Elisabeth Åsbrink: Wie Otto zu Ikea kam

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„Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume.“ Nach mehr als 70 Jahren erzählen über 500 Briefe und die Journalistin Elisabeth Åsbrink vom Schicksal eines Wiener jüdischen Kindes in Schweden. Von Anita Pollak

Anständig, brav und treu“, sollte ihr Bub bleiben und natürlich gesund. In hunderten Briefen schrieben sie Otto von ihrer Liebe und ihrer Sehnsucht nach ihm. Doch ihr einziges Kind in Sicherheit zu wissen und „bei guten Leuten“, bedeutete ihnen gleichzeitig Glück und Trost. 13 Jahre war Otto, als sich seine Eltern am Wiener Ostbahnhof von ihm verabschiedeten. Gemeinsam mit ihm gelangten 100 möglichst „wohlgeratene“, möglichst getaufte „nicht-arische“ Kinder auf Betreiben der in Wien tätigen christlichen „Schwedischen Israelmission“ 1939 nach Schweden, in Kinderheime und zu Pflegeeltern.

Nicht mehr als zwei Jahre sollten sie bleiben und dann ihren Eltern in deren Exilländer nachfolgen. Josef und Elise Ullmann gelang die Flucht aus Wien nicht. Sie kamen 1944 in Auschwitz um. Otto Ullmann wuchs in Schweden auf, ging 1948 für einige Zeit nach Israel, kehrte aber wieder zurück. Als Schwede fühlte er sich nie, obwohl er eine Schwedin heiratete und drei Kinder mit ihr hatte. Und einen guten Jugendfreund, mit dem er viel teilte. Ingvar Kamprad, den Gründer von Ikea, der damals ein überzeugter Nazi war.

All das hat Elisabeth Åsbrink rekonstruiert, recherchiert und in einem berührenden Buch nacherzählt. Seine Basis bilden die Familienbriefe, die ihr Ottos Tochter in einem Ikea-Karton überreichte. Es ist wieder einmal eine Geschichte, die quasi als Flaschenpost 70 Jahre später zu uns kommt. Mit vielen Rätseln, denn Otto ist tot und über seine Wiener Familie hat er nie gesprochen. Seine Kinder hatten die Brief nicht gelesen, sie können nicht Deutsch und kannten nicht einmal die Namen der fünf Briefschreiber, Ottos Eltern, Tanten und Onkel, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte. Mitte März wurden an ihrer Adresse in der Löwengasse 49 Stolpersteine für sie enthüllt. Elisabeth Åsbrink kam aus diesem Anlass nach Wien.

wina: Was bedeutet es Ihnen als Schwedin, dieses Buch in Wien vorzustellen?

❚ Elisabeth Åsbrink: Für mich ist es ein großer symbolischer Akt, dass dieses Buch jetzt auf Deutsch erscheint und die Briefe damit in der Sprache, in der sie geschrieben wurden. Aber auch für die Ullmann-Familie, die mir ja das Vertrauen geschenkt hat, indem sie mir die Briefe übergab. Ihr Vater sprach niemals Deutsch, weil er die Sprache lange Zeit hasste. Sie wussten nur, dass es die Briefe gab. Tochter Eva sagte, dass bei ihnen daheim niemand je das Wort Juden in den Mund genommen hatte. Ottos Familie in Wien war assimiliert gewesen, sie aßen Schweinefleisch und feierten Weihnachten, waren aber offenbar bewusste Juden.

„ Meine Eltern hatten verschiedene Arten, ihr Judentum zu verleugnen.“

Sie beginnen das Buch mit einem Hinweis auf Ihre eigenen jüdischen Wurzeln, die in der Familie tabuisiert wurden. War denn Jüdisch-Sein in Ihrer Jugend in Schweden gleichsam ein Makel?

13 Jahre war Otto Ullmann, als sich seine Eltern am Wiener Ostbahnhof von ihm verabschiedeten. Er und 100 andere „wohlgeratene“ Kinder überlebten den Krieg in Schweden.
13 Jahre war Otto Ullmann, als sich seine Eltern am Wiener Ostbahnhof von ihm verabschiedeten. Er und 100 andere „wohlgeratene“ Kinder überlebten den Krieg in Schweden.

