Alles, nur keine tanzenden Chassiden

Taxi am Shabbat: Eva Gruberová und Helmut Zeller sind durch Ostmitteleuropa auf der Suche nach den letzten Juden gereist.

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Eva Gruberová, Helmut Zeller: Taxi am Shabbat. Eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas. C. H. Beck 2017, 272 S., € 18,50 (A)

Ist das nun die Suche nach der verlorenen Zeit? Oder eine Recherche letzter, allerletzter Hoffnung? Ironisch beginnt jedenfalls diese Reise durch Mittelost- und Ostmitteleuropa. Mit einem Sager des tschechischen Landesrabbiners Karol Sidon: „Für den Westen waren wir nach der politischen Wende unsichtbar, bestenfalls stellte man sich uns als tanzende Chassiden vor.“
Die freie Journalistin Eva Gruberová und Helmut Zeller, Leiter der Dachauer Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung, publizierten 2011 zusammen Geboren im KZ. Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering. Nun sind sie seither durch sieben Länder und deren jüdische Historie wie Zukunft gereist. Ihr Impetus: „Auf unseren Reisen nach Ungarn, Tschechien, Polen, Litauen, Weißrussland, in die Slowakei und die Ukraine wollten wir die Schicksale der Menschen in Erfahrung bringen, die den Holocaust überlebt hatten, nach ihrer Rückkehr aus den Lagern aber unerwünscht waren und erneut litten: Ihr Eigentum hatten sich andere angeeignet, von kommunistischen Regimen wurden sie verfolgt und zur Assimilation gezwungen.“

Kreuz und quer durch das jüdische Osteuropa. In Ostmitteleuropa leben heute nur noch 14,2 Millionen Juden, ungefähr vier Prozent der jüdischen Weltbevölkerung. Vor allem Ältere trafen und interviewten sie, fuhren kreuz und quer durch Städte wie Lemberg, Prag und Kaunas, Odessa und Bratislava, suchten Friedhöfe auf, Synagogen, Schulen und Altenheime, Kriegsveteranen, KZ-Überlebende und Rabbiner.

„Litauen zählt zu den Ländern, die versuchen, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Judenvernichtung umzuschreiben.“
aus Taxi am Shabbat

Die Gemütslage verändert sich merklich, von eher hell (Tschechien) ins Düstere, Melancholische, ja Verzweifelte ob unbelehrbarem Antisemitismus, sich radikalisierendem Nationalismus und ausdauernder Vorurteile. Vor allem im Litauen-Kapitel lassen sie jede Diplomatie fahren. „Litauen zählt zu den Ländern, die versuchen, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Judenvernichtung umzuschreiben“, liest man da. Dass 2010 ein Gericht in Klaipeda entschied, dass das Hakenkreuz litauisches Kulturerbe sei. Und: „Jeder Litauer lebt in der Nachbarschaft eines Massengrabes.“ Und jeder leugnet es, ist zu ergänzen.
Flüssig geschrieben, ist Taxi am Shabbat ein eindringliches, überaus lesenswertes Buch, das auch Jüngere ansprechen dürfte, vielleicht erst recht Jüngere. Hoffentlich Jüngere. Denn, so Gruberová und Zeller, der „Ausgang des Streits um die Neubewertung der Geschichte, der mit der politischen Wende aufkam, wird die Zukunft der gesamten Diaspora in den postkommunistischen Ländern beeinflussen.“ Mit Folgen für Europa, Israel und die Welt.

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