Hannah Landsmann: „Wichtig ist das Gespräch“

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Kinder für Kultur interessieren. „Man muss ihnen die Möglichkeit geben viel selber anzuschauen, zu checken, zu suchen, zu finden.“ © Jacqueline Godany
Kinder für Kultur interessieren. „Man muss ihnen die Möglichkeit geben viel selber anzuschauen, zu checken, zu suchen, zu finden.“

Kommen die Kleinsten  zu ihr ins Museum, dann empfängt sie diese nicht alleine: Ihr zur Seite steht Celina, eine Puppe mit roten Haaren, die als Kontaktfigur zu den Kindern fungiert. Ist die Neugierde erst einmal geweckt, kann Hannah Landsmann das tun, was sie am liebsten tut: Das Jüdische Museum für  Kinder und Jugendliche erlebbar machen  und ihnen damit Kultur und Geschichte vermitteln. Von Alexia Weiss

wina: Museum: Das ist für viele Kinder ein abstrakter Begriff. Oft kommen sie mit der Schule das allererste Mal hierher, vielleicht auch das erste Mal überhaupt in ein Museum. Wie kann man das Museum als spannenden Ort gestalten?

Hannah Landsmann: Man muss die Kinder abholen, wo sie sind. Man muss ihnen die Möglichkeit geben, relativ viel selber anzuschauen, zu checken, zu suchen, zu finden. In der Vermittlung konfrontiert man Kinder heute nicht mehr frontal mit Inhalten. Sie müssen die Dinge selbst erfahren, und da ist das Jüdische Museum Wien ein toller Ort, weil es so viel Dreidimensionales gibt, so viele Dinge. Und wenn wir fragen, welcher ist euer Lieblingsort im Museum, dann sagen viele: der dritte Stock, dort ist das Schaudepot, da gibt es so viele Dinge.

wina: Zum Großteil sind es ja nichtjüdische Kinder, die ins Jüdische Museum kommen. Was wissen sie über das Judentum?

Sie wissen viel. Es gibt das Kapitel Weltreligionen, und die Religionslehrer unterrichten das auch. Sie wissen viel, und sie fragen auch viel. Zum Beispiel fragen sie, was ist, wenn dem Toraschreiber ein Fehler passiert. Sie kommen aber mit einem bestimmten Blick, und der ist auf die Religion gerichtet, also Feiertage, Feste. Es ist aber so, dass Gegenstände auch etwas anderes erzählen können. Wir versuchen zu vermitteln, dass Dinge gemacht und verwendet worden sind. Wir wollen die historische Dimension hineinbringen. Es geht auch um etwas, das vorbei ist und vor ihrer Zeit war.

wina: Warum ist Ihnen die Geschichtsdimension so wichtig?

HL: Weil das Museum kein Ort für Religionsunterricht allein ist. Es ist ein kulturhistorisches Begegnungszentrum. Es ist ein Ort der Auseinandersetzung, an dem Kultur und Geschichte präsentiert werden. Natürlich liegen die jüdischen Feste da drinnen, aber all das hat eine Geschichte. Und ich finde es wichtig, dass auch Volksschüler wissen, Wien hatte eine Gemeinde, die war groß, und hat jetzt eine Gemeinde, die ist klein. Dass es da offenbar im 20. Jahrhundert ein Problem gegeben hat. Das kann man Kindern sagen. Wir sind kein Holocaust-Museum. Aber sie sollen schon mitbekommen, da war einmal etwas. Und dass Menschen aus den unterschiedlichsten Orten gekommen sind und immer noch kommen, auch mit ihren Küchen und verschiedenen Gewürzen, das vermischt sich und das ist Wien.

wina: Was bringen Sie und Ihr Team bei Sechs- bis Zehnjährigen noch nicht zur Sprache?

HL: Es gibt ein Vermittlungsprogramm, die Schachtel von Lilli. Die Schachtel enthält alltägliche Dinge der Erinnerung, Andenken an eine Kindheit in Wien. Ihre Eltern wurden deportiert. Das will ich Sechsjährigen nicht erzählen, aber bei Neunjährigen kann ich es vielleicht tun. Aber wenn ein Kind fragt, warum in einer Vitrine die Sachen so schwarz sind, dann sage ich, die Synagogen haben gebrannt. Die Kinder sollen fragen; und wenn sie das tun, muss man ihnen antworten.

wina: Was sind im Gegenzug Themen, mit denen man Teenager ansprechen kann?

HL: Gut gehen im Atelier die Statio-nen zwischen Geburt und Tod, weil man in diesem Alter die Übergänge wahrnimmt. Man kommt ins Gymnasium, hat Firmung, jemand heiratet. Das ist für die Vermittlung ein dankbares Thema, weil die Jugendlichen da begreifen, dass jedes Leben Stationen hat. Und man auch Bezüge schaffen kann – zum Beispiel gibt es im Atelier auch das Thema Kaschrut. In den Schulklassen heute gibt es viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, und daher sind immer ein paar islamische Kinder dabei. Und dann frage ich, würden Juden bei einem Halal-Fleischhauer einkaufen? Und das ist etwas, was sie kennen, und sie sind überrascht, dass sie da jetzt vorkommen. Und dann sehen sie, dass Religionen einander ähneln und man sich fragen kann, warum schlagen sich Menschen wegen Religion die Schädel ein? Wir haben aber zum Beispiel auch das Programm Einfach so – so einfach, und da fragen wir sie, was sie erwarten. Und sie sagen, etwas über die jüdischen Feiertage und die Schoa. Wir wollen den Blick aber ausweiten. Wir wollen zeigen, dass wir immer noch ein gemeinsames Hier haben. Und dann schicken wir sie los mit ihren Handys und sie sollen ein Objekt fotografieren, das sie mögen, und eines, das ihnen nicht gefällt oder mit dem sie nichts anfangen können. Und danach sprechen wir darüber. Und dann wurde zum Beispiel ein Objekt einmal positiv und einmal negativ fotografiert, und man sieht, hier geht es auch um Perspektive und Wahrnehmung. Und viele sind dann überrascht und sagen, ich habe eine langweilige Führung erwartet. Aber es gibt hier keine langweiligen Führungen!

