„Ich würde sagen, das ist schon richtig“

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Bürgermeister Michael Häupl ist Präsident des Jewish Welcome Service und stets ein verlässlicher Partner der jüdischen Gemeinde in Wien. Er sprach mit wina über seine Aufgaben. Von Julia Kaldori

wina: Sie sind Präsident des Jewish Welcome Service, dessen wichtigste Aufgabe es war, Vertriebene zurück nach Wien zu bringen und ihnen die Stadt heute zu zeigen. Nun gibt es sie immer weniger. Wohin verlagern sich die Aufgaben, wohin schwenkt der Fokus des Jewish Welcome Service nach über 30 Jahren?

Michael Häupl: Selbstverständlich verlagern sich unsere Aufgaben. Unser Bemühen ist es immer mehr, auch die Nachkommen ein wenig an die Stadt zu binden. Wir können nur erahnen wie schwer es für Vertriebene sein muss, mit so einer Situation umzugehen, sich wieder mit Wien zu versöhnen.  Das Bild der Stadt ist bei den Nachkommen aber umso schwieriger, weil nicht selbst erlebt, meist aus Erzählungen zusammengetragen. Ich denke, es ist ganz wichtig, ihnen einmal zu zeigen wie Wien heute ist. Mit all der Widersprüchlichkeit natürlich, die Wien ja hat. Im Gegensatz zur damaligen Zeit hat es heute überwiegend schöne Seiten. Eine Bindung zur Heimat der Eltern und Großeltern herzustellen, das ist das Bemühen, das wir heute verfolgen.

„Der Leon war in der Tat ein fast väterlicher Freund. Mehr als nur ein Partner im Zusammenhang mit dem Jewish Welcome Service.“

wina: Es wird in Europa immer offensichtlicher, dass rechtsradikale und nationalistische Stimmen sich verstärken, dass es immer mehr antisemitische Zwischenfälle gibt, da ist auch Wien keine Ausnahme. Sehen sie den Kampf gegen diese Entwicklungen irgendwo auch als Aufgabe des Jewish Welcome Service?

MH: Nein, das ist Aufgabe der Politik, das ist Aufgabe der Gesellschaft. Da braucht man nicht eine Organisation dazu, auch nicht den Jewish Welcome Service. Ich habe ja auch entsprechend Gebrauch davon gemacht, dass man antisemitische Übergriffe schlicht und ergreifend in der Öffentlichkeit auch als solche benennt, sichtbar macht. Es kann nicht sein, dass so etwas verborgen passiert und bleibt. Das ist nicht das Wien des 21. Jahrhunderts. Ja, es gibt solche Erscheinungen, und offensichtlich ist die alte These nicht ganz richtig, dass Armut Radikalisierung erzeugt. Es scheint sich hier eher um eine Armut des Geistes zu handeln, weniger um eine materielle Armut. Dem müssen wir entgegentreten, mit dem müssen wir uns auseinandersetzen, statt wegzuschauen und zu schweigen.

wina: Leon Zelman hat Sie immer als „seinen“ Bürgermeister verehrt. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?

„Ich selbst bin – als nicht mehr ganz junger Mensch – bereits fast fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren.“

MH: Der Leon war in der Tat ein fast väterlicher Freund. Also mehr als nur ein Partner in Zusammenhang mit dem Jewish Welcome Service, der ja sein Kind gewesen ist. Er war wirklich ein Freund im klassischen Sinn des Wortes. Das schließt auch ein, dass man bei Leibe nicht immer einer Meinung war. Und mit Leon Zelman hat man ja auch streiten können. Aber man hat immer gewusst: Man diskutiert jetzt mit einem Freund. Und das ist schon sehr wichtig und macht in der Tonalität natürlich auch was aus. Aber das hat niemals das Vertrauen, das Vertrauensverhältnis gestört, niemals. Ich habe sehr gute Erinnerungen an den Leon und denke oft an ihn. Jewish Welcome Service und Leon Zelman, das ist eins.

wina: Um noch einmal zu unserer ersten Frage zurückzukommen und zu den neuen Aufgaben des Jewish Welcome Service: Was ist die Motivation der Stadt? Gibt es noch eine Schuld abzutragen oder liegen die Motive woanders?

