Chemiker. Forscher. Ölhändler.

Martin Komjati stammt aus einer jüdisch-slowakischen Unternehmerfamilie. Seine eigene Karriere hat ihn vom Labor in die Wirtschaft geführt.

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Martin Komjati ist ursprünglich promovierter Chemiker und forschte zehn Jahre lang am Wiener AKH an Diabetesursachen. © Reinhard Engel

Entschuldigen Sie bitte, da ist mein größter Kunde dran. Es gibt ein technisches Problem beim Export eines österreichischen Maschinenbauers nach Australien. Das muss ich kurz besprechen.“ Der Kunde, mit dem Martin Komjati in wenigen Sätzen am Telefon eine mögliche Lösung bespricht, ist nicht gerade eine unbekannte Größe in der internationalen Wirtschaft: der russische Energiekon­zern Lukoil. Und was verkauft Komjati ihm? Schmierstoffe und Spezialöle.

„Wir haben auch andere internationale Energiefirmen als Kunden, etwa Castrol, Shell, Exxon Mobil oder BP. Die Verbindung zu Lukoil ist entstanden, als die OMV vor einigen Jahren ihren Bereich der Spezialschmierstoffe an das russische Unternehmen verkauft hat“, erklärt Komjati. Und auch die anderen Energiemarkenartikler wollen derartige Produkte in ihrem Sortiment halten, sie sind ihnen aber dann doch zu speziell, um sie selbst herzustellen.

Das macht das deutsche Unternehmen Kajo, ein Familienbetrieb in Nordrhein-Westfalen, gegründet in den 1970er-Jahren. Bei der Expansion über die Grenzen suchten die Besitzer in den 90ern für Österreich und Osteuropa nicht bloß einen angestellten Vertreter, sondern einen Unternehmer, der sowohl fachkundig war, sich aber auch an Risiko und Gewinn beteiligen wollte. Für Komjati passte dieses Angebot damals perfekt.

Er überlegte zeitweise, sich zu habilitierten, doch dann wollte er doch in die Wirtschaft wechseln, „in die wirkliche Welt“.

Einerseits stand er privat an einem Wendepunkt. Er hatte eine Scheidung hinter sich und wollte für seine beiden Kinder mehr Zeit haben, als dies ein Angestelltenjob bieten konnte. „Außerdem habe ich mich bei meiner vorherigen Position eigentlich selbst wegrationalisiert.“ Das kam so: Komjati war technischer Geschäftsführer des österreichischen Speiseölherstellers VFI. Man erzeugte Speiseöle der Marken Osolio und Kronenöl, belieferte darüber hinaus aber auch die Lebensmittelketten Spar und Hofer mit deren Eigenmarken.

„Als der EU-Beitritt vor der Türe stand, haben wir in drei Fabriken produziert, in Wien, Wels und Innsbruck“, erzählt Komjati. „Aber das waren eher kleine Werke. Ich habe alles am größten Standort Wels konzentriert.“ Der Wechsel von den Lebensmitteln zu den Ölen für Maschinen wie Kräne, Traktoren oder Pressen hatte sich schon vorher ergeben. „Man hat damals an biologisch abbaubaren Ölen geforscht, und wir haben das auch gemacht.“ Von dort war der Schritt zur deutschen Kajo ein recht kurzer.

Mit biologisch abbaubaren Ölen hat Komjati auch heute noch zu tun. Um zwei Extreme zu zeigen: Diese finden etwa in Kettensägen in der heimischen und osteuropäischen Forstwirtschaft ihre Verwendung – man will ja den Waldboden nicht verschmutzen. Und auch bei den riesigen Tunnelvortriebsmaschinen in der steirisch-kärntnerischen Koralpe werden Hydrauliköle von Kajo eingesetzt. Komjati: „Allein in diesen Maschinen sind jeweils 14 Tonnen davon. Da sollte nichts passieren und auch bei kleinen Undichtheiten das Grundwasser nicht gefährdet werden.“

Die Betreuung großer Energie- und Industrieunternehmen ist eigentlich Komjatis dritte Karriere. Im Bubenalter wollte er zwar Autodesigner werden, später schwankte er zwischen den Studien der Medizin und der Chemie. Als promovierter Chemiker forschte er dann zehn Jahre lang am Wiener AKH an Diabetesursachen, „und wir haben gute Forschung betrieben, auch viel publiziert, in international sehr renommierten US-Fachmagazinen.“ Er überlegte zeitweise, sich zu habilitierten, doch dann wollte er doch in die Wirtschaft wechseln, „in die wirkliche Welt“.

