Wohlfühlen bei ESRA

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Seit 1994 betreut das psychosoziale Zentrum die Wiener jüdische Gemeinde, aber auch chronisch traumatisierte Patienten mit unterschiedlichen Gewalterfahrungen. Die Akzeptanz in der Community ist inzwischen hoch.
Von Alexia Weiss


Eine Dame, Anfang 70, hat Probleme mit ihrem Vermieter und wendet sich an die Sozialberatung von ESRA. Im Lauf der Beratungsgespräche stellt sich heraus, dass die Dame Holocaust-Überlebende ist, aber bisher keine Entschädigungszahlungen beantragt hat, obwohl sie Anspruch hätte. Man hilft ihr bei der Geltendmachung, und während der Gespräche erzählt sie auch über gesundheitliche Probleme. Die Sozialarbeiterin kann sie dazu motivieren, einen Termin in der Ambulanz von ESRA wahrzunehmen, wo man ihr schließlich medizinisch und psychologisch hilft.

Interdisziplinärer Ansatz

Das Einzigartige am psychosozialen Zentrum ESRA der IKG ist der interdisziplinäre Ansatz, sind sich der ärztliche Leiter, Klaus Mihacek, sowie die Leiterin der sozialen Arbeit, Gerda Netopil, einig. Zudem sei ESRA Vorreiter, was die Therapie von Psychotrauma anbelangt – und dafür auch über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt, betont Geschäftsführer Peter Schwarz.

Worauf das Führungstrio stolz ist: den niederschwelligen Zugang, der hier angeboten wird, und das Bemühen, die Bedürfnisse der Patienten und Klienten in den Mittelpunkt zu stellen. „Ich glaube, dass es keine andere Einrichtung in dieser Größe gibt, die so wenig bürokratisch, so wenig amtlich agiert, so wenig Krankenanstaltscharakter hat und so sehr auf die jeweilige Situation der einzelnen Person eingeht“, betont Schwarz. Mihacek freut sich auch über die hohe Identifizierung der Mitarbeiter mit der Arbeit von ESRA. „Sie sind motiviert und es ist ihnen eine Herzensaufgabe.“

3.000 Menschen nehmen Jahr für Jahr die Angebote von ESRA in Anspruch. Manche bekommen eine kurze Beratung in der Sozialabteilung, bei anderen wird die ganze Familie mehrmals in der Woche therapeutisch und/oder sozialarbeiterisch betreut. Immer wieder umfasst die Unterstützung eben beide Bereiche, wie im Fall der älteren Dame.

„… eine Einrichtung, die auf die jeweilige Situation der einzelnen Person eingeht.“ Peter Schwarz

Holocaust-Überlebende wie sie machten in den Anfangsjahren von ESRA seit 1994 das Gros der betreuten Menschen aus. Damals ging es darum, Antrag auf Zahlungen der Repub-lik beim Nationalfonds zu stellen – für viele der Betroffenen das erste Mal, dass sie ausführlich über ihre Erlebnisse in der NS-Zeit sprachen. Das führte bei manchen zu einer Retraumatisierung, immer wieder brachen Überlebende noch in den Räumlichkeiten des Nationalfonds zusammen. „Hannah Lessing hat uns dann angerufen und wir haben uns noch am selben Tag um die Betroffenen gekümmert“, erinnert sich Mihacek.

Die Behandlung von Traumata ist bis heute eines der Hauptgebiete der Ambulanz von ESRA, deren Team sowohl Ärzte als auch Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten, Diplomkrankenpflegepersonen und Sozialpädagogen umfasst. Einerseits werden ebenfalls traumatisierte Nachfahren von Holocaust-Überlebenden (zweite und dritte Generation – dabei nicht nur jüdische Betroffene, sondern Menschen aus allen Opfergruppen wie etwa auch Roma und Sinti) betreut, andererseits aber auch Traumatisierte nach Flucht- und Foltererfahrungen oder zuletzt im Zuge des Aufdeckens der Missstände in ehemaligen Kinderheimen auch diese Betroffenen. Hier habe ESRA bereits viel Erfahrung durch die Begleitung der Spiegelgrund-Opfer. „Und es ist erschreckend, wie sehr sich die Bilder hier gleichen“, betont Mihacek.

Der zweite Fokus
Führungstrio bei ESRA: Geschäftsführer Peter Schwarz, die Leiterin der sozialen Arbeit, Gerda  Netopil, und ärztlicher Leiter Klaus Mihacek (v. li. n. re.).
Führungstrio bei ESRA:
Geschäftsführer Peter Schwarz, die Leiterin der sozialen Arbeit, Gerda Netopil,
und ärztlicher Leiter Klaus Mihacek
(v. li. n. re.).

Der zweite Fokus der ESRA-Ambulanz liegt bei der psychosozialen Betreuung der jüdischen Gemeinde Wiens. Hilfe wird hier bei allen psychiatrischen und psychologischen Problemen geboten – von der Diagnose bis zur Therapie. Nur Suchterkrankungen können hier nicht behandelt werden. Kinder und Jugendliche werden nicht nur bei ESRA selbst, sondern auch an den jüdischen Schulen betreut. Hier geht es nicht nur um Verhaltensauffälligkeiten oder Probleme in der Familie, sondern auch um die Diagnostik von Lese-, Rechtschreib- und Rechenschwächen und die entsprechenden Unterstützungsangebote. Ein ganz besonderes Therapieangebot ist das „Reflecting Team“: Hier wird die Interaktion in einer Familie in der Therapiesituation von weiteren Therapeuten durch einen Spiegel beobachtet. „Das ist eine unglaublich aufwändige Methode, die uns aber in dysfunktionalen Familien sehr helfen kann“, betont Mihacek.