❚ Absolut. Meine Eltern hatten verschiedene Arten, ihr Judentum zu verleugnen. Meine Mutter, eine sephardische Jüdin aus England, hatte dort negative Erfahrungen gemacht. Sie verbot mir, darüber zu sprechen. Mein Vater, 1936 in Budapest geboren, war sogar getauft, doch sein Vater wurde umgebracht, er selbst konnte sich retten, doch für ihn war Jude zu sein ein Todesurteil. Er war, wie er sagte, froh, dass ich Kinder mit einem Nicht-Juden habe, denn dadurch würde „es“ schneller aus dem Blut verschwinden. So bin ich aufgewachsen. Das Klima in den 70ern in Schweden war sehr Anti-Israel und es gab auch einen linken Antisemitismus.

Ihr Buch ist eine Mischung aus Dokumentation und Erzählung, fast so etwas wie ein Briefroman. Sie ergänzen die Briefe aber mit zeitgeschichtlichem Unterfutter und Sie imaginieren dabei viel. In Schweden wurde es 2011 als bestes Sachbuch ausgezeichnet. Wie würden Sie selbst es bezeichnen?

❚ Ich bin Journalistin, und es ist ein Sachbuch, weil es auf Fakten beruht. Ich mache das immer sehr klar, wenn ich mir etwas dazu denke und ergänze. Ich hatte viele zusätzliche Informationen und Details, denn es gibt 524 Briefe, von denen nur 53 ausgewählt wurden. Ich schreibe aber auch Stücke – vielleicht bin ich ja auf dem Weg zur Schriftstellerin.

Wie hat die schwedische Kirche auf das Buch reagiert? Für mich war es überraschend, dass es in Wien eine „Schwedische Israelmission“ in der Seegasse gegeben hat. Ihre Rolle bei der Rettung von Wiener Juden ist hier nicht so bekannt. Was wusste man in Schweden davon?

Elisabeth Åsbrink: Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume. Ein jüdisches Schicksal in Schweden. Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek. Arche 2014, 320 S.,€ 25,70
Elisabeth Åsbrink:
Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume. Ein jüdisches Schicksal in Schweden. Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek. Arche 2014, 320 S., €25,70

❚ Das ist ein kleiner, keineswegs allgemein bekannter Teil schwedischer Geschichte, den ich aufdecken konnte. Ich kritisiere ja nicht, was sie machten, aber die theologische Grundlage ihrer guten Taten. Weil ich das ziemlich provokant und antisemitisch finde, z. B. dass die Kinder getauft wurden. Glücklicherweise konnte ich in einem kirchlichen Archiv die Originalbriefe der Personen finden, über die ich schreibe. Sie waren an den höchsten Positionen der Kirche, sogar der Erzbischof war damit befasst. Die Leute, die heute mit diesen Personen oder der Organisation in irgendeiner Weise verbunden sind, reagierten zum Teil betroffen.

Etwas ganz Besonderes ist die Beziehung zwischen Otto und dem Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der ja in Schweden fast eine Ikone ist. Wie steht er zu Ihren Enthüllungen? Wie hat die schwedische Öffentlichkeit darauf reagiert?

❚ Kamprad war gleich einverstanden, über Otto zu sprechen, und ich habe daraufhin ein langes Interview mit ihm geführt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt aber schon, dass er tief in der faschistischen Bewegung dieser Zeit engagiert war, die extrem antisemitisch war, was er leugnete. Die beiden trafen sich, als er 18 und Otto 19 Jahre alt war, und er gestand mir, dass er sich einfach in Otto „verliebte“. Sie waren viel beisammen, jagten den Frauen nach, gingen fischen, und Otto war auch bei den Anfängen von Ikea dabei. Für ihn war es, wie er sagte, kein Widerspruch, Faschist und gleichzeitig Ottos Freund zu sein. Ich fand heraus, dass der Geheimdienst damals Kamprad als Mitglied Nummer 4014 der schwedischen Nazi-Partei SSS unter Beobachtung hatte. Manche Menschen waren über meine Enthüllungen entsetzt, die meisten aber, wie auch Ikea, wollten es herunterspielen. Das funktionierte nicht, es wurde daraufhin eine weltweit bekannte Geschichte.

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