Budapest, Bergamo, Porto

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Das riesige Hemd in der Auslage von Ferman gehört zur Wiener City wie der Steffl und die Fiaker. Das Geschäft, für das es wirbt, ist europäisch im besten Sinn.
Text und Fotos: Reinhard Engel

Ganz genau erinnere ich mich, wie mein Vater hier die ersten Regale selbst gebaut hat“, erzählt Susan Zloczower. „Aber natürlich waren das nicht die, die man heute hier sieht, sondern eher Prototypen.“ Ferdinand Mandel, nach dem die Firma Ferman noch immer benannt ist, zog vor 46 Jahren in das Haus in der Kramergasse im Ersten Bezirk, vom Eingang aus kann man die Rückseite des Erzbischöflichen Palais sehen, der kleine Platz davor trennt es von der Rotenturmstraße.

Mandel besaß damals mit seiner Familie bereits zwei Bekleidungsgeschäfte in der Stadt – man unterschied noch nicht zwischen solchen für Männer und jenen für Frauen. „Mein Vater hat schon in Budapest mit Textilien gehandelt, und er ist Anfang der 50er-Jahre nach Wien gekommen, als er gemerkt hat, wie die Kommunisten sind.“ Das Hemdengeschäft wurde von Wiener Betrieben mit Ware versorgt, damals nähte noch eine große Anzahl von ihnen in mehreren Bezirken. Und Mandel, ein eleganter, charmanter Mann, an den sich viele in der jüdischen Gemeinde gern erinnern, führte eine ganze Riege junger Verkäuferinnen. „Wenn ihn jemand nach etwas Bestimmten gefragt hat“, erzählt seine Tochter Susan, „dann hat er geantwortet: ‚Das haben wir sicher, es ist nur die Frage, ob ich es finde.‘ So groß war sein Lager.“

„Wenn ihn jemand nach etwas Bestimmten gefragt hat, dann hat er geantwortet: ‚Das haben wir sicher, es ist nur die Frage, ob ich es finde.‘“
Susan Zloczower

Das große Hemd in der Auslage von Ferman kennt fast jeder
Das große Hemd in der Auslage
von Ferman kennt fast jeder

Umfangreich ist das Hemdenangebot auch heute, lange, hohe Regale voll, selbst mit ungewohnten Größen wie 36 oder 50. Aber abgesehen von der Ware hat sich das Geschäft doch seit den Gründerzeiten völlig verändert. Und es war nicht nur der Tod des Seniorchefs 1988, der seine Tochter und ihren Mann, Jerry Zloczower, dazu gebracht hatte. Mit der Ostöffnung wurde die gesamte europäische Textilwelt auf den Kopf gestellt, und dann traten noch die großen, internationalen Ketten auf den Plan.

„Bald nach 1989 sind unsere beiden Wiener Lieferanten in Konkurs gegangen“, erzählt Jerry Zloczower, der eigentlich aus der Finanzbranche kommt. „Es war billiger, im Osten zu produzieren, also sind die meisten dorthin gezogen oder haben dort eingekauft.“ Doch das sollte trotz der ungarischen und polnischen Ahnen nicht der Weg von Ferman sein, ganz im Gegenteil. Die Zloczowers wandten sich nach Westen, so weit Europa halt reicht.

„Wir lassen unsere Hemden in Porto nähen, im Norden von Portugal“, erklärt die Chefin. „Empfohlen hat uns das unser Stofflieferant aus Italien, aus der Gegend von Bergamo.“ Er kannte die portugiesische Firma und deren Qualität, sie belieferte auch heikle italienische Kunden. In der Gegend zwischen dem Duro und dem spanischen Galizien findet sich heute noch ein vielfältiger Cluster von Textilunternehmen, die trotz harter osteuropäischer und asiatischer Konkurrenz für die europäi­schen Markenartikler arbeiten. Die Inditex-Gruppe von Zara und Massimo Dutti ist einer der großen regionalen Auftraggeber, aber zu den Abnehmern zählen auch teurere Brands wie Van Laack oder Hugo Boss.

Das Geschäft wurde über die Jahre immer wieder modernisiert
Das Geschäft wurde über die Jahre
immer wieder modernisiert

Die transeuropäische Zusammenarbeit von Ferman mit seinen Lieferanten und Zuarbeitern ist inzwischen bestens eingespielt. Vier Mal im Jahr schicken die italienischen Stofferzeuger aktuelle Muster nach Wien, die Zloczowers suchen aus, und die Weber beliefern die Nähwerkstatt am Atlantik. Zwei, drei Monate später treffen dann die Kartons mit den Hemden in Wien ein. „Vielleicht 60 Prozent unserer Herrenhemden sind klassisch, etwa 40 Prozent modischer und sportlicher“, erzählt Frau Zloczower. Die Preise liegen zwischen 50 und 80 Euro, also doch deutlich unter jenen der großen Brands.

Dabei ist die Stoffvielfalt beachtlich, von Oxford bis zu Fil à fil, von Leinen bis zu Garbadine und gezwirntem Twill, die Kragenformen variieren zwischen Haifisch, Kent und Button-down, die Farben reichen von Streif bis zu Karo, von einfärbig bis zu gewagteren Mustern. „Momentan ist das weiße Hemd wieder stärker gefragt“, weiß Jerry Zloczower. Und noch ein nicht unwesentliches Detail berichtet er aus seiner langjährigen Erfahrung. „Man sollte es nicht glauben, aber die Männer werden immer schlanker. Wir haben vor einigen Jahren unseren Grundschnitt verändert, von voll auf medium slim. Und manche wollen es noch enger.“

„Man sollte es nicht glauben, aber die Männer werden immer schlanker.“
Jerry Zloczower

Blusen lässt Ferman nur selten in Portugal fertigen, und wenn, dann vor allem für Firmengroßbestellungen, etwa von Gastronomiebetrieben oder Banken. „Was aber immer wieder vorkommt“, so der Unternehmer, „ist, dass sich Frauen von uns Herrenhemden anpassen lassen: die Ärmel und den Stock kürzen und den Umfang taillieren. Dass sie rechts geknöpft sind, stört sie nicht, im Gegenteil.“

Susan Sloczower bleibt der Tradition ihres charismatisch-charmanten Vaters und Firmengründers Ferdinand Mandel bis heute treu.
Susan Sloczower bleibt der Tradition ihres charismatisch-charmanten Vaters und Firmengründers Ferdinand Mandel bis heute treu.

Ferman hat seine Stammkunden vor allem in Wien, Männer, die nicht unbedingt Standardware aus dem Kaufhaus tragen wollen. Dazu kommen aber auch ausländische Gäste, aus Deutschland, den USA, Mexiko. Und manche nehmen dann auch gleich eine Krawatte dazu, hier finden sie noch seltene Stücke aus Wiener Produktion. Zwar hat Phoenix seine eigenen Detailgeschäfte schon geschlossen, aber an Ferman liefert die Firma noch zu: Es sind Krawatten aus matt-schimmerndem Gum-Twill oder aus dem selten gewordenen dreidimensio­nal wirkenden Dreher, ein Material, das nur mehr auf einigen wenigen alten Webstühlen in Como hergestellt wird.

Darüber können die Zloczowers erzählen, sie nehmen sich auch Zeit für die Kunden, manche bleiben zum Plaudern und Espresso. „Das Café mit dem großen Hemd hat uns schon einmal jemand genannt“, lacht Susan Zloczower. „Und wo das hängt, weiß wirklich fast jeder.“

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