Ein Blick in die verschlossene Schatzkiste

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Judaica von unschätzbarem Wert aus der Sammlung Isucher Ber Frydman kommen wieder an die Öffentlichkeit.

Von Marta S. Halpert   

Was hat buntes Kinderspielzeug aus Plastik mit wertvoller Judaica gemein? In diesem konkreten Fall sehr viel: Der Mann, der sein Vermögen durch die Produktion und den Verkauf von leichtem und billigem Plastik gemacht hat, sammelte hochwertige Judaica. „Mein Vater war ein Überlebender des Warschauer Ghettos und kam 1947 nach Frankreich“, erzählt Jacqueline, die einzige Tochter von Isucher Ber Frydman, dessen Sammlung von rund 300 großteils rituellen Gegenständen erst jüngst wieder ans Tageslicht gekommen ist. „Nach dem Tod meines Vaters im Jahr 1983 habe ich alle Objekte sorgsam in Kisten verpackt. Erst 2013, also nach 30 Jahren, habe ich sie wieder ausgepackt und war fasziniert von ihrer Erlesenheit und der starken Wirkung auf mich: Alles war intakt, wunderschön, vieles sehr fragil, mit einem starken metallischen Geruch.“ Jacqueline Frydman war sich plötzlich der großen Bedeutung der Sammlung – auch wegen der seltenen Stücke – bewusst und überlegte, wie sie dieser Verantwortung gerecht werden könnte. Um die Sammlung publik zu machen und den historischen Gegenständen eine neue, würdige Heimat zu geben, dachte sie an eine Auktion.

Judaica bei Pierre Bergé & Associés
Oben: silberne, mit Löwen verzierte Chanukka-Lampe, Hanau, um 1900. Mitte: silberne Esther-Rolle, vermutl. Hanau, Deutschland, spätes 19. Jahrhundert. Unten: ein Paar polnischer Tfillin-Etuis, Mitte 19. Jahrhundert.
Oben: silberne, mit Löwen verzierte Chanukka-Lampe, Hanau, um 1900.
Mitte
: silberne Esther-Rolle, vermutl. Hanau, Deutschland, spätes 19. Jahrhundert.

In dieser Situation kam ihr ein echter Wiener zu Hilfe: „Ein lieber Freund stellte mir Michael Scheinowitz vor, den ausgewiesenen Experten für Judaica. Ich erlebte förmlich, wie sein geschultes Auge die Gegenstände wieder zum Leben erweckte“, schwärmt Frydman von dem 1969 in Wien geborenen Experten, der seit 1992 im Kunsthandel tätig ist und seit 1997 in Brüssel lebt. „Mehr noch als seine Kompetenz und seine Expertise fühlte ich sofort, dass er den tiefen Geist und die seltene Schönheit der Sammlung erfasst hatte und dementsprechend zu schätzen wusste. Ich habe ihm sofort vertraut“, so Frydman.

„Ich habe 155 Objekte ausgesucht, um ein ausgeglichenes und qualitativ hochwertiges Angebot zu präsentieren“, erzählt Scheinowitz, der bereits weltweit als kundiger Berater am Aufbau von Sammlungen beteiligt war.

Mit der Versteigerung der Frydman-Sammlung am 23. Juni 2015 weihte das Auktionshaus Pierre Bergé & Associés seine Judaica-Abteilung ein. Für dieses Spezialgebiet ist Fabien Béjean-Leibenson verantwortlich, der gemeinsam mit Michael Scheinowitz jährlich zwei Auktionen durchführen soll. „Wir haben eine hundertprozentige Verkaufsrate erreicht, also war das scheinbar keine schlechte Entscheidung“, lacht Scheinowitz. Die Sammlung Frydman brachte interessierte Bieter aus den USA, Mitteleuropa, Israel, Russland und Großbritannien nach Paris. „Die meisten Objekte werden künftig in privaten Sammlungen weiterleben, aber auch Museen und Händler beteiligten sich intensiv an der Versteigerung“, berichtet Scheinowitz.

Frydman war fasziniert von Materialien wie Gold, Silber, Kupfer und Zinn, und liebte Gegenstände aus der Renaissance.

Ein Paar polnischer Tfillin-Etuis, Mitte 19. Jahrhundert.
Ein Paar polnischer Tfillin-Etuis,
Mitte 19. Jahrhundert.

