Beichte ohne Absolution

1786

Ein alter Mann blickt zurück. Auf sein Leben, auf sein Schaffen, auf seine Beziehungen, auf sein Land. Abraham B. Jehoschua, einer der ganz großen Erzähler Israels, hat mit Spanische Barmherzigkeit ein Alterswerk im wahrsten Wortsinn vorgelegt. Von Anita Pollak

Das peinliche Hörgerät kann er aus dem Ohr ziehen, wenn er sich ausklinken will vom Lärm der Umgebung, seine Prostata meldet sich allerdings ohne Vorwarnung. Drei Nächte verbringt Moses mit der immer noch schönen Ruth im Doppelbett eines luxuriösen Hotelzimmers, seine Träume bleiben dabei aber Träume. Zu den wenigen Vorzügen seines Alters gehört die Ehre, die dem prominenten israelischen Filmregisseur in Form einer großen Retrospektive seiner frühen Filme erwiesen wird. Mit Ruth, dem ehemaligen Star seiner Streifen, ist er dazu ins spanischen Santiago de Compostela eingeladen.

„Literatur hat die Verpflichtung, für die Integration von Dingen zu sorgen, die im Leben willkürlich oder völlig chaotisch erscheinen.“

Retrospektive ist auch gleichsam das Motto dieses behäbig-altmodisch erzählten Romans, der keine Eile kennt, keine Ökonomie. Bildreiches, orientalisch ausuferndes Erzählen war seit jeher Jehoschuas Markenzeichen, diesmal aber lässt er seine Erzählströme so ungebremst fließen wie die Erinnerungsflut seines Protagonisten. Längst Vergessenes, Verdrängtes kommt mit den alten Filmen, die an einem fremden Ort, in eine fremde Sprache synchronisiert einem ehrfurchtsvoll staunenden Publikum vorgeführt werden, wieder an die Oberfläche. Wo, wie und mit wem wann gedreht, welche Szenen herausgeschnitten wurden, welche Verletzungen dabei entstanden sind, all dies wird langatmig und ausführlich mit allerlei filmästhetischen Abschweifungen über allzu weite Strecken geschildert.

Drei Männer und eine Frau
Abraham B.  Jehoschua:  Spanische  Barmherzigkeit. Roman. Aus dem  Hebräischen von  Markus Lemke, Suhrkamp,  475 S.,  27,40 EUR
Abraham B. Jehoschua: Spanische Barmherzigkeit. Roman. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke, Suhrkamp, 475 S., 27,40 EUR

Künstlerisch waren sie ein Erfolgsteam, Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und die Schauspielerin. Moses, Toledano, Trigano und Ruth. Drei Männer und eine Frau, in die sie alle drei verliebt waren. Und natürlich ist auch dieses erotische Beziehungsgeflecht Thema der Lebensbilanz, der ersehnten Beichte. Kann einem Menschen die Beichte abgenommen werden, der weder Christ ist noch an G-tt glaubt? Mit dieser Frage konfrontiert Moses den Priester in der Kathedrale von Santiago. Erstaunlicherweise ist gerade dieser cineastische Geistlich

e sein Gastgeber und Initiator der Retrospektive. Beichte ohne Absolution sei möglich, meint der Priester, und darauf läuft’s letztendlich hinaus, nach all den Anstrengungen, die Moses unternimmt, um Vergangenes zu korrigieren, Unversöhnbares und Unversöhnbare zu versöhnen.

Spanische Barmherzigkeit heißt der Roman, und sein Titelbild zeigt das Sujet der Caritas Romana, das auf einen römischen Autor der Antike zurückgeht. Zahlreiche Maler, unter ihnen Rubens, haben dieses Motiv interpretiert. Ein alter gefesselter Mann wird von seiner Tochter gestillt, die ihn damit vom Hungertod errettet. In einer ähnlichen Filmszene sollte die junge Ruth einmal einem Bettler die Brust geben, doch wurde die Szene nie gedreht, weil die Schauspielerin sich weigerte. Diese Leerstelle hatte fatale Folgen und wird noch Jahrzehnte später zur Obsession. Eine Obsession, die man nur schwer nachvollziehen kann. Was uns Jehoschua damit sagen will, bleibt rätselhaft. Kafka wird des Öfteren bewundernd zitiert, und ganz am Ende steht eine verdeckte Anspielung auf dessen Parabel Vor dem Gesetz. Kafka hat sich kürzer gefasst, er ist allerdings auch jünger gestorben.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here