Kasher & Tivoni

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In Israel ist es inzwischen trendy, kein Fleisch zu essen. Auf dem Vormarsch ist aber auch die vegane, also rein pflanzliche Küche. Acht Prozent der Israelis ernähren sich heute vegetarisch, fünf Prozent sogar vegan. Von Alexia Weiss

Lior Sela isst seit etwa einem Jahr ausschließlich pflanzlich, oder tivoni, wie man auf Hebräisch sagt. Der Israeli, der derzeit den Wiener Schomer Hatzair als Schaliach betreut und daher mit seiner Frau nach Österreich gezogen ist, sagt, er fühle sich gut damit. Und es sei unwahrscheinlich, dass er diesen Lebensstil eines Tages wieder ändern werde.

Selas Motivation: „Es ging mir nicht um die Gesundheit. Und ich habe auch kein moralisches Problem damit, dass Menschen Fleisch essen. Was mich stört, ist, wie riesig diese ganze Fleisch- und Lebensmittelindustrie insgesamt geworden ist. Es geht ja auch um die Milchprodukte, Eier. Da werden Tiere ausschließlich zu dem Zweck gehalten, Milch zu produzieren, Kühe werden ständig schwanger gehalten. Das ist ja eigentlich noch schlimmer als die Fleisch­industrie. Und dann ist es schon so: Wenn Menschen ihr Fleisch selbst erlegen müssten, würden viele das nicht schaffen. Aber ein gefrorenes Schnitzel zu kaufen und es im Ofen warm zu machen, das ist einfach. Sie denken nicht über den Prozess nach, wie aus einem Tier dieses Schnitzel geworden ist.“

Viele Menschen, die heute vegan essen, haben Jahre der stufenweisen Veränderung ihrer Essgewohnheiten hinter sich. Zuerst verzichtet man/frau auf Fleisch und Wurst, später auf Eier, schließlich auch auf Milchprodukte und Honig. Bei Sela war das anders. „Ich habe viel gelesen, vor allem im Internet. Ein Teil meiner Familie war bereits vegan geworden, das gab den Anstoß – wir haben viel darüber gesprochen. Und dann habe ich beschlossen, vegan zu leben, ohne Umstellungszeit, von einem Tag auf den anderen.“

Vermisst hat er anfangs das israelische Frühstück mit Omeletts. Grundsätzlich sei ihm der Umstieg auf Pflanzenkost aber nicht schwer gefallen. „Im ganzen mittleren Osten essen wir viel Gemüse, es gibt Pasta, Brot.“

Schwieriger sei es da kurz nach der Übersiedlung nach Wien gewesen. „Ich glaube, in Österreich ist Fleisch bei sehr vielen Menschen täglich auf dem Tisch. Am Anfang sind meine Frau und ich in herkömmliche Lokale und Kaffeehäuser gegangen, und wenn man da nach Sojamilch fragt, hat man nicht viel Erfolg. Aber auch in Wien entwickelt sich derzeit eine Vegan-Szene, und heute wissen wir, wo wir hingehen können.“

Vegan und bio

Wo er den Unterschied zwischen Israel und Österreich orte? „In Israel ist es derzeit ein Trend, vegan zu essen. Die Israelis lieben Trends. In Österreich geht es mehr um bio. Das Angebot an Bioprodukten ist groß, und ich denke, viele Menschen meinen, wenn die Tiere ein gutes Leben hatten, wenn das Fleisch bio ist, dann ist es okay. Es gibt ein Bewusstsein für gesundes Essen, aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt.“

Ein Frontmann der israelischen Vegan-Szene ist Omri Paz, Gründer der Initiative Vegan-Friendly Israel. Er organisierte im Frühjahr einen Vegan-Kongress in Tel Aviv, der vor allem der Vernetzung dienen sollte. Viele grundsätzlich nicht vegane Lokale bieten inzwischen auch vegane Speisen an. Die Kette Domino’s Pizza hat beispielsweise Pizza mit Soja-Käse auf der Speisekarte, und die Aroma-Coffeeshops bereiten Omeletts aus Kichererbsenmehl und Tofu zu.

„Wenn wir uns um unseren Planeten sorgen, dann sollten wir aufhören, Fleisch zu essen.“ David Rosen, American Jewish Committee

Das Rezept dafür stammt von Ori Shavit, die die Website Vegans on top betreibt. „Wenn du dein ganzes Leben lang gesagt bekommen hast, du musst drei Mal am Tag Milchprodukte essen, und dann liest du, was wirklich vor sich geht in der Milchindustrie oder in den Schlachthöfen oder bei der Eierproduktion, dann erkennst du die Lügen, die dir bisher erzählt wurden“, sagt sie. Und: Vegan zu essen sei kein Trend nur für reiche Tel Aviver. Veganer gebe es inzwischen im ganzen Land. Danach richten sich nun eben auch die Lokale. Die Landver-Restaurants bieten inzwischen ebenfalls vegane Menüs an.

Unterstützung kommt auch von religiöser Seite. David Rosen, der frühere Oberrabbiner von Irland, ist heute beim American Jewish Committee in Jerusalem zuständig für interreligiöse Fragen weltweit. „Die Fleischindus­trie zerstört die Umwelt. Mehr als alle Verkehrsmittel zusammen. Also, wenn wir uns um unseren Planeten sorgen, dann sollten wir aufhören, Fleisch zu essen“, sagte er diesen Juni gegenüber dem Deutschlandfunk. Er meint auch, dass eine fleischlose Kost die Kaschrut zwar nicht ersetzen, aber doch im Kern erfüllen würde. „Wer vegetarisch oder vegan lebt, muss sich auf jeden Fall nicht mehr darum kümmern, Milch und Fleisch zu trennen.“

Veganes Essen ist allerdings nicht automatisch koscher, betont der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. „Die Zertifizierungsrichtlinien für vegane Lebensmittel entsprechen nicht der Halacha“, sagt er. „Inhalte von Weinessenzen sind vegan, aber nicht koscher, weil der Wein nicht koscher hergestellt wurde. Ein anderes Beispiel: Die Maschinen, mit denen vegane Lebensmittel hergestellt werden, werden zwar chemisch gereinigt, aber nicht gekaschert.“ Vor allem aber würden natürliche Farb- und Aromastoffe, die durchaus auch tierischer Herkunft sein könnten, bei der Vegan-Zertifizierung oft nicht berücksichtigt. Wenn man sich vegane Produkte ansieht, die nicht in Österreich hergestellt, sondern importiert werden, findet man allerdings immer öfter beides auf der Packung: das Vegan-Zeichen und den Koscher-Stempel. ◗

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