Alles Pop!

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Hier wirbt das Sujet einer beschnittenen Banane à la Warhol für eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, dort wird unter dem Titel „Jukebox. Jewkbox!“ im Jüdischen Museum in Hohenems ein Jahrhundert jüdischer Musik auf Schallplatte gefeiert. Von Paul Divjak

Das Plakat zur aktuellen Sonderausstellung des Jüdischen Museums Berlin zeigt eine beschnittene Banane (Achtung: Symbolbild!) vor schwarzem Hintergrund; darüber prangt in gelben Lettern: „Haut/ab!“
Das weckt nicht nur bei dem einen oder anderen bundesdeutschen Redakteur Kastrationsängste, eine Assoziation in Bezug auf die Beschneidung übrigens, die laut Freud wesentlich zum unbewussten Antisemitismus beiträgt.
Jenseits der hippen Slash-Konstruktion – wozu braucht es den Schrägstrich im Titel eigentlich? Als typografischen Marker, symbolischen Cut? Ist das klar sichtbare Schriftzeichen als scharfe Trennung einer ursprünglichen Verbindung zweier Worte („Haut“ und „ab“) bewusst gesetzt, um der angeschnittenen Banane auch noch mit einem Fremdkörper im Satz zu Leibe zu rücken? –, jenseits dessen also könnte der Claim ganz einfach und missverständlich als Imperativ im Plural gelesen werden, nämlich: „Haut ab!“
Wer aber sind in diesem Fall die Adressaten? Etwa die Vorhäute? – Und warum überhaupt eine Banane, wo es doch um eine kulturhistorische Thematisierung der Zirkumzision geht? Fragen über Fragen …
Die Direktorin des Museums, Cilly Kugelmann, verweist in einem Interview auf die „selbstironische Sicht“ nebst der ernsten, und darauf, dass für sie die Beschneidung das „physische Zeichen der Zugehörigkeit zum Judentum“ darstellt.
Apropos Selbstironie: Woody Allen, der aktuell in Fading Gigolo wieder einmal durch New York stolpert, diesmal als Möchtegern-Zuhälter in einem Film von John Turturro, meint, als er von den massiven Typen der jüdischen Nachbarschaftspatrouille hopsgenommen und in einen dunklen Wagen verfrachtet wird, ebenso eingeschüchtert wie lapidar, was sie denn von ihm wollen, er sei ja bereits beschnitten.
Was in der Populärkultur längst Form angenommen hat, ist das Spiel mit Figuren und Entwürfen möglicher Repräsentationen des Jüdischen, ein lustvolles Skizzieren und Brechen von Stereotypen und Klischees, ein Jonglieren mit Wissen und Unwissen sowie mit Erwartungshaltungen. – Und immer spielt die Musik dabei eine wesentliche Rolle.
Dieser Tage ist mir in einem Raritätenladen eine alte Single in die Hände gefallen: der erste Hitparaden-Millionenseller der Plattenindustrie, der Foxtrott Dardanella, 1919 vom russischen Emigranten Ben Selvin und seinem Novelty-Orchester aufgenommen. (Die Instrumentalnummer blieb übrigens jahrzehntelang die meistverkaufte Single im Handel. Erst Bill Haley gelang es 1955 mit Rock around the Clock und seiner verwegenen Schmalztolle den Selvin-Longseller vom Tanzmusikthron zu wirbeln.)
Ob beziehungsweise in welcher Form Dardanella in der Jewkbox-Ausstellung in Hohenems Erwähnung findet, weiß ich (noch) nicht; was feststeht, ist, dass alleine das umfassende Rahmenprogramm (Filme, Live-Musik, Vorträge etc.) einlädt, die populärkulturellen Spuren in Sachen Selbstaneignungen, Fortführung und Aktualisierung von Tradition, Einverleibung und Transformation aufzunehmen.
Zitate, Paraphrasen, Remixes, Mash-ups: Im Pop wird ja seit jeher und ganz allgemein kontextuell geborgt, kopiert, neu aufgegossen; Reste werden verwertet, Altes wird verwurstet oder über Bord geworfen, Neues wird geschaffen. Inszenierungen loten Grenzen aus und verschieben sie, arbeiten mitunter an der Auflösung von Distinktion. „Pop“ ist dabei Vehikel und Klammer gleichermaßen.
Was aber verbindet nun die Berliner Bananen-Schau und die Schellack- und Vinyl-Revue in Vorarlberg? Nun, hier wie dort geht es um Glaubensfragen, symbolische Ordnungen und die Physis; um Ideen, (subjektive) Verortungen und um (männliche) Körperlichkeit.
Was die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Ausstellungen verbindet, sind weniger die aufmerksamkeitsökonomischen Sprachbastel-Slash-Kalauer-Titel, es ist die Auseinandersetzung mit Identitätskonstruktionen, Ritualen und (ganz persönlicher) Geschichte. – Gabba, gabba, hey!

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