„Das Feuer hat in mir gebrannt, ich musste Oper singen“

Würdigung einer großartigen Opernsängerin und Musikpädagogin: Hilde Zadek feiert ihren 100.Geburtstag.

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© Herbert Neubauer / picturedesk.com

Die schöne und kluge Grande Dame der Oper, die heute noch zahlreiche jung gebliebene Opernfans in verklärtes Schwärmen versetzt, wohnt in einer lichtdurchfluteten Dachgeschoßwohnung in Döbling. Es ist kaum zu glauben, aber die betörende Sopranistin und großartige Pädagogin Hilde Zadek beging vor Kurzem ihren 100. Geburtstag. „Das Feuer hat in mir gebrannt, ich musste Oper singen – nach dem Krieg an einem deutschsprachigem Haus. Aber es war ein harter Kampf mit mir selbst, und ich habe lange, lange darüber qualvolle Nächte verbracht. Dann habe ich mich entschieden, das Wiener Publikum zu lieben, sonst hätte ich nicht für sie singen können.“ So schilderte uns Zadek anlässlich ihres 90. Geburtstages ihre Gefühlslage zu Beginn ihrer Karriere an der Wiener Staatsoper. Dieser Entschluss unter dem Motto „Kunst muss über allem stehen“ lässt sie von 1947 bis 1971 insgesamt 39 verschiedene Rollen in 786 Vorstellungen singen.

Doch bis zu dieser Statistik einer Weltkarriere, die trotz ungebrochener Treue zum Haus am Wiener Ring auch Opernhäuser in Edinburgh und Glyndebourne, London und Paris sowie die Mailänder Scala und die New Yorker Metropolitan Opera umfasste, war es vom Geburtsort Bromberg ein langer Weg. Die Stadt wurde 1920 Polen zugeschlagen, weshalb Zadeks Eltern nach Stettin in Deutschland übersiedelten, wo sie wieder ein Schuh- und Ledergeschäft betrieben. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird sie als Jüdin in der Schule drangsaliert. Der Schuldirektor bestärkt sie darin, nach Berlin zu gehen, und so beginnt die 16-Jährige eine Ausbildung in einem jüdischen Säuglingsheim, reist im Jahr darauf nach Palästina, schließt dort ihre Ausbildung ab, muss aber, weil sie nur ein Touristenvisum hat, im Dezember 1937 das Land wieder verlassen.

»Dann habe ich mich entschieden, das Wiener Publikum zu lieben, sonst hätte ich nicht für sie singen können.« Hilde Zadek

Mutige Sängerin ohne Allüren. Zadek versteckt sich ein paar Wochen bei den Eltern in Stettin, bald gelingt es ihr, in die Schweiz auszureisen. 1939 erhält sie den Status „British subject of Palestine“ und tritt einen Job am Bikur-Cholim-Krankenhaus in Jerusalem an, aber sie ruht nicht, bis sie ihre Eltern und ihre Geschwister nachholen kann. Erst mit 22 Jahren erfüllt sie sich ihren Traum: Am Konservatorium, wo ihre Krankenhauschefin ehrenamtliche Direktorin ist, beginnt sie ein Gesangsstudium, das sie nach fünf Jahren mit Auszeichnung abschließt. Parallel dazu arbeitet sie im Schuhgeschäft ihrer Eltern mit. Mit einem Stipendium für die Züricher Musikakademie besteigt sie 1945 ein Truppentransportschiff nach Europa. „Ich ging täglich in die Oper. Ich hatte wenig Geld, aber ich verzichtete lieber auf das Essen als auf die Oper“, erinnert sie sich. Die Miete bezahlte sie mit dem Geld, das sie sich jeden Sonntag in der St.-Peters-Kirche in Zürich ersang.

In der Schweiz lernte Zadek den Wiener Staatsoperndirektor Franz Salmhofer kennen – und zögert keine Sekunde, als er ihr das Angebot macht, kurzfristig für die Titelrolle in Verdis Aida einzuspringen. „Ich hatte bis dahin keinen Ton aus Aida gesungen, hatte die Oper weder live noch auf Platte gehört. In fünf Tagen lernte ich die Partie und habe ohne Probe, ohne je auf einer Bühne gestanden zu sein, hier debütiert“, lacht sie und setzt nach, „und wenn ich ganz ehrlich sein soll? Ich habe die Partie im Verlauf meiner Karriere in 168 Vorstellungen gesungen, aber niemals so schön wie damals!“ Am nächsten Tag unterschrieb sie ihren Vertrag an der Wiener Staatsoper.

Schnell läuft auch die internationale Karriere an: Ab 1948 begeistert die Operndiva ohne Allüren mit ihrem ausdrucksstarken dramatischen Sopran in vielen Glanzpartien, als Marschallin im Rosenkavalier, Leonore in Fidelio oder Donna Anna in Don Giovanni. 1971 zog sich das Ehrenmitglied des Hauses am Ring von der Bühne zurück und war seitdem in den USA, Österreich und regelmäßig in Israel als Lehrerin tätig. Seit 1999 ist ihr Name außerdem mit dem „Hilde Zadek Gesangswettbewerb“ verbunden, der alle zwei Jahre junge Gesangstalente ins Rampenlicht holt. Das macht die rüstig Junggebliebene mit großem Engagement weiter. Wir wünschen Hilde Zadek Ad me’ah v’esrim: Bis 120! Jetzt ist das nicht mehr weit!

 

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