Rothschild und die Bahn

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Staat oder privat? Die Gründerjahre der Eisenbahn in Österreich kannten beide Varianten. Doch ein Unternehmer spielte dabei eine Schlüsselrolle: Salomon Mayer Freiherr von Rothschild.

Von Reinhard Engel 

Nein, einen guten Start hatte Salomon Mayer Rothschild bei seinem Großprojekt wirklich nicht. Zuerst lehnte der fortschrittsfeindliche Kaiser Franz I. das Ansuchen zum Bau einer Eisenbahnstrecke von Wien nach Norden glattweg ab. Dann gab es Widerstände von unterschiedlichsten Seiten: „Die Postmeister befürchteten Einkommensverluste, Ärzte warnten von den geplanten Geschwindigkeiten, Priester verdammten die Teufeleien der Technik, die Polizeibehörden befürchteten eine Erschwerung ihrer Kontroll­aufgaben“, schreiben Peter Eigner und Andrea Helige in ihrem Buch Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Doch damit nicht genug. Auch ökonomische Interessen gab es, denen eine Modernisierung der Transportwege zuwiderlief. Es waren vor allem Bauern und Großgrundbesitzer, die einen Preisverfall ihrer Produkte befürchteten, nicht zuletzt jenen des teuren Heizholzes für die Kaiserstadt Wien.

1848 begann der Bau am Semmering. 1854 konnte man von Wien bis Graz fahren, 1857 bis Triest.

Dabei hatte sich Rothschild gut vorbereitet. Er hatte die Entwicklung in England beobachtet, wo die Bahn bereits erfolgreich Strecke nach Strecke eröffnete. Dazu hatte er extra einen begnadeten Ingenieur auf die Insel geschickt, den aus Graz stammenden Professor am Wiener Polytechnikum, Franz Xaver Riepl. Und Rothschild, zweiter Sohn des Frankfurter Bankiers Mayer Amschel Rotschild, der seit 1820 in Wien lebte, hier bereits eine Bank gegründet hatte und den Staat sowie einzelne Adelige finanzierte, ließ nicht locker. Nach dem Tod von Kaiser Franz im Jahr 1835 brachte er seinen Antrag bei dessen Nachfolger Ferdinand erneut ein, und diesmal erhielt er die Konzession – unter Bedingungen: Er musste in einem Jahr die ersten 7,5 Kilometer Strecke gebaut haben, die ganze Bahnlinie innerhalb von zwei Jahren.

Rotschild gründete eine Aktiengesellschaft, übernahm selbst zwei Drittel der Anteile und legte los. Sein Ziel dabei war durchaus ein strategisches. Er wollte die Großstadt Wien gleich an mehrere Industrie- und Bergbauzentren in Mähren und Galizien anschließen. Es ging um die Kohlengruben im Gebiet von Ostrau und auch um den Salzabbau nahe Krakau. Aber er dachte – und handelte – noch um eine Stufe weiter. Damit seine Eisenbahngesellschaft nicht von englischen Schienenlieferungen abhängig würde, kaufte er sich gleich auch in Eisenhütten in Wittkowitz ein, später übernahm er sogar die Mehrheit.

Beim rollenden Material war er freilich noch ganz auf die englischen Ingenieure angewiesen. So bestellte die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn die ersten Lokomotiven beim weithin bekannten Eisenbahnpionier George Stephenson in Newcastle upon Tyne. Entsprechend den damaligen Transportmöglichkeiten reisten diese via Schiff nach Triest und von dort zerlegt auf Pferdefuhrwerken bis Wien.

1837 begann das Zeitalter der Eisenbahn in Österreich. (Genauer gesagt: das Zeitalter der Dampfeisenbahn, denn mit Pferden gezogene Wagen hatten ihren Dienst bereits einige Jahre zuvor zwischen Linz und Budweis aufgenommen.) Der erste Zug auf der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn fuhr zwischen Floridsdorf und Deutsch-Wagram, aber schon zwei Jahre später reichte die Strecke bis Brünn, 1841 erreichte die Bahn Olmütz. Abgesehen vom Gütertransport wurden schon von Anbeginn weg beträchtliche Zahlen an Passagieren gezählt, in den ersten vier Jahren mehr als 330.000. Doch die Rendite der Investoren hielt sich anfänglich in engen Grenzen. Die Baukosten waren um drei Viertel überschritten worden, deshalb warf die Gesellschaft in den ersten Jahren magere drei Prozent ab. Das änderte sich dann aber deutlich, schreiben Eigner und Helige: „[…] die Erschließung des nordmährischen Kohlereviers war schließlich ökonomisch höchst erfolgreich, und die Nordbahngesellschaft erwarb selbst im Ostrau-Karwiner Grubenrevier 303 Kohlenzechen. Je weiter der Bau gedieh, desto höher wurden die Dividenden, die schließlich bis zu 12 Prozent betrugen.“

Vertrauensfrage

Rothschild hatte bei seinem Großprojekt nicht nur mit Bremsern von außen zu kämpfen. In der Bahngesellschaft waren neben bekannten Wiener Adeligen auch andere Investoren engagiert, und manche machten ihm das Leben schwer. So kam wiederholt Kritik an technischen Aspekten des Projekts vom griechischen Unternehmer Georg Simon von Sina sowie von Vertretern des Bankhauses Arnstein und Eskeles. Das ging so weit, dass Rothschild bei einer Aktionärsversammlung die Vertrauensfrage stellte, diese gewann und seine Widersacher aus den Gremien entfernte.

