IGNAZ KIRCHNER: „Tabori war ein großartiger Animator“

2007

Der Burgtheaterstar erzählt von der langjährigen Arbeit mit dem großen „Spielmacher“ und den wichtigen Themen in seinem Leben: Judentum, Liebe und Tod. Von Marta S. Halpert

wina: Sie waren nicht nur einer der Lieblingsschauspieler von George Tabori, sondern ihm auch in inniger Freundschaft verbunden. Erzählen Sie uns von Ihrem allerersten Zusammentreffen mit ihm?

 Ignaz Kirchner: Das war 1984 in München; wir saßen in einem Lokal in der Nähe der Kammerspiele an verschiedenen Tischen. Plötzlich kam er zu mir herüber und sagte: „Ich habe dich in Wilhelm Reichs Rede an den kleinen Mann gesehen. Ich hätte Lust, etwas mit dir zu machen. Hast du vielleicht auch Lust?“ Ich sagte ja, und das war unser erster Kontakt.

Haben Sie je für ihn vorsprechen müssen?

❙ Nein, weder bei Peter Zadek noch bei George musste man vorsprechen. Beide hatten eine profunde Menschenkenntnis: Da trank man einen Kaffee zusammen, und die konnten das dann schon einschätzen.

Wie war es, mit George Tabori zu arbeiten?

❙ Die erste gemeinsame Arbeit war das Drama Totenfloß von Harald Mueller. Das kam sehr gut an, es handelte sich um ein Endzeitstück in einem atomar und chemisch verseuchten Deutschland – kurz davor ereignete sich die Katastrophe in Tschernobyl. George hat das so inszeniert, dass wir zweieinhalb Stunden im Wasser stehen mussten. Das war unsere erste Arbeit und die war sehr schön.
Er ging dann nach Wien, um sein Stück Mein Kampf zu schreiben. Und er hat gesagt, dass er bei der Figur des Schlomo Herzl bereits an mich gedacht hat. Er holte mich dann nach Wien, und die Premiere fand im Mai 1987 am Akademietheater statt. Er wollte eigentlich nur dieses eine Stück hier machen, aber dann sind doch ein paar Jährchen daraus geworden.

Tabori hatte aber vor der Uraufführung in Wien Angst. Angeblich ließ er sich ein Fluchtauto vor das Theater stellen, falls es zu einem Theaterskandal kommen sollte …

❙ Damals war Wien das Antisemitischste, was ich kannte. Ich kam ja aus Deutschland und mitten in die Waldheim-Affäre hinein: Wir standen vor dem Stephansdom, um zu protestieren. Was wir da zu hören bekamen, war unfassbar: Was für einen Hass es da gab!

Hat sich da etwas geändert?

❙ Vielleicht ist es etwas weniger geworden, aber der Antisemitismus ist hier ständig präsent, ebenso wie die Fremdenfeindlichkeit. Ich möchte hier nicht auf dem Land leben, da ist es sicher noch viel schlimmer. Sicher gibt es heute in den ehemaligen Ostblockländern oder auch in Frankreich ebenfalls Antisemitismus, das ist so, und das wird auch immer so bleiben. Das wird sich nicht ändern.

Wie ist Tabori mit seinem Judentum umgegangen? Wie hat sich das im täglichen Umgang mit ihm manifestiert?

„Je älter er wurde, umso stärker fühlte er sich zum Judentum hingezogen. Er meinte auch, er sollte vielleicht nach Israel gehen.“

❙ George war so großartig, so weltoffen, er konnte sogar über die Juden lachen. Er meinte, dass es genau so viele blöde und arrogante Juden gebe wie blöde Italiener oder Deutsche. In einer Diskussion sagte er einmal zu einem jüdischen Teilnehmer: „Wissen Sie, Jude sein ist nicht abendfüllend.“ Und das darf nur ein Jude sagen, wenn es wer anderer sagt, ist es antisemitisch.

Ging es Tabori um die Religion oder war es eher die Suche nach der Gemeinschaft?

❙ Je älter er wurde, umso stärker fühlte er sich zum Judentum hingezogen. Er meinte auch, er sollte vielleicht nach Israel gehen. Aber er suchte eher die Gemeinschaft, denn die Religion hat er sich selbst zusammengebastelt. Trotzdem, glaube ich, war da schon eine starke Sehnsucht.

War er auf G-tt böse, weil dieser den Tod seines Vaters in Auschwitz 1944 zugelassen hat?

