In seinen schonungslosen Erinnerungen an den Unabhängigkeitskrieg 1948 räumt Yoram Kaniuk gründlich mit den Heldenmythen Israels auf. Ein starkes Antikriegsbuch und der Rückblick eines alten Mannes auf die Verblendungen der eigenen Jugend. Von Anita Pollak
Abschied genommen von der Welt hat er bereits vor einigen Jahren, als er im Koma lag und klinisch tot war. Von seiner Rückkehr ins Leben erzählte er in seinem letzten autobiografischen Roman Einmal Jenseits und Retour; dass darauf noch ein Buch folgen würde, war nicht zu erwarten. Quasi von den Toten auferstanden, scheint der über 80-Jährige aber von einer neuen Mission beseelt. Erzählen will er, wie es wirklich war, 1948, wie er, der auch damals nur knapp überlebte, es erlebte. Die Gefechte, die Gemetzel, das Blutvergießen und die Siege, aus denen letztlich der Staat hervorgegangen ist. Und er will Mythen zerschlagen. Den israelischen Heldenmythos der Palmach, der heute in Museen einzementiert ist, und andererseits den arabischen Mythos von der Nakba, wonach die Juden die arabische Bevölkerung vorsätzlich vernichten wollten. Der Unabhängigkeitskrieg von 1948 war, so Kaniuk, ein Verteidigungskrieg, die Araber haben angegriffen, die Juden hatten keine Wahl. Sie waren keine Armee, sie waren schlecht ausgerüstet und sie starben wie die Fliegen.
Der Kinderkreuzzug
17 Jahre ist Yoram Kaniuk alt, als er im November 1947 in den „Kinderkreuzzug“ zieht. Ein verwöhnter Sohn gebildeter Eltern, die Mutter Lehrerin, der Vater beseelt von deutscher Kultur, von Goethe, Bach und Beethoven, die er spielte, „während die Juden starben“, so wirft es ihm ein Verwandter vor, der ihn nach dem Holocaust in Tel Aviv aufsucht. Ja, um solche Überlebende, die in kleinen Schiffen auf dem Meer trieben, weil kein Land sie haben wollte, nach Erez Israel zu bringen, bricht der junge Yoram die Schule ab und meldet sich bei der Marineeinheit der Palmach. Nach einer kurzen Ausbildung wird er aber in die Schlacht geschickt, in viele Schlachten, deren Namen in die Geschichtsbücher des Staates eingehen sollten. Jeden Abend, bevor wir auszogen, hoben wir Gräber aus für die acht oder neun von uns, die nicht aus der Schlacht zurückkehren würden.
Mit der Weisheit des Alters blickt er heute zurück auf das sinnlose Sterben, das doch nicht zu vermeiden war, auf den Krieg und die Kriege, die er leidenschaftlich ablehnt, auf das, was Kriege mit Menschen machen, und auf sich selbst. Ich war ein Tor, der sich aufgemacht hatte, ein Held zu werden und den Feind zu schlagen.