Die Lücke, die bleibt

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Zeichnung: Karin Fasching

Im Kampf um die Aufmerksamkeit müssen Museen heute allerorts medienwirksam Wirkung zeigen. Spektakuläre Architektur, spektakuläre Inhalte. – Ein „Haus der Geschichte“ aber gibt es bis heute nicht. Von Paul Divjak

Vor einiger Zeit erschien ein bunter Bildband: Vintage Vienna. Die Bilder unserer Kindheit. Das Buch versammelt Fotografien, die UserInnen auf der gleichnamigen facebook-Plattform geteilt hatten. Es zeigt „Wien im Wandel der Zeit“, „die schönsten Bilder von Österreichs Hauptstadt aus Winkeln und Perspektiven, die es heute nicht mehr gibt […]“, wie es im Klappentext heißt.

Vor lauter Begeisterung über den Feelgood-Charakter der bildgewordenen (gemeinsamen) Vergangenheit wird allerdings mitunter auf die dringend notwendige Verortung des historischen Materials vergessen.

Auf einem der Bilder findet sich innerstädtische Brache, auf der ein Auto abgestellt ist. Links im Bild: eine Feuermauer. Der Bildtext lautet: „Entstanden ist diese Aufnahme Mitte der 1960er-Jahre in der Müllnergasse 21 im Servitenviertel. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock mit Eigentumswohnungen.“

Fakt ist, bis November 1938 stand an jener Stelle die Vereinssynagoge Müllnergasse (an die heute eine Gedenktafel an der Außenfassade des erwähnten Neubaus erinnert). – Es sind Lücken wie diese, für die ein „Haus der Geschichte“ sensibilisieren, denen es etwas entgegenhalten könnte.

Verankert im Programm, aber nie errichtet

1998 von Leon Zelman und Caspar Einem initiiert, wurde die ursprüngliche Idee eines „Hauses der Toleranz“ im ehemaligen Palais Epstein über ein Jahrzehnt lang diskutiert, gelobt, kritisiert, wieder verworfen. Als „Haus der Geschichte“, verankert im österreichischen Regierungsprogramm der Jahre 2000, 2003 und 2007, ist das Museum bis heute weder geplant, geschweige denn errichtet und eröffnet worden.

Vor- und Machbarkeitsstudien wurden in Auftrag gegeben, Analysen erstellt. Ein politischer Konsens hinsichtlich Standort, inhaltlicher Ausrichtung und Überzeugung ob der gesellschaftlichen Relevanz fand sich allerdings zu keiner Zeit.

Bezüglich des Budgets hatte der Bundeskanzler 2012 festgestellt: „Die Realisierung richtet sich nach den finanziellen Möglichkeiten, eine exakte Angabe des Zeitpunkts, zu dem die Ressortspielräume des Bundeskanzleramts die Realisierung ermöglichen, ist derzeit nicht möglich.“

„Was einzelne Individuen zu einem Wir zusammenbindet, ist die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbilds ...“ Jan Assmann

Seit dieser Aussage hat die Zivilgesellschaft, haben die Steuerzahler ganz andere Facetten einer erweiterten Palette der „Ressortspielräume des Bundeskanzleramtes“ kennen gelernt. – Ein „Haus der Geschichte“ aber gibt es immer noch nicht.

Zwischenzeitlich hat es von Seiten der SPÖ auch Vorschläge gegeben, das Heeresgeschichtliche Museum und das Staatsarchiv als „Haus der Geschichte“ zusammenzulegen. Freilich eine naheliegende österreichische Lösung, um eine klaffende Lücke zu füllen: ein zeithistorisches Museum, wesentlicher Ort der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, angesiedelt als konturloser Mitläufer auf den Standbeinen der Militärhistorie und des staatlichen Archivkörpers.

Aktuell hat sich das Land Niederösterreich den Begriff „Haus der Geschichte“ geborgt. In St. Pölten errichtet man bis 2017 ein solches als Appendix des Landesmuseums, in ihm soll „die historische Entwicklung des Bundeslandes weitreichend aufgearbeitet werden“.

Ökonomie der Aufmerksamkeit

Im Kampf um die Aufmerksamkeit müssen Museen heute allerorts medienwirksam Wirkung zeigen. Spektakuläre Architektur, spektakuläre Inhalte: große Namen, Melodramen. Von Stararchitekten kommt die köstliche Hülle, der globale kulturelle Konsens bildet die köstliche Fülle. Allerorts gilt es (kunst-)historische Blockbuster zu produzieren, quotenmachende Touristen-Highlights.

Bisweilen aber braucht es einfach Mut. Mut dazu, auch Schritte zu setzen, die möglicherweise nicht dem absehbaren und unmittelbar evaluierbaren Erfolg gelten, die aber zur Etablierung von gesellschaftskulturell und -politisch relevanten Orten der Erinnerungskultur beitragen; zukunftsorientiert, fundiert, kritisch. Ohne Anspruch auf leichte Konsumierbarkeit.

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