WINA EDITORIAL

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Die Orbán-Regierung in Ungarn hat das heurige Jahr zum Holocaust-Gedenkjahr erklärt und damit eine „Judenfrage“ in Ungarn geschaffen – wie die Kollegen im Pester Lloyd schreiben.

Der Dachverband der ungarischen jüdischen Gemeinden nimmt – neben vielen anderen jüdischen Organisationen – NICHT an den offiziellen „Feierlichkeiten“ teil. Bevor sie diese Entscheidung trafen, haben sie mit der Regierung versucht, über eine Lösung für drei zentrale Probleme zu verhandeln:
1. Die Aufstellung eines Denkmals zur Erinnerung an die Besetzung Ungarns durch das Deutsche Reich (als Symbol für die Opferrolle Ungarns). 2. Der Historiker Sándor Szakály, der die Rolle des ungarischen Staates beim Massaker von Kamjanez Podilskyj (heute Ukraine), bei dem 1941 20.000 Juden ermordet wurden, als „fremdenpolizeiliche Maßnahme“ bezeichnete und gleichzeitig jener Institution vorsitzt, die das Holocaust-Gedenkjahr mehrheitlich koordiniert (und nebenbei auch als Zensurbehörde für künftige Schulbücher fungiert). 3. Die Einrichtung des sog. „Haus der Schicksale“ (siehe dazu den Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész), das ohne Beteiligung der Opferverbände, dafür unter der Beteiligung umstrittener Historiker, wie Sándor Szakály und Mária Schmidt (Leiterin des Haus des Terrors), konzipiert werden soll.

„Der jüdische Dachverband würde die jahrhundertelange erfolgreiche ungarisch-jüdische Koexistenz im Karpatenbecken, mit ihrem Boykott, negativ beeinflussen.“ János Lázár

Nach langem Schweigen kam dann die Antwort der Regierung: Vor den Wahlen verhandeln sie nicht über die strittigen Punkte. PUNKT! Als Schlagsahnehäubchen verlautbarte dann der zuständige Staatsekretär János Lázár bei einer Parteiveranstaltung, der jüdische Dachverband würde die jahrhundertelange erfolgreiche ungarisch-jüdische Koexistenz im Karpatenbecken mit seinem Boykott negativ beeinflussen. Meint er damit den Erfolg unzähliger Pogrome oder die Vernichtung der Mehrheit des ungarischen Judentums im Holocaust? Meint er damit, dass Juden nicht Ungarn sind und Ungarn nicht Juden?

Die ungarische Regierung hat damit 2014 wohl eine „Judenfrage“ geschaffen – und gleichzeitig ein vereintes Judentum, wie es in Ungarn seit langen Jahrzehnten nicht mehr existierte. Jüdische Intellektuelle, Institutionen, Opferverbände und Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten bekennen sich offen und wehren sich gemeinsam gegen die Maßnahmen dieser Regierung, gegen ihren Geschichtsrevisionismus, gegen ihre nationalistischen Tendenzen. Sie bekennen sich zum Karpatenbecken, zu ihrer Heimat und der Heimat ihrer Vorfahren. Einer Heimat, die es Ihnen nicht immer leicht macht, sich zu Hause zu fühlen.

Julia Kaldori

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