So schmecken die Feiertage

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An den jüdischen Feiertagen biegen sich die Tische. Es wird im Kreise der Familie geschlemmt und gesungen. In kaum einer anderen Religion sind Tradition und Essen so eng miteinander verwoben. Von Michal Typolt-Meczes   Fotos: Heinz Typolt-Meczes

Wenn die Hohen Feiertage vor der Tür stehen, herrscht in so manchem Haushalt eine gewisse Betriebsamkeit: Da geht es nicht nur ums Organisieren von Einladungen und Besuchen und Überlegungen, welche Farbe die neue Festtagsgarderobe haben sollte, sondern vor allem auch darum, was auf den Feiertagstisch kommen soll.

In vielen Familien greift man auf traditionelle Gerichte zurück, die seit Generationen die Festtagsküche prägen und schon durch den Geruch, der dann durch die Wohnungen strömt, verkündet, um welches Fest es sich handelt.

Zu Rosch HaSchana beinhalten viele traditionelle Speisen Honig, Äpfel, exotische Früchte und Karotten als Zeichen für Wohlstand.

Die meisten unter uns haben sonst wenig Zeit, alles frisch zuzubereiten, Feiertage allerdings rufen allgemein zu hoher Geschäftigkeit in den Küchen auf, und die Rezepte von Mame und Babe werden alljährlich hervorgeholt.

Gutes und süßes Jahr

IMG_5928Wenn auch Rosch HaSchana die ernsten Tage der Trauer und Besinnung einleitet, so steht doch am Anfang die Freude über das neue Jahr, die Energie, die der Neubeginn von allen einfordert, und die Hoffnung auf ein gutes und süßes Jahr, das da kommen möge. Und so beinhalten viele traditionelle Speisen, sowohl bei Aschkenasen als auch bei Sepharden, Honig, Äpfel, exotische Früchte, Karotten als Zeichen für Wohlstand – in Scheiben geschnitten erinnern sie an Geldstücke –, Fische als Fruchtbarkeitssymbole und allerlei Nüsse und Samen. Sie alle stehen auf Grund ihrer Reife und Süße für Glück und Wohlergehen sowie die Hoffnung und die Zuversicht für die nahe Zukunft. Aber nicht nur der Geschmack, sondern auch die Form mancher Frucht bringt Symbolik mit: So stehen Apfel und Granatapfel nicht nur für eine reiche Ernte, sondern als runde Früchte auch für den immer wiederkehrenden Anfang.

Speisen mit Honig

Die Idee des süßen Geschmacks als Symbol für Wohlergehen lässt sich bis ins fünfte Jahrhundert v. u. Z. zurückverfolgen, als man nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil begann, Speisen mit Honig und getrockneten Früchten zu süßen, wie man es heute noch mit den aschkenasischen Rosinen-Tsimmes oder den sephardischen M’Rouzya Tagine – ein marokkanisches Rindfleischgericht mit Birnen, Zwetschgen und Honig – kennt.

Und nicht zu vergessen: der herrlich zimtige Nuss-Honig-Kuchen, der Lekach (übersetzt eigentlich nur „Festtagskuchen“, hat er sich im Lauf des 19. Jahrhunderts als traditioneller Neujahrskuchen etabliert). Und hier kennt die Vielfalt der Rezepte keine Grenzen, jede Familie pflegt ihre eigene Lekach-Tradition. Eines haben allerdings alle gemein: Gut verschlossen hält Lekach weit über die Feiertage hinaus, gute vier Wochen. Passiert aber nicht: denn spätestens zu Jom Kippur, nach dem Ertönen des Schofars, werden die wohlweislich mitgebrachten letzten saftigen Stücke ausgepackt und auf der Stelle verspeist, um den nagenden Hunger des überstandenen Fastens zu stillen.

Kreisförmige Challa

Einen weiteren unübersehbaren Hinweis auf das Neue Jahr liefert die kreisförmige Challa, das geflochtene Brot, das nicht nur jeden Schabbat auf den Tisch kommt, sondern auch an jedem anderen Jontef. Das besondere Brot ist also extrem bedeutungsschwer; dass es immer zu zweit daher kommt, liegt daran, dass es an die zweimalige Gabe von Manna erinnert, das die Israeliten auf ihrem langen Weg aus Ägypten erhalten haben und so vor dem sicheren Hungertod errettet wurden. Deshalb werden die Brote auch mit einer weißen Serviette zugedeckt, um den Morgentau zu symbolisieren, der das Manna bedeckt hat, und dafür stehen auch die Sesam- und Mohnsamen, die auf das Brot gestreut werden.

