Da gäbe es auch noch das Abzeichengesetz

Jährlich werden mittlerweile hunderte Anzeigen nach dem Verbotsgesetz verzeichnet – doch nur in wenigen Fällen kommt es dann auch zu einer Verurteilung. In vielen Fällen könnte nachgereiht auch das Abzeichengesetz zur Anwendung kommen, betont nun der Politikwissenschafter Mathias Lichtenwagner. Er bedauert, dass es seitens der Exekutive kaum mehr Beachtung findet.

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Mathias Lichtenwagner. Die Ahndung nach dem Abzeichengesetz würde mehr Unrechtsbewusstsein schaffen. © Daniel Shaked

Als WINA für die Jänner-Ausgabe dieses Jahres in Justiz- und Innenministerium nachfragte, wie gegen NS-Symbole im öffentlichen Raum vorgegangen werden kann, wurde auf das Verbotsgesetz verwiesen sowie betont, andere Symbole, wie etwa jenes des Islamischen Staats, fallen unter das neue Symbole-Gesetz. Die NGO ZARA erinnerte zudem an das EGVG (Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen). Das Verbotsgesetz greift bei Wiederbetätigung mit Vorsatz (Strafrahmen: bis zu zehn Jahre Haft, bei besonderer Gefährlichkeit der Täter 20 Jahre). Das EGVG ahndet Wiederbetätigung ohne Vorsatz, hier kommt es zu einer Geldstrafe von bis zu 2.180 Euro.
Die Polizei hätte aber, wenn sie zum Beispiel bei einer Kundgebung auf Aufklebern, Transparenten, aber auch auf T-Shirts oder anderen Kleidungsstücken Symbole entdeckt, die mit dem Nationalsozialismus in Verbindung stehen, Verwaltungsstrafen nach dem Abzeichengesetz zu verhängen. Dabei sind bis zu 4.000 Euro zu zahlen und das Objekt, auf dem das verbotene Symbol zu sehen ist, wird konfisziert und in der Folge vernichtet.
Die Statistik zeigt, dass das Abzeichengesetz in der Praxis aber kaum mehr angewandt wird. Zwischen 1984 und 1988 gab es 209 Anzeigen nach dem Abzeichengesetz und 471 Anzeigen nach dem Verbotsgesetz. Das entsprach einem Verhältnis von 1:2. Von 2011 bis 2015 wurde 87 Mal nach dem Abzeichengesetz angezeigt und 3.047 Mal nach dem Verbotsgesetz. Das Verhältnis betrug also 1:35. Für das Jahr 2017 weist der Verfassungsschutzbericht 798 Anzeigen nach dem Verbotsgesetz, 15 nach dem Abzeichengesetz und 19 nach dem EGVG aus.

Ein geschicktes Spiel mit NS-Symbolik, ohne sich nach dem Abzeichengesetz strafbar zu machen, treibt aktuell die Bewegung der Identitären. 

Sieht man sich die Verurteilungsrate bei Delikten nach dem Verbotsgesetz an, lag diese in den Jahren 2010 bis 2015 nur zwischen fünf und acht Prozent. „Diese Werte sollen eine Perspektive darauf bieten, wie gering die Aussagekraft der Anzeigen über die tatsächliche Strafbarkeit der Delikte sein kann“, schreibt die Juristin Angelika Adensamer in dem jüngst im Verlag Clio erschienenen Band „… um alle nazistische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern“ der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz (siehe auch Kasten).
Genau hier hakt Lichtenwagner ein. Gäbe es einen Automatismus, der nach einer Einstellung eines Verfahrens nach dem Verbotsgesetz das Abzeichengesetz zur Anwendung brächte, würden vielleicht mehr solcher Vergehen geahndet. Und auch wenn der Strafrahmen ein wesentlich geringerer sei, würde es vielleicht bei den Betroffenen, zumal wenn sie dann mehrmals nach dem Abzeichengesetz bestraft würden, doch mehr Unrechtsbewusstsein schaffen. Aber auch die Polizei könnte, wenn ihr Symbole der NS-Zeit unterkommen, statt, wie derzeit, gar nichts zu unternehmen, im Wissen, dass eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz nicht hält, öfter Verwaltungsstrafen nach dem Abzeichengesetz verhängen. Stichwort Flohmärkte: Bis heute gibt es dort einen florierenden Handel mit NS-Devotionalien. Das Abzeichengesetz wäre eine Möglichkeit, die Händler mürbe zu machen und klare Grenzen aufzuzeigen. Für eine Verurteilung nach dem Verbotsgesetz reicht es in diesen Fällen meist nicht.
Das Abzeichengesetz trat 1960 in Kraft und war die Antwort auf zwei Phänomene: Einerseits marschierten Rechtsextreme auf den Straßen auf. Zum anderen hielten Kameradschaftsverbände öffentliche Versammlungen ab, bei denen die Teilnehmer oft auch Wehrmachtsabzeichen trugen. Viele von diesen enthielten das Hakenkreuz. Wie dieses Dilemma lösen? Das Abzeichengesetz untersagte fortan das Zurschaustellen von NS-Symbolen. Kriegsauszeichnungen durften zwar getragen werden, es musste zuvor aber das Hakenkreuz mechanisch entfernt werden. Ein alleiniges Unsichtbarmachen, etwa durch eine Wachsschicht, reichte demnach nicht.