Aber wer war dieser Isucher Ber Frydman, der neben seiner geschäftlichen Tätigkeit ab den 1960er-Jahren herumreiste, auf der Suche nach Judaica? „Frydman war nicht religiös, aber mit der jüdischen Kultur sehr verbunden“, erzählt Scheinowitz. Der polnische Diplomingenieur der Chemie wurde mit seiner Plastikproduktion wohlhabend und frönte seiner Neugier, die zur Sammlerleidenschaft ausartete. Er war in ganz Europa unterwegs, um jüdische Kultobjekte aufzuspüren: Er suchte nach Alltagsgegenständen wie Gewürzbüchsen (Besumimbehältern) und Chanukkaleuchtern ebenso wie nach Toraschildern, Torakronen und -zeigern, Kiddusch-Bechern und Brit-Mila-Messern, vor allem auch in Gegenden, wo es früher einmal jüdisches Leben gegeben hatte. „Er war fasziniert von Materialien wie Gold, Silber, Kupfer und Zinn, und liebte die Gegenstände aus der Renaissance“, weiß seine Tochter. Über das jeweilige lokale Handwerk und über die Echtheit sprach er dann mit Experten, Kunsthändlern und Museumskuratoren. Er korrespondierte weltweit zu der Herkunft diverser Objekte, denn er betrachtete diese Gegenstände als Zeugen der brutal vernichteten, ehemals blühenden jüdischen Gemeinden.

Der stolze Sammler. Frydman zeigte seine Sammlung nur ausgewählten Gästen.
Der stolze Sammler. Frydman zeigte seine Sammlung nur ausgewählten Gästen.

Frydman zeigte seine Sammlung nur bestimmten Besuchern: Künstlern der École de Paris, Schriftstellern, jüdischen Journalisten, Kunsthändlern und Sammlern. „Mein Vater bewahrte die Sammlung zu Hause in einem großen Mahagoni-Bücherschrank aus dem 18. Jahrhundert auf und verschloss diesen Schrank nur mit einem Schlüssel,“ erzählt Jacqueline Frydman. „Wenn ich in sein Arbeitszimmer kam, um einen Bleistift oder einen Radiergummi zu holen, erkundigte er sich kurz über die Schule, um mir dann aber sofort irgendein neues Gustostückerl zu zeigen.“ Er erklärte der Tochter auch immer die Bedeutung und Funktion eines Objektes und mahnte sie, diese nur ganz vorsichtig zu berühren: „Das war ein ganz seltsames Universum für mich.“ Ihre Mutter durfte die Objekte nur abstauben, aber niemals polieren.

Judaica-Experte Scheinowitz*, der nach der AHS in Wien eine Jeschiwa besuchte, studierte kurz an der WU, um dann seine Lehrjahre im Antiquitätengeschäft seines Vaters in der Spiegelgasse zu absolvieren. Wie beurteilt er die Zukunft des Judaica-Marktes? „Das Angebot wird eindeutig weniger und überraschende Entdeckungen seltener.“ Daher gebe es einen kontinuierlichen Anstieg bei den Preisen, insbesondere für seltene Objekte. Die Sammler seien heutzutage auf viele Länder verteilt, und das findet Scheinowitz gut, denn „diese finanzstarke Gruppe hat den kulturhistorischen und unschätzbaren ideellen Wert der Judaica für das Judentum erkannt. Es gebe eigentlich kaum einen besseren Weg, die Verbindung mit der verschwundenen Vorkriegswelt zu erhalten als durch einen physisch tastbaren Gegenstand, der theoretisch in der Wohnung der Eltern, Großeltern oder in der Syna­goge, die sie besuchten, gestanden haben könnte. „Auch wenn der ursprüngliche Besitzer eines Chanukka-Leuchters heute nicht mehr lebt, vielleicht vor 80 Jahren brutal ermordet wurde, so entzündet der Kerzenschein dieses Leuchters ein Licht der Hoffnung, weil er noch existiert, und vertreibt so die dunkle Vergangenheit.“ ◗

* Kontakt für Interessenten:
Michael Scheinowitz: 0032/485/65 31 46

Bilder: © Pierre Berge & Associés

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