Das Gemeinsame in den Vordergrund stellen

Avi Malaev ist ein Mann der leisen, aber entschlossenen Worte. Der Generalsekretär von Jachad kämpft intern und extern gegen Vorurteile. WINA sprach mit ihm über sein Engagement gegen Antisemitismus und seine Wünsche für die jüdische Gemeinde.

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© Daniel Shaked

Avi Malaev zeigt vor, wie man Erfolg im Berufsleben mit einem religiösen Leben und Engagement für die Gemeinde verknüpfen kann. Der Vater von vier Kindern, der trotz zweimaliger Emigration als Kind – die Familie wanderte zunächst von Samarkand nach Israel, ein paar Jahre später dann nach Österreich aus – in Wien ein Studium an der Technischen Universität abschloss, arbeitet heute als selbstständiger Immobilienmakler. Er ist aber auch Generalsekretär des Vereins Bucharischer Juden (VBJ) Jachad und realisiert in dieser Funktion Projekte für seine Kehille. Dabei ist ihm die Arbeit für Kinder und Jugendliche ebenso ein Anliegen wie Projekte für Frauen oder Senioren und Seniorinnen.

Malaev engagiert sich aber auch außerhalb der Gemeinde – jedoch im Sinn der Gemeinde, wie er betont. In Sachen Bekämpfung von Antisemitismus kooperiert der VBJ mit dem mehrfach ausgezeichneten Projekt Not in God’s Name, einer Initiative, die versucht, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt bei vorrangig migrantischen Jugendlichen abzubauen. Indem er zum Beispiel Begegnungen mit Role Models aus der Kampfsportszene, die teils selbst einst als Flüchtlinge oder Migranten nach Österreich kamen, organisiert, sucht er das Gespräch mit jungen Menschen.

»Als wir dann in der Gaskammer gestanden sind, haben sie gar nicht gewusst,
was das ist, wo wir da gerade sind.«
Avi Malaev

Mit kleineren oder größeren Gruppen von Jugendlichen (je nach Workshop sind es 20 bis 50 junge Menschen) lotet er einmal aus, inwiefern allgemeine Vorurteile bestehen und wie man diese hinterfragen und auflösen kann. „Dann gehe ich langsam den nächsten Schritt, indem ich meine Baseballkappe abnehme, sodass man meine Kippa sieht. Ich erzähle, was ist das Judentum, dadurch bauen sich Vorurteile ab.“

Not in God’s Name. Vergangenen Sommer setzten Malaev und der VBJ gemeinsam mit Not in God’s Name den Startschuss zu einem Vorzeigeprojekt: Der VBJ-Generalsekretär fuhr gemeinsam mit muslimischen, christlichen und jüdischen, geflüchteten, migrantischen sowie österreichischen Mädchen und Burschen zur KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Die Gespräche schon auf der Hinfahrt im Bus waren für ihn sehr bewegend. „Vor allem muslimische Jugendliche haben nicht gewusst, dass es Konzentrationslager gab. Und dass dort viele Juden umgebracht wurden. Als wir dann in der Gaskammer gestanden sind, haben sie gar nicht gewusst, was das ist, wo wir da gerade sind.“ Am Ende seien sich alle einig gewesen, dass so etwas wie der Holocaust nicht mehr stattfinden dürfe. „Es war eine so positive Stimmung am Ende.“

Aber auch andere Aktivitäten habe man in gemischten Gruppen wie jener, die in die KZ-Gedenkstätte Mauthausen fuhr, gestartet. Dazu gehörten Besuche im Jüdischen Museum, Exkursionen im Bezirk mit einem Fokus auf der NS-Zeit, dem Holocaust, etwa an Hand der „Steine der Erinnerung“. Malaevs Fazit: „Es ist viel Nichtwissen da.“

Die Jugendlichen, die er im Zug der Kooperation mit Not in God’s Name erreiche, seien dann aber Multiplikatoren. Und das helfe dann wiederum der jüdischen Gemeinde. Denn Malaev weiß auch: Die Anfeindungen auf der Straße gegenüber Menschen, die als Juden erkennbar sind, nehmen zu. „Meine Kinder wurden schon mehrmals angepöbelt.“ Ob es gefährlicher sei, mit Kippa auf die Straße zu gehen, könne er allerdings nicht sagen. „Ich gehe immer schon mit Kappe oder einer anderen Kopfbedeckung über der Kippa auf der Straße.“