Klare Botschaft. Die aktuell regierende ÖVP-FPÖ-Koalition verweist gerne auf das wesentlich jüngere Symbolgesetz, in das neben Zeichen wie jenem des Islamischen Staates oder der Grauen Wölfe auch das der kroatischen Ustascha aufgenommen wurde. Für Lichtenwagner findet hier eine Vermischung statt, die nicht nachvollziehbar sei. Das Ustascha-Zeichen, Symbol einer faschistischen Bewegung, die von 1941 bis 1945 im mit Nazideutschland verbündeten „Unabhängigen Staat Kroatien“ an der Macht war, gehörte besser ins Abzeichengesetz, meint der Politikwissenschaftler. Denn es sei ein historisches faschistisches Symbol, während die anderen in das Symbolgesetz aufgenommenen Zeichen in der Gegenwart aktiven Organisationen zuzuordnen seien.
Während das Symbolgesetz die verbotenen Zeichen taxativ aufzählt, funktioniert das Abzeichengesetz anders. Verboten ist jegliches Symbol, das vom NS-Staat und diversen Unterorganisationen verwendet wurde. Eine Orientierung biete das NSDAP-Organisationsbuch von 1943, das in wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstands (DÖW) eingesehen werden kann. Verboten sind aber auch so genannte Ersatzsymbole, die zwar nicht eins zu eins einem NS-Symbol gleichen, aber einem solchen nachempfunden sind und dem Betrachter eine klare Botschaft vermitteln. Als Beispiel aus tatsächlich geführten Verfahren nennt Lichtenwagner etwa die Verwendung von roten Armbinden mit Lebensrune statt dem Hakenkreuz.
Ein geschicktes Spiel mit NS-Symbolik, ohne sich nach dem Abzeichengesetz strafbar zu machen, treibt aktuell übrigens die Bewegung der Identitären. Dort seien Juristen am Werk, welche die Grenzen klar ausloten, diese aber nicht überschreiten, so Lichtenwagner.
Insgesamt setze das Abzeichengesetz anders als das Symbolgesetz, das klar sagt, dieses und jenes Symbol ist verboten, sowohl mündige und aufmerksame Staatsbürger wie auch eine kompetente Exekutive voraus. Im Zweifelsfall gäbe es aber mit dem DÖW eine kompetente Anlaufstelle, um zu klären, ob es sich tatsächlich um ein NS-Symbol oder ein Ersatzsymbol handle. Das Wichtigste sei daher, in Erinnerung zu rufen, dass es das Abzeichengesetz gibt und dass damit auch nicht bei jedem Fall zum Verbotsgesetz gegriffen werden muss.

Nie mehr wieder Nationalsozialismus

Mathias Lichtenwagner, Ilse Reiter-Zatloukal (Hrsg.): „… um alle
nazistische Tätigkeit
und Propaganda in Österreich zu verhindern.“
NS-Wiederbetätigung
im Spiegel von Verbotsgesetz und Verwaltungsstrafrecht. CLIO 2018, 108 S., 18 €

Mit Unterzeichnung des Staatsvertrages hat sich Österreich 1955 verpflichtet, Gesetze gegen faschistische und nationalsozialistische Betätigung zu erlassen. Am bekanntesten ist das Verbotsgesetz, das hohe Strafen vorsieht, wenn NS-Wiederbetätigung mit Vorsatz nachgewiesen werden kann. Aber auch mit Verwaltungsgesetzen – dem Abzeichengesetz und dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen – kann Wiederbetätigung (dann ohne Vorsatz) oder das öffentliche Zurschaustellen von NS-Symbolen geahndet werden.
Doch welche Wirkung entfalten diese Gesetze? Wie werden sie angewandt? Und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Mit diesen Fragen hat sich Anfang 2018 eine Tagung in Wien beschäftigt. Mathias Lichtenwagner und Ilse Reiter-Zatloukal haben die dabei verhandelten Themen nun in dem von ihnen herausgegebenen Band „… um alle nazistische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern“ versammelt. Die Expertenbeiträge enthalten zahlreiche Empfehlungen für Politik, Justiz und Zivilgesellschaft und auch einige Anmerkungen dazu, was lediglich Symbolpolitik ist.

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