemischt-konfessionellen Ehen leben und die ich nicht abhole, indem ich die nichtjüdischen Ehepartner ausschließe, sondern vielmehr als Gäste integriere, sofern sie sich auch als Gäste benehmen. Das bedeutet, dass man ein Haus in der Provinz sicher offener führen muss, als es in größeren Städten der Fall ist. Man muss auch berücksichtigen, dass es nicht immer nur auf die Masse ankommt. Ich werde immer wieder gefragt: „War ein Minjan?“ Sowohl in Graz als auch in Baden. Und ich sage dann immer darauf, dass es im Grunde vollkommen gleichgültig ist, ob ein Minjan ist, weil es genauso wichtig ist, für neun Personen etwas zu machen, und zwar, weil man auf diese Art ja identitätsfestigend oder -bildend wirkt.

Es gilt auch, Kontakte zu schaffen und zu pflegen, um diese assimilierteren Menschen verstärkt in die Gemeinde zu holen und ihnen einen positiven Zugang zum Judentum zu vermitteln. Wir haben es oft mit Leuten zu tun, die fast gar keinen Zugang zum Judentum haben. Wir haben heuer schon einen Seder gemacht. Daran haben etwa 50 Leute teilgenommen, und wir haben ihn deutsch-hebräisch geführt. Das Wichtigste ist, dass die Leute verstehen, worum es geht. Das sind sicher Dinge, die wesentlich mehr Engagement erfordern. Es ist auch der persönliche Kontakt deutlich notwendiger.

Seit wann gibt es den Religionsunterricht?

❙ Religionsunterricht gibt es in Graz schon seit einer Reihe von Jahren. Seit etwa einem Jahr wird er durch die jetzige und sehr qualifizierte Wiener Religionslehrerin abgehalten. Momentan gibt es in Graz vier Kinder, die unterrichtet werden, wobei ich stets betone, dass es auch für ein Kind wert wäre, einen Unterricht abzuhalten. Gerade bei Kindern muss man identitätsbildend religiös eingreifen. Es ist gerade bei Kindern, deren sozial-jüdische Kontakte sehr eingeschränkt sind, notwendig, Wissen über die eigene Identität oder Religion zu vermitteln. Sonst gehen uns diese Menschen als Juden, die sich auch als Juden identifizieren und sich als solche nach außen bekennen, verloren.

Gibt es auch Schiurim für Erwachsene?

❙ Von Schiurim zu sprechen, wäre sehr hochtrabend. Leute, die fast keine Ahnung haben, brauchen keine Schiurim, sie brauchen die Vermittlung der Grundkenntnisse des Judentums. Wir reden da vom Umgang mit dem Siddur, von ein bisschen jüdischer Geschichte, von Kaschrut. Manche Menschen bringen mitunter weniger Wissen mit als manche Nichtjuden, die sich intensiver mit dem Judentum auseinandergesetzt haben. Wir hatten in Baden eine sehr erfolgreiche Veranstaltungsreihe unter dem Titel Judaism for beginners, bei der wir verschiedene Bereiche des Judentums angesprochen haben: den Lebenszyklus, den Jahreszyk­lus, Kaschrut, Stellung der Frau, Schrifttum. Damit starten wir nun auch in Graz. Wir vermitteln aber auch ergänzend Historisches, also etwa die Geschichte der Juden in Österreich, die Geschichte spezifischer jüdischer Gemeinden, etc. Und wir wollen auch Anliegen und Probleme jüdischer Gemeinden heute thematisieren. Wir werden im September außerdem einen Crashkurs Jüdische Religion anbieten. Langfristiges Ziel ist, dass sich die Menschen am Gemeindeleben, an den Gebeten aktiv beteiligen. Nur dann werden sie immer wieder in die Synagoge kommen. Man muss die Leute eben dort abholen, wo sie sind. Und das ist mitunter eben nicht der Schiurim-Level.

Warum ist es dennoch wichtig, sich diese Arbeit zu machen – auch wenn eine so kleine Gemeinde nur aus ein paar Dutzend Mitgliedern besteht? Warum ist Aufgeben keine Option?

❙ Es gibt zumindest zwei Ebenen der Betrachtung. Das eine ist die von Ihnen vielleicht angesprochene betriebswirtschaftliche, wo mancher in Baden, Graz oder in Innsbruck, Salzburg oder in Linz zum vermeintlichen Schluss kommen könnte, dass sich der Aufwand aufgrund der geringen Anzahl an Gemeindemitgliedern beziehungsweise Aktivitäten gar nicht erst lohnt. Die Frage ist, ob man eine Religionsgesellschaft primär nach betriebswirtschaftlichen Prämissen führen soll – das würde ich klar verneinen. Und es wäre außerdem schwer zu sagen, ab wann es sich auszahlen würde. Sind es 30, 40 oder 50 Personen? Wo ist die Grenze? Ich habe rund um die Erhaltung der Badener Synagoge oder auch in Bezug auf Graz im Wiener Kultusvorstand mitunter gehört: „Was brauchen wir in Graz oder in Baden eine Synagoge?“ Und ich habe dann stets geantwortet: „Ihr braucht sie ebenso wenig, wie die Grazer oder Badener in Wien eine Synagoge brauchen!“