Doch Sina hatte die künftige Bedeutung der Bahn ebenfalls erkannt. So gründete auch er eine Projektgesellschaft und erhielt zwei Lizenzen, eine von Wien aus Richtung Ungarn, eine nach Süden. Seine Genehmigung enthielt allerdings bereits eine Einschränkung: Wenn der Staat es für geboten hielt, könne er diese wieder zurücknehmen und – gegen entsprechende Entschädigung – die Bahnstrecken künftig selbst betreiben. Sina baute, in Ungarn langsam und mit Prob­lemen, in Richtung Süden schneller. Schon 1842 konnte man von Wien bis Gloggnitz fahren. Die Wiener Philadelphia-Brücke erinnert übrigens noch heute an die erste Lokomotive, die „Philadelphia“, die aus den USA importiert worden war.
Doch mittlerweile hatten die Wiener Politiker die strategische und ökonomische Bedeutung der Bahn erkannt. Schon Anfang der 1840er-Jahre – und Jahrzehnte vor Gründung des k.k. Eisenbahnministeriums – nahmen Wiener Beamte die Sache selbst in die Hand: Erste staatliche Strecken entstanden auf der steirischen Seite des Semmerings, zwischen Graz und Mürzzuschlag, dann baute man weiter nach Süden in Richtung Laibach und Mittelmeer-Häfen. Sinas Privatbahn löste man ihm ab und band diese in das staatliche Gesamtkonzept ein. Der Venezianer Ingenieur Carl Ritter von Ghega wurde mit der Überwindung des größten geologischen Hindernisses nach Süden beauftragt: Er sollte die Semmering-Gebirgsbahn bauen. Für die „steirische Variante“ gegenüber einer alpenfreien Fahrt durch Ungarn hatte sich Erzherzog Johann eingesetzt, der die obersteirischen Industriereviere erschließen wollte. Im Revolutionsjahr 1848 begann der Bau am Semmering, fertig wurde die Großbaustelle sechs Jahre später: 1854 konnte man von Wien aus über die Alpen bis Graz fahren, 1857 bis Triest.

Doch nun schlug das Pendel wieder zurück zu privat. Österreich hatte 1859 bei Solferino eine vernichtende Niederlage gegen die Franzosen erlitten, die Folgen waren einerseits der Verlust der Lombardei, anderseits eine schwere Budgetkrise. Jetzt fehlte das Geld für den weiteren Ausbau des noch lückenhaften Bahnnetzes, darüber hinaus wollte man schnell Einnahmen lukrieren. Also wurden bestehende staatseigene Strecken entweder verpachtet oder verkauft.

Nun kamen wieder die Rothschilds ins Spiel, allerdings die nächste Generation. Salomon Rothschild war 1855 gestorben, sein Sohn Anselm Salomon Freiherr von Rothschild wurde als sein Nachfolger aktiv. Er hatte in Wien auf Basis der väterlichen Bank die Österreichische Creditanstalt für Handel und Gewerbe gegründet und engagierte sich, gemeinsam mit französischen Investoren, auch in der neuen privaten Südbahngesellschaft sowie in der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn zwischen Wien und Salzburg.

Die Südbahngesellschaft betrieb nicht nur die Strecke zwischen Wien und dem Hafen Triest, sie baute auch im damals noch österreichischen Venetien aus, sogar die Brennerstrecke gehörte bald zu ihrem Netz. Und die Bahngesellschaft hatte weiterreichende wirtschaftliche Interessen: Ein französischer Großaktionär engagierte sich in der obersteirischen Eisen- und Stahlindustrie; entlang der Strecke ans Mittelmeer entstanden luxuriöse Ferienhotels vom Semmering bis Abbazia. Die Bahn war mehr geworden als ein bloßes Transportmittel. Sie hatte sowohl Industriepolitik geschrieben wie den Tourismus stimuliert, einst voneinander fern gelegene Landstriche miteinander ökonomisch verknüpft, für Reisende in die Reichweite von Tagen oder bloß Stunden gerückt. Und nicht zuletzt wurde Wien selbst zur bedeutenden Industriestadt mit mehreren mächtigen Lokomotiv- und Waggonfabriken. ◗

Die Vorgänger des Hauptbahnhofs
Der neue Wiener Hauptbahnhof, der im Oktober eröffnet wurde, ist bereits die vierte Bahnhofsgeneration an dieser Stelle. Er löste den Süd- und Ostbahnhof ab, der nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden war. Dieser wiederum ersetzte – wegen Bombenschäden – den Südbahnhof von 1874, und der war an Stelle des alten Gloggnitzer Bahnhofs von 1841 errichten worden. Daneben lag der Brucker bzw. Raaber Bahnhof, später Staatsbahnhof. Diese befanden sich damals übrigens noch außerhalb des Stadtgebiets.
Im Gegensatz zum neuen Hauptbahnhof, auf dem Züge aus Paris in Richtung Budapest halten und in dieselbe Richtung weiterfahren können, waren alle früheren großen Bahnhöfe in Wien Kopf- oder Endbahnhöfe. Zu ihnen zählten etwa noch der prächtige Nordbahnhof aus dem Jahr 1865, der Westbahnhof (1858) oder der Nordwestbahnhof (1873).

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