„Fundamentalismus jeder Art ist eine Gefahr“

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Meisterhaft präsentiert Miguel Herz-Kestranek die jüdischen Anekdoten über die „Frau von Pollak“. Aber der vielseitige Künstler und Schriftsteller hat durchaus ernsthafte Botschaften im Gespräch mit Marta S. Halpert.

WINA: Sie proben derzeit für die Festspiele Reichenau die Hauptrolle des Hochstaplers Nebel in Johann Nestroys  Posse „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, die im Juli Premiere hat. Was hat Sie an der Rolle gereizt?

Miguel Herz-Kestranek: Die Gage. Ich mache den Job ausschließlich, um davon zu leben. Aber als „Spätberufener“ für Nestroy liebe ich seine musikalische Sprache. Nach meinen Musical-Rollen, zuletzt „Tewje“ in Aanatevka und „Don Quichote“ in Der Mann von La Mancha, sage ich ja scherzhaft, ich bin für das Sprechtheater „verdorben“. Nestroys Spracharabesken und sein Sprachwitz sind aber ein Labsal in der Sprechblasenzeit. Da wird sogar Karl Kraus, bei dem man übrigens am besten über Nestroy nachlesen kann, fast zu seinem Lehrbuben. Heute wird das kaum mehr verstanden, aber Nestroys Durchschauen der Menschen mit Humor und Schärfe ist – leider unübersetzbare – Weltliteratur. Das Musical und meine vielen, teils musikalischen Soloprogramme, haben mich vom introvertierten zum extrovertierten Schauspieler und auch immer mehr zum Komiker geformt, und das kommt mir bei Nestroy nun zugute.

„Rechts ist nicht über Nacht vom Himmel gefallen, es gibt Ursachen und Verantwortliche, und dort ist zuerst anzusetzen.“

Sie sind dem deutschsprachigen Publikum nicht nur als Schauspieler, Kabarettist und Chansonnier mit zahllosen Soloprogrammen und mehr als 180 TV- und Filmrollen bekannt, sondern auch als Autor und Herausgeber von 13 Büchern. Zuletzt haben Sie die Matinee zum 90. Geburtstag von Lotte Tobisch im Wiener Ronacher mit jüdischem Witz und Tiefgang versehen, in dem Sie aus Ihrem Erfolgsbuch „Die Frau von Pollak oder Wie mein Vater jüdische Witze erzählte“ vorgetragen haben. Mir ist aufgefallen, dass es im sehr bunt gemischten Publikum viele gegeben hat, die nicht lachen konnten, weil sie einfach keinen Zugang zum jüdischen Witz fanden. Gibt es in Österreich noch genug Menschen, die den jüdischen Humor verstehen und nachfühlen können?

mhk❙ Ich habe die ganze Benefiz-Matinee gestaltet, auch als meinen Beitrag für den Verein Künstler helfen Künstlern. Aber beim gedrängten Programm mit dem herrlichen Giora Feidman, mit Reden und Ehrungen, hat mir die Zeit gefehlt, in der ich das Publikum sonst zum jüdischen Humor hinführe. Ich beginne immer mit dem Satz aus meinem Buch: „Der jüdische Witz ist kein Witz. Witze haben Pointen, der jüdische Witz hat Humor.“ Dann bringe ich zuerst Parabeln über die Weisheiten der Rabbis, und so folgen mir die Menschen in diese versunkene Welt. Manche erinnern sich ja auch noch an Kabarettlegenden wie Karl Farkas oder an die Art, wie Fritz Muliar jüdische Witze erzählt hat.

Trotz der wunderbaren Anekdoten klingt im Buch über die Frau von Pollak eine tief empfundene Wehmut über das Verschwinden – vor allem der Protagonisten – des jüdischen Humors durch. Sie nehmen Ihre Leser auf eine Reise in eine gänzlich verschwundene Welt mit. Sie schreiben von der „Lauterkeit“ beim Erzählen von jüdischen Witzen. Was meinen Sie damit?

❙ Es kommt beim Erzählen wie beim Aufschreiben auf Lauterkeit an, auf die dabei eingenommene Haltung und die Absicht dahinter. Ob man sich einer Interpretation liebevoll oder antisemitisch nähert, ob das Herz dabei in Respekt und Achtung schlägt, oder ob man verspotten will, ob man aufbaut oder heruntermacht. Und das, behaupte ich, ist sofort hörbar und spürbar. Und es kommt auf das Wissen an über das, wo­rüber man erzählt. Ich wundere mich, wie wenig die Menschen trotz millionenfacher Dokumentation nach wie vor über die Schoah wissen. Mittlerweile wird vielfach relativiert, die Bilder im Kopf werden klischeehafter, und so können die meisten immer weniger nachfühlen. Das ist niemandem vorzuwerfen, es ist leider so.