Für Institutionen wie das Maimonides-Zentrum, Hemayat, eine Einrichtung für Folteropfer, inzwischen aber auch für Grundversorgungseinrichtungen des Fonds Soziales Wien (hier werden Asylwerber betreut) bietet ESRA einen Consiliar-Liaison-Dienst, ist also an bestimmten Tagen (im MZ täglich) mit einem Team vor Ort, um Diagnosen zu erstellen und therapeutische Hilfe zu leisten.

Die Sozialberatung ist hauptsächlich damit beschäftigt, Menschen zu helfen, ihr Leben finanziell gesichert führen zu können. „Da geht es um die Sicherung der Pension, Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe, bedarfsorientierte Mindestsicherung oder Wohnbeihilfe. Wir helfen bei der Geltendmachung oder bei Problemen mit der Auszahlung“, schildert Netopil. Immer noch stellt ESRA zudem Anträge für NS-Entschädigungen und Rentenzahlungen aus diesem Titel – „und wir sind die einzige Institution, die hier hilft“. Viel hat das Sozialarbeiterteam auch mit dem Fremdenrecht zu tun. „Wir sind eine jüdische Migra-tionsgemeinde. Da geht es um den Aufenthalt, den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Staatsbürgerschaft.“

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stehen auch bei familiären Prob­lemen zur Verfügung: bei Trennung, Scheidung, Gewalt in der Familie – hier gibt es als sehr niederschwelligen Zugang zudem die Telefonhotline Shalom Bait. Außerdem organisiert das Team den ehrenamtlichen Besuchsdienst für Holocaust-Überlebende, die ihre Wohnung nicht mehr verlassen können. Und schließlich bietet ESRA einen täglichen koscheren Mittagstisch, mit dem Club SchelAnu einen Seniorentreff und verschiedenste Freizeitgruppen, von einer Tanzgruppe bis zur Konversation in Hebräisch – immer steht das soziale Mitein­ander im Mittelpunkt.

Für Klienten

Für Klienten und Patienten sind all diese Angebote kostenlos. Von Versicherten benötigt ESRA die e-card, um mit der Krankenkasse abrechnen zu können. Lediglich für den Mittagstisch ist ein geringer Beitrag zu bezahlen.

Wie aber finanziert sich eine Einrichtung, die im Jahr 3.000 Menschen – viele von ihnen regelmäßig – betreut? Größter Geldgeber ist die Stadt Wien über den Fonds Soziales Wien, der 75 Prozent der benötigten Mittel zur Verfügung stellt, erläutert Schwarz. Über die Verrechnung mit den Krankenkassen erhält ESRA rund acht bis zehn Prozent der im Jahr benötigten Mittel. Drei Prozent steuert die Kultusgemeinde bei, vier bis fünf Prozent der Nationalfonds. Der Rest von etwa zehn Prozent wird durch Spenden und Verlassenschaften – „das empfinden wir als große Anerkennung unserer Arbeit“ – aufgebracht. Die Kulturarbeit von ESRA sieht Schwarz als Tool der Öffentlichkeitsarbeit. Auch so könne man auf die Probleme der Klienten und Patienten hinweisen, die die speziellen Leistungen des psychosozia-len Zentrums notwendig machen.

Er und das ganze Team seien stets bestrebt, alles, was sich in der praktischen Arbeit von Ambulanz und sozialer Arbeit als nötig herausstelle, zu ermöglichen, betont Schwarz – allerdings mit vorausschauender Planung, die auch die langfristige Finanzierbarkeit einer Erweiterung des Angebots berücksichtigt. Wichtig ist Mihacek, Netopil und Schwarz, dass die Institution niemals still steht: So wie sich das Angebot weiterentwickle und an den Bedürfnissen der Klienten und Patienten orientiere, so entwickeln sich auch die Mitarbeiter weiter: Kontinuierliche Fortbildung wird in der Tempelgasse groß geschrieben.  esra.at

WINA KULTUR-TIPP
Vertriebenes Kabarett
Oh, Donna Clara!
Fritz-Löhner-Beda-Matinee
Benefizveranstaltung zu Gunsten des psychosozialen Zentrums ESRA
Mit Cornelia Horak, Boris Eder (Bild), Christoph Wagner-Trenkwitz und Alexander Kuchinka
Sonntag, 30. März 2014, 11 Uhr
Stadtsaal, Mariahilfer Straße 81,
1060 Wien
stadtsaal.com

Fritz Löhner-Beda (1883–1942) war eines der literarischen Multitalente der Zwischenkriegszeit, bekannt für sozialkritische Gedichte ebenso wie für legendäre Schlagertexten à la Ausgerechnet Bananen oder Operettenklassiker wie Dein ist mein ganzes Herz.

© Peter Rigaud/ESRA ; © Johannes Cizek/ORF  © Josef Polleross/ESRA

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