Die drei Zöpfe der Challa bedeuten Wahrheit, Friede und Gerechtigkeit und das Flechten selbst steht für Verbindung und Liebe.

Timna Brauer. Zu den Feiertagen versammeln wir uns alle um den elterlichen Tisch.
Timna Brauer. Zu den Feiertagen versammeln wir uns alle um den elterlichen Tisch.

Außerdem hat die Anzahl der verarbeiteten Zöpfe Symbolwert: Das Flechten selbst steht für Verbindung und Liebe, drei Zöpfe bedeuten Wahrheit, Friede und Gerechtigkeit, und Turbo-Brote aus zwölf Strängen stehen für die zwölf Stämme. Wird der Zopf zum Kreis geformt, kommt er zu Rosch HaSchana auf den Tisch, um die Kontinuität, die sich im Neuen Jahr realisiert, abzubilden. Bei der Gelegenheit werden auch gerne Rosinen und Honig zugegeben, die sonst nicht zur klassischen Challa gehören.

Challa bedeutet „Anteil“ und steht für jenen Anteil an gesäuertem Teig, der den Kohanim überlassen werden musste, und bis heute wird deshalb in frommen Haushalten ein kleiner Teil des aufgegangenen Germteiges abgezweigt und verbrannt, um diese Abgabe symbolisch zu entrichten. Die Bezeichnung ist seit dem 15. Jahrhundert im aschkenasischen Raum gebräuchlich, davor hat man von „Barches“ gesprochen – bis heute noch ein Begriff.

Erinnerungen aufleben lassen

Dass Geschmack und Geruch bestimmter Festtagsspeisen die Erinnerungen nicht nur aufleben lassen, sondern auch gleichzeitig weiterführen, bestätigt die Wiener Sängerin und Musikerin mit jemenitischen Wurzeln Timna Brauer. „Bei uns kocht immer noch die Mutter. Wir berufstätigen Kinder schätzen uns glücklich, dass sie sich bis heute diese Arbeit nicht abnehmen lässt. Zu den Feiertagen versammeln wir uns alle um den elterlichen Tisch und genießen es sehr, die Gerichte unserer Kindheit gemeinsam essen zu können.“

Auf die jemenitische Festtafel gehört jedenfalls immer ein Eintopfgericht, in dem alle Zutaten, Gemüse, Reis oder Hülsenfrüchte, aber vor allem Fisch, Huhn oder Fleisch schon kombiniert sind. Zu Rosch HaSchana dominiert außerdem der Granatapfel.

Aber das Wichtigste sind wohl die traditionellen Gewürzmischungen. „Es ist ein wenig wie Curry“, erklärt die Künstlerin in ihrer ausgesprochen einladenden zitronengelben Küche, „jeder hat seine spezielle Mischung des Cha’uaieg’, unsere kaufen wir bei einem Gewürzhändler auf dem Shuk HaCarmel in Tel Aviv ein.“ Die Mischung gibt es in zahllosen Varianten, darunter auch eine mit Kardamom und Nelken für den Kaffee. Typisch ist außerdem die dunkelgrüne Gewürzpaste S-chug, die aus Chilli, Knoblauch und frischem Koriander angerührt wird und zu Fleischgerichten ebenso wie zu Gemüse oder Hummus gereicht wird.

doron
Doron Rabinovici. Festessen ist eine Aufgabe,
der man sich zu stellen hat.

„Jemenitische Feste sind ausgelassen und großzügig, und dass das Essen im Mittelpunkt steht, zeigt sich vor allem am Seder-Tisch zu Pessach. Hier werden alle symbolischen Speisen in ausgiebiger Menge direkt auf dem Tisch angerichtet und nicht auf einer Seder-Platte. Salat und Grünzeug bilden einen breiten Rahmen für die anderen Zutaten. Das kleine Hühnerbein ist bei uns eine ausgewachsene Lammkeule, die auch gegessen wird.“ Auch Charoset sieht anders aus: viel dunkler, da es nicht, wie nach aschkenasischer Tradition, aus Äpfeln, sondern aus Datteln hergestellt wird. Und anstelle der Mazzeknaidl wird einfach F’tuth im Eintopf gegessen – zerbröselte Mazze einrühren: fertig.

Zum Abschluss wird eine Kostprobe Cha’uaieg’ für uns abgefüllt, die im Wesentlichen aus Kreuzkümmel, Gelbwurz, Koriandersamen und sicherlich noch vielen anderen Komponenten besteht – aber das bleibt das Küchengeheimnis der Familie Brauer.