Krampfen Sie sich auch ein, wenn jemand peinlich jiddelt?

❙ Ja, das ist meist schwer auszuhalten. Die meisten Witze und Anekdoten in der Frau Pollak spielen ja in vergangener Zeit. Und es ist eben ein Unterschied, ob es um einen armen galizischen Hausierer oder um den in dritter Generation assimilierten Wiener Bankier geht, um eine jiddische Mame aus dem Schtetl oder um Parvenüs wie die Frau Pollak, deren Bemühen um die Überwindung des Jüdelns gerade den Reiz der ihr zugedachten Pointen ausmacht. Wichtig ist, dass man es liebevoll und nicht karikierend bringt, sozusagen mit einem gegenseitigen Augenzwinkern. Mein Vater hat diese „Tante-Jolesch-Welt“ noch verkörpert, manchmal ist sie noch aufgeblitzt, und da habe ich die unterschiedlichsten Tonfälle und vieles Andere von Kind an aufgesogen und verinnerlicht.

Sie stammen aus einer Industriellen- und Künstlerfamilie aus dem ehemaligen Wiener jüdischen Großbürgertum. Großvater Eugen Herz und Großonkel Wilhelm Kestranek nahmen führende Stellungen in der österreichischen Wirtschaft ein. In der Familie gab es Schriftsteller, Maler, Schauspieler, Philosophen und Opernsänger sowie auch den k. u. k. General Paul Kestranek oder den Bischof und ungarischen Historiker Vilmos Fraknói …

❙ … der angeblich deshalb nicht Erzbischof wurde, weil er Jude war.

Mütterlicherseits stammen Sie aus einer jüdischen Kölner Kaufmannsfamilie mit dem klingenden Namen Rothschild.

❙ Aber leider so was von nicht verwandt!

Ihre jüdischen Eltern haben einander 1945 im Exil in Montevideo kennen gelernt. Sie haben mit diesem Buch vor allem Ihrem Vater ein liebevolles Denkmal gesetzt. Ihr Vater hat kein bewusst jüdisches Leben geführt. Ist sein jüdisches Bewusstsein erst durch die Vertreibung erwacht?

❙ Mein Großvater väterlicherseits hat sich mit 25 Jahren taufen lassen; ich denke, wie das damals so war, aus Karrieregründen. Über die aus dieser Assimilation folgende Gespaltenheit, könnte man Stunden philosophieren. Mein Vater ist im von mir so bezeichneten „Dünkelantisemitismus“ aufgewachsen, und das hat ihn sicher geprägt.

Was meinen Sie damit?

❙ Ein gewisses Herunterschauen auf die dann auch so genannten „Pajes-Juden“. In meinem Buch über das Exil meines Vaters zitiere ich sehr bewusst eine derartige Briefstelle von ihm, weil auch das zur Wahrheit über Verfolgung und Holocaust gehört.

Auf Ihrer Website bezeichnen Sie sich als „jüdischer Buddh-christ“ und sagen dazu u. a., „ich lebe meine jüdischen Wurzeln, meine christliche Erziehung und meine buddhistischen Erkenntnisse.“ Wie geht das?

❙ Ich bin vehement für die Versöhnung der Religionen, sie zählen zu den Hauptursachen für Krieg. Denken wir nur an Sunniten und Schiiten. Die Christen bequemen sich ja nach 2.000 Jahren langsam, sich mit ihrem Gründer anzufreunden. Ich bin christlich aufgewachsen, und zu meiner Jüdischkeit habe ich erst gefunden, als ich zum Studium nach Wien gekommen bin und etwa die von den Juden geprägte Fin-de-Siècle-Welt kennen gelernt und mich sofort verwandt und verbunden gefühlt habe. Reste dieses Geistes hat mein Vater, der in vierter Ehe die geschiedene Frau eines SS-Hauptsturmführers mit vier strotzend blonden Nazikindern geheiratet hat, in den wenigen Augenblicken verkörpert, in denen er der humorvolle assimilierte Jude vor seiner Emigration war; meistens, wenn Freunde von früher zu Besuch waren.