Dabei dürften durchaus auch familiäre Prägungen eine Rolle gespielt haben. Komjatis Großvater betrieb in Senica eine Likörfabrik mit einigen Dutzend Mitarbeitern. Senica lag in der Monarchie in der ungarischen Reichshälfte, nach 1918 in der Tschechoslowakei. Er erkannte in den 30er-Jahren die politische Gefahr der europäischen Großwetterlage und traf einige kluge Entscheidungen. Gemeinsam mit anderen jüdischen Unternehmern hatte der Großvater eine kleine Bank gegründet und diese dann verkauft. Sein eigenes Unternehmen formierte er in eine AG um, und als die Zeichen auf Nationalsozialismus standen und in der Slowakei das autoritäre Tiso-Regime an die Macht kam, verkaufte er pro forma die Aktien an die in arischem Besitz stehende Bank.

Sein Sohn, Martin Komjatis späterer Vater, konnte noch bis 1944 als „kriegswichtiger Jude“ weiterarbeiten, dann wurde er aber verhaftet und – für ihn glücklicherweise – als „Politischer“ über Brünn nach Buchenwald verschleppt. Am Ende des Kriegs befreiten ihn die Amerikaner aus Dachau, da wog er nur mehr 35 Kilogramm. Er kehrte nach Senica zurück und brachte – vorerst mit primitiven Mitteln – die Produktion wieder in Gang. Es waren bereits neue Abfüllmaschinen in der Schweiz bestellt, da beendete 1948 ein einfaches Papier der nun regierenden Kommunisten von einem Tag auf den anderen alle geschäftlichen Aktivitäten. „Es war wirklich absurd“, analysiert sein Sohn heute: „Unter den Nazis war er Bolschewik, unter den Kommunisten Kapitalist.“

Prager Frühling. Erst schlug sich Vater Komjati als Werbezeichner in einem örtlichen Textilunternehmen durch, dann übersiedelte er mit seiner Frau nach Bratislava, wo Martin 1954 zur Welt kam. Der Vater arbeitete inzwischen als Lagerleiter bei einer Baufirma, hier war jetzt auch wieder ein jüdisches Leben möglich. „Ich habe die bis dahin größte Bar Mitzwa in Bratislava gehabt.“

Dennoch wollte die Familie nicht bleiben. Sie hatten zwar noch – offiziell angemeldet – Geld im Ausland, womit sie sich das Leben im Kommunismus etwas erleichtern konnten. Aber alle gemeinsam durften nie in den Westen reisen, einer musste immer als Faustpfand zurückbleiben. Erst im kurzen liberalen Fenster des Prager Frühlings gelang die Übersiedlung nach Wien. „Die Österreicher haben sich für uns nicht sehr interessiert, aber meine Eltern hatten die deutsche Handelsschule in Pressburg besucht, daher wurden wir als deutsche Spätaussiedler betrachtet. Wir wohnten zuerst in Deutschland, aber die Familie meiner Großmutter väterlicherseits stammt aus Etsdorf am Kamp, daher war Wien nahe liegend. Ich habe dennoch heute noch immer einen deutschen Pass.“

Neben der mehrstufigen und abwechslungsreichen Karriere und zwei Ehen, aus denen er zwei ältere und zwei jüngere Kinder hat, blieb Komjati auch noch Zeit für Engagement in jüdischen Belangen: erst bei den Hochschülern, dann in der Jugendloge von B’nai B’rit und jetzt im Vorstand von Keren Hajessod. 

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