 

Was die Küche hergibt
Evelyn Rose:  The Essential  Jewish Festival Cookbook.  A complete culinary guide to the Jewish year. Robson Books, 191 S., € 77,52
Evelyn Rose:
The Essential
Jewish Festival Cookbook.
Robson Books,
191 S., € 77,52

Auch beim Wiener Schriftsteller mit israelischer Kindheit Doron Rabinovici hält nach wie vor die Mutter das kulinarische Zepter fest in der Hand. Zu Feiertagen wird aufgekocht, was die Küche hergibt. Und auch wenn sich die Familie das ganze Jahr über kaum um Speiseregeln kümmert – koscher ist ziemlich wurscht: An den Festtagen folgt man der Tradition bedingungslos. Da gibt es zu Rosch HaSchana traditionellen Lekach und rundes Gebäck, Krepplachsuppe, vor allem aber Gefilten Fisch nach litvakischer Art. Sie sind würzig pikant im Gegensatz zur galizischen Zubereitung, die süßlich ist. Höhepunkt ist jedenfalls der dazu gereichte Chrajn, geraspelte Rote Rüben mit so viel frischem Kren, dass den Essern die Tränen in die Augen steigen. „Ich habe den Verdacht, dass sich viele die Gefilten Fisch nur wegen des Chrajns gefallen lassen“, gesteht Rabinovici, und: „Aufessen ist Pflicht und wird auch als Arbeit empfunden – Festessen ist eine Aufgabe, der man sich zu stellen hat.“ Nach Vorspeise, Suppe und umfangreicher Hauptspeise gibt es immer noch zwei Torten und Kompott. So wird Aufessen tatsächlich zur Herausforderung.

Zu Pessach macht man noch Bubale – mit Milch oder Wasser und Mazze wird ein Brei angerührt, der dann, mit Eiern vermischt, in der heißen Pfanne gebacken wird. Das Gericht kann man pikant mit Salz und Pfeffer, aber auch süß mit Zimt und Zucker essen – das perfekte Pessach-Frühstück.

Außerdem ist in der Familie Rabinovici das Festessen untrennbar mit der Musik verbunden: Bei Tisch wird nicht nur ausgiebig gegessen, sondern zwischen den Gängen gesungen – und nicht nur religiöse Lieder, sondern alles, was Spaß macht, und jeder macht mit – so wird jedes Festessen auch zum Fest der Sinne. ◗ 

LEKACH-KUCHEN

klekachFür alle, die heuer die Feiertage mit einem saftigen Stück Lekach begleiten wollen, gibt es hier ein einfaches Rezept mit ernährungstechnisch wertvollen Zutaten, die den Kuchen nicht nur besonders saftig und haltbar machen, sondern gleichzeitig wichtige Nährstoffe mitbringen: Walnüsse etwa sind reich an Vitamin B und Folsäure und stärken damit nicht nur die Nerven, sondern auch Haut und Haare. Außerdem sorgen sie für gesunden Schlaf. Und natürlich Zimt. Regt die Fettverbrennung an und regelt den Blutzuckerspiegel. Gegen ein gutes Stück
Lekach ist also nichts einzuwenden!
Zutaten:
200 g glattes Mehl
100 g brauner Zucker
200 g Honig
1 TL Zimt
1 Prise Salz
3 Eier
3 EL Sonnenblumenöl
100 ml Orangensaft
Zeste einer unbehandelten Orange
1 EL Backpulver
100 g gehackte Walnüsse
Zubereitung:
Backrohr auf 180° C vorheizen.
Mehl, Zucker, Salz und Zimt vermischen. In der Mitte eine Mulde bilden und Eier, Honig, Öl, Zeste hineingeben. Mit einem Holzlöffel verrühren. Das Backpulver im Orangensaft auflösen, in die Teigmasse rühren. Zuletzt die Nüsse unterheben.
In eine gefettete, bemehlte Kastenform füllen (eine große oder zwei kleine)
und ca. 50 Minuten backen.
Der Kuchen kann auch mehrere Tage im voraus zubereitet werden und hält
luftdicht verpackt drei Wochen.
Wer übrigens wirklich gar nicht kochen möchte, kann sich damit begnügen, ein saftiges Stück Apfel in etwas Honig zu tauchen und mit dem erfrischenden süß- sauren Geschmack auf der Zunge das neue Jahr beginnen.
Chag Sameach!

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