Und wie kam der Buddhismus in Ihr Leben?

Durch eine TV-Rolle als buddhistischer Mönch, als niemand eine Ahnung schon allein vom Kostüm hatte. Da wurde ein in Wien lebender Mönch aus Sri Lanka besucht und gefragt. Ich war vom ersten Augenblick an „verliebt“ in ihn, und es kam zu einer wunderbaren Freundschaft und auch vielfachen Zusammenarbeiten bei Symposien usw. Durch den Buddhismus habe ich vieles besser verstehen gelernt, etwa auch das Christentum – im Judentum war mir eh’ alles klar!

Sie haben selbst auch Antisemitismus erfahren, auch in schriftlicher Form?

Miguel Herz-Kestranek:  Die Frau von Pollak oder Wie mein Vater jüdische Witze erzählte. Ibera Verlag,  368 S., € 24,90
Miguel Herz-Kestranek:
Die Frau von Pollak oder Wie mein Vater jüdische Witze erzählte.
Ibera Verlag,
368 S., € 24,90

❙ Ja, etliche Male. Schon als ich als Kind klein und oft kränklich war, meinte meine Stiefmutter liebevoll: „Er braucht meine Liebe am meisten, er hat’s halt am schwersten – als Mischling.“ Antisemitismus IST. Einmal mehr, einmal weniger. Jetzt zum Beispiel kommt hunderttausendfacher fundamentalistischer Vernichtungsantisemitismus nach Europa, und der ist den Menschen, die seit Generationen mit „Nicht der Teufel ist das Schlimmste, sondern der Jude“ aufwachsen, nicht einmal übel zu nehmen. Aber in der derzeitigen diskussionsverhindernden Entweder-oder-Verblödung wird das kaum thematisiert. Von vielen Juden sicher auch aus Sorge, es könnte heißen: Schon wieder die Juden!

Sie waren mehrfach in Israel und haben auch einen Dokumentarfilm mit österreichischen Schoah-Überlebenden gemacht. Was war Ihre Motivation?

❙ Ich war im März 1988, also 50 Jahre nach dem „Anschluss“ zu einer Lesereise eingeladen, und es war die „Waldheim-Zeit“. Da musste ich einfach was machen, so entstand das literarische TV-Feuilleton Vergiss das Wort, vergiss das Land über österreichische Emigranten in Israel. Das wurde damals zweimal im ORF und auf 3sat ausgestrahlt und wird auch vom Unterrichtsministerium für Schulen verwendet. Vor drei Jahren hat mich dann Hannah Lessing vom Nationalfonds wieder auf eine Lesereise geschickt.

Sie sind auch ein politisch engagierter Bürger und leidenschaftlicher Europäer: aktiv als Beiratsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, als Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung, als Kuratoriumsmitglied des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes; und Sie waren Vizepräsident des PEN-Clubs. Was sagen Sie zum Erstarken der FPÖ im Zusammenhang mit der BP-Wahl?

❙ Rechts erstarkt weltweit, nicht nur in Österreich. Aber nur reflexartig gegen Strache zu sein, ist kindisch. Rechts ist nicht über Nacht vom Himmel gefallen, es gibt Ursachen und Verantwortliche, und dort ist zuerst anzusetzen. Ich denke, dass in Österreich Blau den Menschen nicht mehr vorzuenthalten ist, deshalb braucht es die harte Auseinandersetzung auf der Sachebene, dort zeigt sich rasch, wer besteht. Und es geht um die Stärkung Europas, vor allem des Europäischen Parlaments. Die derzeitige Nationalstaaterei ist Geschichte.

Miguel Herz-Kestranek wurde 1948 in St. Gallen geboren. Nach dem Abitur studierte er am Reinhardt Seminar in Wien. Die Theaterjahre begannen am Volkstheater und am Burgtheater. Es folgten zwei Jahre am Grazer Schauspielhaus und danach ein langjähriges Engagement am Theater in der Josefstadt. Herz-Kestranek spielte bei den Salzburger Festspielen unter den Regisseuren Maximilian Schell und Otto Schenk. Der Autor und Herausgeber von 13 Büchern ist durch rund 180 Film- und Fernsehrollen sowie internationale Produktionen mit Hollywood-Größen wie Clint Eastwood oder John Malkovich bekannt. Regelmäßig arbeitet er an kabarettistischen Soloprogrammen mit durchwegs eigenen Texten.

Bilder: © Reinhard Engel

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