Der zweite Punkt ist, dass die jüdischen Gemeinden in Graz und Baden auf eine sehr lange und starke Tradition zurückblicken, auf eine bedeutende Geschichte. Und es ist nicht so, dass wir in diesen Städten quasi etwas Neues aus dem Boden stampfen. Nach 1945 sind einige wenige Provinzgemeinden, wenn auch in verkleinerter Form, wieder entstanden. Und ich glaube, es ist unsere Verantwortung, an die Tradition von vor 1938 anzuknüpfen, zu investieren, auch in wenige Leute. Ich glaube, wir sollten nicht immer davon ausgehen, dass sich etwas nur rentiert oder Bedeutung bekommt, wenn wir es auf Massen beziehen können. Wenn es nur irgendwie möglich ist, es wirtschaftlich zu bewerkstelligen, dann sind wir verpflichtet, mit dem vorhandenen Potenzial so umzugehen, dass wir möglichst viele Menschen wieder für unsere Gemeinden gewinnen, ihnen das Judentum nahe bringen und Identitäten stärken. Das gilt insbesondere nach der Schoah. Es ist leicht, etwas zuzusperren oder zu beenden, aber es ist bedeutend schwerer, ja, sehr, sehr schwer, Dinge neu zu etab­lieren. Und ich bin der festen Überzeugung, würde man eine Provinzgemeinde sperren, würde man es nie wieder schaffen, sie neu zu etablieren. Das hielte ich menschlich und historisch betrachtet nach der Schoah für unverantwortlich.

Setzt sich die Grazer Gemeine heute vor allem aus Nachfahren von Rückkehrern zusammen?

❙ Nein, es gibt nur wenige Nachkommen aus Rückkehrerfamilien, dazu ein paar Israelis, die in der Steiermark hängen geblieben sind, Mitglieder aus dem angloamerikanischen Raum, aber auch Menschen, die zum Beispiel aus Wien oder anderen Teilen Österreichs nach Graz gezogen sind. Einige Gemeindemitglieder sind zum Judentum konvertiert. Also selbst in dieser kleinen Gemeinde gibt es keine homogene Zusammensetzung.

Wie sieht es mit der koscheren Versorgung aus?

❙ Es gibt in Graz keine koscheren Einrichtungen. Das gibt es außerhalb von Wien nirgends. Die Synagoge hatte streng genommen auch keine glatt koschere fleischige Küche. Es ist sicherlich zutreffend, dass das Gros der Mitglieder keinen koscheren Haushalt führt. Aber ich habe zwei Prämissen. Die eine ist, dass die Synagoge den halachischen Vorschriften, also dem traditionellen ortho­doxen Ritus nach, geführt wird. Und die zweite Prämisse ist, dass die Synagoge über eine glatt koschere Küche verfügt, sodass wir jedem, der nach Graz kommt und darauf angewiesen ist, reinen Gewissens garantieren können, von dieser Küche auch essen zu können. Das wird zum Beispiel bei größeren Veranstaltungen durch Catering bewerkstelligt, wie wir das etwa zu Pessach gehandhabt haben. Das wird auch in Baden so bewerkstelligt, obwohl es dort eine den Anforderungen besser entsprechende Industrieküche und ein Kühlhaus gibt. Die diesbezüglichen Voraussetzungen sind in Graz mit einer Art Haushaltsküche wesentlich schlechter. Da könnte man für so viele Leute gar nicht problemlos kochen. Aber wir werden in Zukunft auch einen Grundstock an koscheren Lebensmitteln in der Synagoge einlagern. So kann man die im Zwei-Wochen-Rhythmus nach dem Gebet stattfindende Seuda versorgen.

Die Synagoge in Graz ist 2000 mit großem Pomp eröffnet worden – Sie sagen, sie weist Mängel auf. Welche sind das konkret?

❙ Die Grazer Synagoge ist einer der schönsten Synagogalbauten, die ich im deutschsprachigen Raum sehen durfte. Sie ist im Wesentlichen eine Glaskonstruktion mit einer bombastischen Glaskuppel. Trotz dieser Konstruktion wurde das Haus aber ohne eine hinreichend dimensionierte Klimatisierung erbaut, was im Übrigen auch auf die Beheizung zutrifft. Das führt dazu, dass wir im Mai/Juni, wenn die Sonne scheint, im Hauptraum bereits 45 Grad Lufttemperatur verzeichnen. Das steigert sich im Sommer noch mehr. Im Winter haben wir den genau umgekehrten Effekt. Wenn es ganz kalt ist, kann man die Synagoge dann auch nicht optimal nützen. Wir arbeiten jetzt mit der technischen Abteilung der IKG Wien diesbezüglich an einer Lösung, die uns vor große Herausforderungen stellt – technisch, aber natürlich auch kostentechnisch. Hinzu kommt, wie erwähnt, dass wir für eine Synagoge mit 230 Sitzplätzen nur über eine Küche in Haushaltsgröße verfügen: mit einem Ceranfeld und einem Haushaltsgeschirrspüler. Ein zu öffnendes Fenster oder eine Entlüftung gibt es erst gar nicht. Da passt also auch etwas nicht zusammen. Hier bräuchte man eine Industrieküche, die auch problemloser gekaschert werden kann.

Die Pfeiler Ihrer Bemühungen sind also: die Nutzbarkeit der Synagoge, das Einhalten des orthodoxen Ritus und der Kaschrut in der Synagoge, Religionsunterricht für die Kinder und Einführung ins Judentum sowie religiöse bzw. kulturelle Bildung für Erwachsene, sodass es am Ende auch in Graz ein wieder erstarkendes jüdische Leben gibt.

❙ Ja, das sehe ich als die Kernaufgaben einer jüdischen Gemeinde. Unsere Aufgabe ist nicht primär die Vermittlung von Wissen über das Judentum an Nichtjuden oder jüdische Folklore und jüdisches Lebensgefühl für Nichtjuden. Wir sind kein Kulturverein. Eine jüdische Gemeinde hat sich primär um die Stärkung des jüdischen Lebens für ihre Mitglieder, Juden, zu kümmern.

Bilder: © Vanessa Sterrazzo

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