Abseits von Israel

Vom Zionismus enttäuscht, schafft sich Isabel Frey eine jüdische Identität in der Diaspora – mit viel Musik.

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© Anna Goldenberg

Irgendwann wird alles zusammenkommen“, sagt Isabel Frey. Alles, das sind die vielen unterschiedlichen Dinge, die sie mit ihren 24 Jahren bereits erlebt, gelernt und gedacht hat. Aber von Anfang an: Isabel wuchs in Wien auf, besuchte die Jugendorganisation Haschomer Hatzair und die Reformgemeinde Or Chadasch. Nach der Matura ging sie für ein Jahr nach Israel und absolvierte das vom Schomer organisierte Programm Schnat Hachschara. Das Jahr sollte ihren Bezug zum Judentum, zu Politik und zu Israel für immer verändern: „Wir haben eine Tour der Westbank gemacht“, erzählt Isabel. „Danach habe ich weinend meine Eltern angerufen: Warum habt ihr mir das nicht erzählt?“ Sie beschäftigte sich mit dem Nahostkonflikt und dem Zionismus, ihre Erkenntnis fiel ernüchternd aus: „Kibbuzim sind eigentlich tot, Friedensprojekte funktionieren nur auf der Mikroebene.“

Isabel verließ Israel am Ende des Programms und ist seitdem nicht mehr dort gewesen. Zionistin sei sie keine mehr, sagt sie. „Ich unterstütze das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung, was auch immer das heißt.“ Und wie geht sie mit Antisemitismus in propalästinensischen Bewegungen um? „Den bestreite ich nicht“, sagt sie.

Zufällig hörte sie jiddische Arbeiter-
und Widerstandslieder, war sofort begeistert –
und studierte sie ein.

Anschließend zog es Isabel nach Amsterdam, um dort einen Bachelor in Soziologie und Politikwissenschaften sowie einen Master in Anthropologie und Soziologie zu absolvieren. Das Studium machte Spaß, aber das Leben in Amsterdam beschreibt sie im Nachhinein als anstrengend: teuer, prekär, ohne Netzwerk und Familie. Im Herbst kehrte sie nach Wien zurück, um etwas vollkommen anderes zu machen: An der Musikuniversität studiert sie nun Musiktherapie, denn auch die Musik begleitet sie schon ein Leben lang.

Isabel spielt Querflöte, Gitarre und Klavier, singt im Chor und ist Teil einer Percussion-Band. Über die Musik fand sie einen Zugang zu ihrer jüdischen Identität, die durch die Erfahrung in Israel ein wenig ins Wanken geraten war. „Wenn du säkular und jüdisch bist, hat Israel den Stellenwert von einer Religion“, sagt sie. Und wenn man daran nicht glaubt? Isabel begann, sich für die Traditionen des Diaspora-Judentums zu interessieren, insbesondere die jiddische Sprache. Zufällig hörte sie jiddische Arbeiter- und Widerstandslieder, war sofort begeistert – und studierte sie ein. Im Dezember gab sie ihr erstes Konzert, auf dem sie sich selbst mit der Gitarre begleitete. Für das neue Jahr plant Isabel ein Album. Irgendwann kommt eben alles zusammen.

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