wina: Viele Menschen haben ja noch immer mit dem Aussprechen des Begriffs jüdisch ein Problem. Wie vermitteln Sie hier einen positiven Zugang?

HL: Interessant ist, dass es bei den Gruppen, die aus den Bundesländern kommen, viel weniger Andockpotenzial gibt. Und diese Jugendlichen haben dann sehr stereotype Vorstellungen, sie fragen etwa, ob alle Juden einen Bart haben. Das versuchen wir dann zu verhandeln; das geht ganz gut bei den Youngstern, weil man erklären kann, dass Aussagen wie „alle x machen so und so“ immer falsch sind. „Alle Österreicher jodeln“ ist genau so falsch wie „Italiener essen ständig Pasta“. Nicht alle Juden haben einen Bart, ganz einfach.

wina: Entwickeln Sie ständig neue Programme?

HL: Ja, aber es gibt natürlich auch Programme, die länger im Repertoire sind. Jede Wechselausstellung bietet neue Möglichkeiten – ist aber thematisch oft nicht für alle Altersgruppen geeignet. Ich merke, dass ich im Lauf der Jahre aber immer weniger Material verwende, irgendwelche Kärtchen oder Arbeitsbehelfe. Ich merke, dass ich am liebsten rede. Ich möchte, dass dabei ein Gespräch entsteht, und ich möchte, dass sie am Ende die Zeit vergessen und dass, wenn sie hinausgehen, sich ein Fenster geöffnet hat. Dass sie danach etwas denken, was sie vorher nicht gedacht haben, oder auf etwas draufkommen. Es geht um das Gespräch; zuhören, anerkennen, dass es andere Meinungen gibt.

wina: Sie bieten aber nicht nur Programme für Schulklassen, sondern auch für Familien. Was ist das Ziel?

HL: Es geht da meist um Feiertage. Jüdische Familien kommen da weniger, sondern mehr nichtjüdische. Das hängt aber von den Feiertagen ab; zu Purim kommen zum Beispiel auch jüdische Familien gerne. Wir zeigen Objekte, die wir zum Thema Feiertage haben, und es gibt ein Kreativprogramm. Da bastelt man zum Beispiel eine Ratsche, einen Sederteller, einen Chanukkaleuchter. So entsteht ein gemeinsames Erleben von Museum. Diese Programme dauern zwei Stunden, auch weil die Kinder, die dazu kommen, meist sehr jung sind, noch nicht in der Volksschule.

wina: Was macht diese Programme auch für jüdische Kinder attraktiv?

„Es ist wichtig, dass auch Volksschüler wissen, Wien hatte eine Gemeinde, die war groß, und hat jetzt eine Gemeinde, die ist klein.“

HL: Ich glaube, das Interessante kann sein, dass es das Museum gibt und dass sie sehen, es gibt den Sederteller, so wie sie ihn daheim haben, und es gibt andere Sederteller. Und es gibt nichtjüdische Kinder, die sich dafür interessieren, wie wir leben. Und im Idealfall fragt das nichtjüdische Kind das jüdische, „Esst ihr wirklich eine ganze Woche Matze?“ Ich glaube, der Austausch ist wichtig, dass man ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen kann; egal, welcher Teller das ist, der nichtjüdische oder der jüdische.

Zur Person
Hannah Landsmann, geb. in Deutschland, aufgewachsen in Österreich; Studium der Judaistik und Romanistik sowie Lehramt aus Deutsch und Geschichte in Wien; seit 1997 als Kulturvermittlerin am Jüdischen Museum Wien tätig, dort seit 2000 Leiterin der Abteilung Kommunika­tion und Vermittlung.
jmw.at

2 KOMMENTARE

  1. Guten Tag! Ich weiß nicht ob ich bei Ihnen richtig bin. Versuche schon lange mit Menschen der jüdischen Religionsangehörigkeit in Kontakt treten. Das ist gar nicht so einfach. Ich beschäftige mich seit meinem elften Lebensjahr mit dem Holocaust. Ich lese sehr viel und damals gingen mir die Bücher aus und ich nahm mir von meinem Papa ein dickes Buch aus dem Regal. Es hieß „Augenzeugenberichte aus dem dritten Reich“. Jetzt bin fast 49 Jahre und hätte ein paar Fragen aber an jemanden aus der jüdischen Bevölkerung. Leider gibt es davon nicht mehr viele in Österreich. Gehören sie auch der jüdischen Religionsgemeinschaft an? Ich wäre über eine Antwort sehr erfreut. MfG Birgit Bachinger

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