MH: Es gibt sicher auch andere. Ich selbst bin – als nicht mehr ganz junger Mensch – bereits fast fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Also geht es nicht um Schuld, sondern darum, eine der Aufgaben einer modernen Stadt wahrzunehmen und Menschen, die durch ihre Familien eine Verbindung zu Wien haben, eine moderne Metropole zu präsentieren. Und die jüdische Community in Wien war nun einmal immer etwas Besonderes. Dass es neben dem Wahnsinn der Schoa einen eminenten intellektuellen Verlust in der Stadt gegeben hat, kommt in den Diskussionen nicht allzu oft vor. Doch gerade vor diesem Hintergrund Wien attraktiv zu machen, insbesondere für Menschen, die in ihren Familiengeschichten schreckliche Erinnerungen an diese Stadt haben, ist die eigentliche Motivation, warum wir das tun.

wina: Wenn Sie Ihr geistiges Auge durch Wien streifen lassen, wo wären da die „Landmarks“, an denen Sie persönlich jüdische Kultur festmachen? 

MH: Da gibt es natürlich die Syna­gogen. Sie sind die wesentlichsten Landmarks, das ist ja keine Frage. Ich bin aber auch froh, dass das Misrachihaus so renoviert wurde, dass man auf diesen Platz des Gedenkens gehen kann, ohne sich zu genieren. Für das Volk der Bücher einen Bücherkubus als Mahnmal empfinde ich als eine glänzende Idee. Aber es wäre natürlich schade gewesen, wenn die Umgebung nicht adäquat gestaltet wäre. Das hat das Ganze dann maßlos verteuert, weil man erst im Zuge der Bauarbeiten draufgekommen ist, dass das Misrachihaus gar kein Haus ist, sondern lediglich eine Fassade, die zwischen den beiden Nachbarhäusern aufgehängt wurde – und es war eine bautechnische Herausforderung, das so hinzukriegen, dass es nun tatsächlich das Misrachihaus ist. Aber letztendlich findet man diese Wahrzeichen überall in der Stadt, nicht nur in der gebauten Geschichte, sondern auch in den Bibliotheken und Archiven.

„Wenn es etwas zu sagen gibt, dann wird es auch gesagt, und das ist gut so!“

wina: Aber es gibt auch – gerade in den letzten Jahren – ein Aufblühen des modernen, jungen jüdischen Lebens in Wien.

MH: Ja natürlich, gerade in der Innenstadt!

wina: Nicht nur. Die Maccabispiele letztes Jahr waren ja ein tolles Event, der Eruv ist auch eine Neuerung, die jüdisches Leben in Wien erleichtert. Viele neue jüdische Lokale …

MH: … wie die von Frau Molcho – ich liebe ihre Küche …

wina: … ganz aktuell die Einweihung des Gebetsraums am Währinger Friedhof. Es gibt also in den letzten Jahren eine Renaissance jüdischen Lebens in Wien. Durch Kindergärten und Schulen, durch eine leistbare koschere Infrastruktur, durch ein verstärktes jüdisches Kultur- und Gesellschaftsleben wird Wien für Juden immer attraktiver. Tatsache ist aber auch, dass im Gegensatz zu Wien in Budapest jüdisches Leben immer schwieriger wird. Vor Kurzem gab es einen erneuten tätlichen Angriff auf einen religiösen Juden, offener Rassismus und Antisemitismus sind wieder salonfähig. Wien war und ist eine Migrationsstadt. Können Sie sich vorstellen, verstärkt jüdische Migranten nach Wien zu bringen und zu unterstützen? 

MH: Ich erkenne mit großer Sorge diesen steigenden Rechtsradikalismus gepaart mit einem Antisemitismus, wie man ihn seit über 60 Jahren so nicht mehr gesehen hat. Da geht es ja nur mehr von rechts nach noch weiter rechts. Und was Jobbik aufführt, ist ja weit entfernt von allen Grundwerten der Demokratie und unseres gemeinsamen Europas. Ich habe immer betont, dass Wien eine Stadt ist, die offen sein muss für Menschen, die kommen und um Hilfe bitten, weil sie effektiv bedroht sind. Und dass wir ihnen diese Hilfe auch gewähren. Es ist unsere humanitäre Verpflichtung. Sollte in Ungarn eine Situation eintreten, die das jüdische Leben nicht mehr möglich macht, wird man genauso helfen, wie man es seinerzeit getan hat, als man Juden aus der ehemaligen Sowjetunion geholfen hat. Damals war Österreich, in erster Linie Wien, ein Transitland. Entweder sind die Flüchtlinge damals nach Israel weitergereist oder in die Vereinigten Staaten. Ein kleiner Teil ist aber geblieben …

wina: … und hat sich zu einem integrativen Bestandteil der heutigen jüdischen Gemeinde in Wien entwickelt.