❙ Der Vater kam immer wieder hoch, das war ein ganz starker Bezugspunkt bei George. Er hatte auch ein schlechtes Gewissen, dass er so früh, also 1935 schon von zu Hause weggegangen ist. Es war das Trauma des Überlebenden, das haben viele Juden, die gerettet wurden.

Also hat er nicht mit G-tt gehadert?

❙ Er war von Grund auf kein aggressiver Mensch, er hatte die wenigsten Ausbrüche, weder in der Arbeit noch privat. Peter Zadek war viel aggressiver, der hat mit G-tt gestritten. Bei George ging es in seinen Arbeiten immer um das Judentum, aber auch um allgemein Menschliches, wie Liebe und Tod. Er setzte seinen englischen trockenen Humor ein, wenn es um den Tod ging. Er war psychoanalytisch sehr interessiert, er beschäftigte sich mit der Gestalttherapie, da kannte er sich besonders gut aus. Ganz viele Übungen, von denen die Schauspieler dachten, Tabori hätte sie erfunden, waren aus der Schule von Fritz Perls.

Hat Tabori genaue Regieanweisungen gegeben? Gab es Mitsprache?

❙ Bei Tabori konnte man alles sagen, er hat sich auch nicht Regisseur genannt, sondern „Spielmacher“. Er wollte die Leute zum Spielen animieren. Ich würde sagen, er war ein großartiger Animator. Er konnte gut zuhören und auch zulassen. Er hat uns spielen lassen, ohne zu unterbrechen. George war eine Ausnahmeerscheinung. Deshalb ist er auch so einmalig.

Fehlen heute solche Persönlichkeiten am Theater?

❙ Es fehlten nach dem Krieg alle Juden in Deutschland. Teilweise waren sie in Amerika: Hollywood ohne Juden wäre in der gesamten Entwicklung nicht denkbar. Ja, ich finde schon, dass Menschen mit so einem Hintergrund wie George fehlen.

Wo hat es mehr Sensibilität für so eine Persönlichkeit gegeben: in Deutschland, wo die Bewältigung anders voran ging, oder in Österreich?

❙ Als Tabori nach Wien kam, war er schon ein berühmter Theatermann. Er hatte in Deutschland große Erfolge vorzuweisen, und in Amerika war er durch seine Filme und seine Literatur bekannt. In Deutschland war er als wichtiger Regisseur anerkannt, dem konnten sich die Wiener gar nicht mehr entziehen. Wenn die FAZ, die Süddeutsche oder der Spiegel Hymnen verfassen, dann traut sich die Kronen Zeitung auch nicht mehr, anders zu reagieren.

Spüren Sie heute noch Auswüchse des Antisemitismus?

❙ Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe immer gerne Hüte getragen, habe sie auch im Kaffeehaus aufgelassen. Da kam jemand zu mir und sagte: „Hearst nimm’ mal den Hut ab, des machen ja nur die Juden.“ Ich sagte darauf: „Ich bin einer.“ „Trotzdem“, sagte er. Hier muss man höllischer aufpassen als in der Hölle. Das Schlimme ist, dass sich keiner aufregt, über irgendetwas. Es gibt keine Leidenschaft mehr, es ist alles egal. Ob es um Strache geht, ob es um Haider ging, alles ist egal. Es regt nichts mehr auf.

Das hält man dann nur auf der Bühne aus?

❙ Eigentlich ja, da haben wir den nötigen Freiraum.

Was ist Ihre schönste persönliche Erinnerung an George Tabori?

❙ Ich erzähle Ihnen dazu eine Anekdote: George war immer sehr großzügig und hat in teure Lokale eingeladen. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich Geburtstag habe, sondern ihn nur zum Essen in ein sehr gutes Lokal eingeladen. Ich wusste, er würde sonst hinterrücks bezahlen. Etwas war ihm suspekt, und er löcherte mich ständig während des Essens. Schließlich gab ich auf und gestand, dass ich meinen Geburtstag mit ihm begehen wollte. Daraufhin rief er den Kellner und verlangte eine Stoffserviette. Mit dieser ging er auf die Toilette. Er kam zurück, legte die Serviette vor mich hin und sagte: „Happy birthday, mach’s auf.“ Seine wunderschönen blauen Boxershorts lagen vor mir auf dem Tisch. Die habe ich immer noch.

© Robert Jaeger / picturedesk.com

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