So wie es durch die Begegnungen zwischen Nichtjuden und Juden im Rahmen dieser Antigewaltarbeit zum Abbau von Vorurteilen kommt, so würde es sich Malaev auch zwischen den sephardischen und nicht-sephardischen Teilen der jüdischen Community wünschen. Jachad nenne sich der VBJ, also gemeinsam. Die bucharische Gemeinde mache viel, das allen zu Gute komme: „Wir schaffen Infrastruktur von Restaurants bis zu Bethäusern. Es gibt täglichen Talmudunterricht für Kinder jeden Alters und jeglicher Herkunft. Aschkenasisch, grusinisch, bucharisch – niemand wird ausgeschlossen.“ Als Generalsekretär von Jachad treffe er keine politischen Entscheidungen. „Wenn wir aber so viel machen und das immer noch nicht verstanden wird, dann läuft generell etwas falsch. Egal, wer nun schuld daran ist.“

Im Judentum gebe es das Gebot, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ein anderes laute, die Eltern zu ehren. Das bedeute aber auch, dass Eltern sich so benehmen müssten, dass die Kinder sie ehren könnten. „Die Eltern müssen sich bemühen. Für die Gemeinde heißt das, alle müssen miteinander kommunizieren.“ Dass Malaev diese Art des Vergleichs wählt, kommt nicht von ungefähr. Als die Familie in Israel ankam, schickten ihn die Eltern zunächst für ein Jahr in eine Jeschiwe mit Internat. Dort lernte er nicht nur in nur einem Monat Iwrit, dort wurde auch der Grundstein für sein heutiges religiöses Leben gelegt.

Seine Jugendjahre in Wien verbrachte er in österreichischen Schulen, lebte traditionell, aber nicht so observant wie heute. Mit der Hochzeit beschloss er jedoch, ein religiöses Leben zu führen. Deshalb suchte er auch nach einer Möglichkeit, selbstständig zu arbeiten. Als Elektrotechniker war er zunächst in einem großen Unternehmen in der Forschung und Entwicklung tätig. Es sei jedoch nicht leicht, das Einhalten des Schabbat oder das Begehen von jüdischen Feiertagen mit den Anforderungen eines österreichischen Arbeitgebers zu verbinden. Als Selbstständiger gelinge das Verbinden von Arbeit und dem Befolgen der Vorgaben der Thora leichter.

Und insofern überrascht es dann auch nicht, dass harsche Worte nicht Malaevs Sache sind. Er streicht vor allem das Positive, das Gute heraus – und nimmt dabei auch die Position des Zuwanderers ein, die auch in seiner Arbeit für die Initiative Not in God’s Name eine Rolle spielt. Er kann sich hineinversetzen, wie es ist, sich fremd zu fühlen. Schließlich musste er sich als Kind zwei Mal alles neu aufbauen. Als die Familie nach Österreich kam – Avi Malaev war damals 13 Jahre alt – sagte der Vater zu ihm und seinen zwei Geschwistern: „Geht in die Schule und schaut, dass ihr brav seid. Lernt, ohne Emotionen zu zeigen. Was der Lehrer sagt, macht ihr.“

Die Kinder haben sich daran gehalten. So machte Malaev den Pflichtschulabschluss, obwohl er nur wenig Zeit hatte, um Deutsch zu lernen, so absolvierte er eine Lehre, machte parallel die Matura, studierte. Dankbar ist Malaev aber auch in einem anderen Kontext. „Wir müssen dankbar sein, dass es Österreich gibt, dass es die IKG als starke Institution gibt. Da ist viel aufgebaut worden. Diese Infrastruktur ist einzigartig in Europa. Und ich finde, dass wir alle gemeinsam versuchen müssen, sie zu erhalten. Dazu gehört es auch, gegenseitige Vorurteile abzubauen.“


Avi Malaev, geb. 1967 in Samarkand, 1974 emigriert die Familie nach Israel, 1980 erneute Emigration nach Wien. Goldschmiedlehre, parallel dazu Matura, danach Elektrotechnikstudium. Nach Abschluss des Studiums zunächst in Forschung und Entwicklung tätig, dann selbstständig im Vertrieb von EDV-Anlagen und Software, schließlich Erwerb der Immobilienmaklerkonzession. Heute Immobilienmakler sowie Generalsekretär des Vereins bucharischer Juden Jachad. Malaev ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

 

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