MH: Zweifelsfrei eine Bereicherung, und bei den Ungarn erwarte ich mir dasselbe. Und wenn es wirklich zu einer Massenabwanderung kommen sollte, werden wir natürlich helfen, das ist gar keine Frage. Wir haben ’56 geholfen, wir haben bei der jüdischen Immigration aus der Sowjetunion geholfen, und wir würden das heute natürlich wieder tun. Nur das Problem, das wir im gemeinsamen Europa hätten, wenn es tatsächlich soweit käme, dass jüdische Ungarn nicht mehr in ihrer Heimat leben könnten, wäre ein viel größeres.

„... wir haben das alle unterschrieben, wir haben uns dazu bekannt. Und das setzten wir jetzt um!“

wina: Könnte man sagen, dass sich hier nicht ein nationales, sondern ein europäisches Problem entwickelt?

MH: So sehe ich das auch. Und da verstehe ich auch nicht, weit über die Frage der Jewish Community hinausgehend, wieso sich Europa so widerstandlos gefallen lässt, dass permanent europäisches Recht, europäische Grundsätze verletzt werden, gerade auch im Wirtschaftsbereich – wie zum Beispiel die Einführung von Sondersteuern auf ausländische Betriebe. Das müsste eigentlich sofort ein Rechtsverletzungsverfahren in der Union nach sich ziehen. Aber gut, schauen wir mal.

wina: Das fragen sich auch viele Ungarn im In- und Ausland. Wie weit muss es noch gehen, dass irgendjemand eingreift? – Eine letzte Frage: Die jüdische Gemeinde hat ungefähr 7.500 Mitglieder in Wien: zu leise, zu laut?

 MH: Also ich würde sagen, es ist genau richtig. Natürlich sind Herr Oskar Deutsch und Herr Dr. Ariel Muzicant unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Persönlichkeiten von unterschiedlicher Lautstärke. Ich bin immer sehr gut mit beiden ausgekommen, und ich glaube, wir haben miteinander sehr viel weitergebracht. Wenn es etwas zu sagen gibt, dann wird es auch gesagt, und das ist gut so! Man muss nicht täglich in der Zeitung stehen oder im Fernsehen seine Weisheiten verkünden, aber wenn es etwas zu sagen gibt, dann soll man das auch tun. Und ich weiß auch, dass sie für sehr viel mehr Menschen sprechen als für die Mitglieder der Kultusgemeinde. Es gibt ja auch mehr Arbeiter als Gewerkschaftsmitglieder. Ich erwähne hier nur, was sich rund um die Hakoah entwic­kelt hat, einschließlich Schulentwicklung und Altersheim, und viele andere Dinge, die wir ermöglicht haben. Im Eizenstat-Vertrag wurden die Aufgaben klar festgelegt. Und wir haben unsere im Bereich der Hakoah übererfüllt. Es war eine gute Lösung, die Muzicant vorgeschlagen hat, mit der Schulverlagerung, gemeinsam mit dem Maimonides-Zentrum. Bei den Friedhöfen gibt es momentan noch Verhandlungen, aber im Prinzip ist das gelöst und erledigt. Wir haben eben Leute, die gerne verhandeln, und auch in der Kultusgemeinde gibt es Leute, die gerne verhandeln. Aber Gott sei Dank geht immer wieder etwas weiter. Wie die Renovierung und Umgestaltung des Kornhäusl­baus am Währinger Friehof.

wina: Der Währinger Friedhof ist tatsächlich in einem lebensgefährlichen Zustand.

MH: Ich weiß, ich war selbst vor Kurzem dort. Das geht nicht. Das ist der kulturhistorisch bedeutendste unter allen jüdischen Friedhöfen. Aber gut, das ist jetzt auch vorbei, das machen wir jetzt! Ich meine, wir haben jetzt schon jährlich ungefähr 300.000 Euro für die Erhaltung von Friedhöfen an die Kultusgemeinde gezahlt … Auf der anderen Seite gibt es die Finanzierung der Friedhofssanierungen, die der Bund übernommen hat. Das ist nunmehr festgelegt, wir haben das alle unterschrieben, wir haben uns dazu bekannt. Und das setzten wir jetzt um!

[box_info]WINA Info

Die Aufgaben und Tätigkeiten des Jewish Welcome Service, gegründet 1980 auf Initiative von Leon Zelmann, sind vielfältig. Zentrale Aufgabe war damals und ist noch heute die Einladung von vertriebenen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Wien. Besonderer Wert wird dabei auf die Einbeziehung der 2. und 3. Generation der NS-Überlebenden gelegt. Weiters werden zahlreiche Projekte im Schul- und Erwachsenenbildungsbereich, Gedenk-und Erinnerungsinitiativen in Wien unterstützt sowie Information und Service für jüdische Wien-BesucherInnen geboten. Es gibt Kooperationen mit internationalen jüdischen Organisationen, mit österreichischen Gedenkdienern und mit der Stadt Wien.

jewish-welcome.at

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