Miriam Rothbacher steckt voller Tatendrang. Die pensionierte Kinderärztin hilft heute benachteiligten indigenen Kindern in Bolivien, jenem Land, das sie 1939 als Vierjährige mit offenen Armen aufnahm. Und das sie bis heute als ihre Heimat sieht. Von Alexia Weiss
Im August ist Miriam Rothbacher wieder einmal nach Bolivien geflogen. Die Vorfreude war ihr ins Gesicht geschrieben. Alle drei Jahre leistet sie sich diese große Reise – heuer wurde sie von zwei ihrer Enkelkinder begleitet. Bolivien: Wenn Rothbacher über ihr bewegtes Leben erzählt, weiß man, dass sie von dort eigentlich nie mehr wegwollte. Doch es kam alles anders.
Spät, sehr spät sei die Familie aus Berlin ausgewandert. Der Vater war Lehrer, bereits seit 1935 vom Unterricht suspendiert. „Er hat dann offensichtlich sehr wenig Geld gehabt, und zum Ausreisen hat man Geld gebraucht.“ Erst als eine entfernte Verwandte ein Visum und einen Arbeitsvertrag mit der Amerikanischen Schule in La Paz schickte, konnte die Familie ihre Koffer packen.
Der um vier Jahre ältere Bruder war damals schon schwer traumatisiert. „Bei der Überfahrt haben wir dazwischen irgendwo mit dem Schiff angelegt, fast am Äquator. Es war sehr heiß, und unsere Eltern haben sich mit uns auf eine Parkbank gesetzt. Mein Bruder hat da einen fürchterlichen Aufstand gemacht, gesagt, ihr könnt euch nicht auf diese Bank setzen, die ist ja nicht grün. In Berlin durften Juden damals offenbar nur auf grünen Bänken sitzen.“
Wahnbilder des Bruders
Der Bruder war es schließlich auch, der die Familie wieder in Deutschland vereinte. Bis 1955 ging Rothbacher in La Paz in die Schule, begann dort ihr Medizinstudium. Als der Vater in Deutschland eine kleine Pension bekam, konnte er ihr mit dieser das Studium finanzieren. „Das Transferieren von Geld war damals noch schwierig – so bin ich nach Heidelberg gegangen.“ Dort beendete sie das Studium, machte den Turnus – und wollte danach nur eines: zurück nach Bolivien. Doch kurz vor dem Staatsexamen hatte der inzwischen auch in Deutschland, in Tuttlingen, lebende Bruder einen Breakdown – hier kamen die Wahnbilder wieder hoch, es folgten lange Klinikaufenthalte. Rothbacher rief ihre Eltern zu Hilfe, alleine sah sie sich der Situation nicht gewachsen.
Keine Rückkehr möglich
Nun war an eine Rückkehr nach Bolivien nicht mehr zu denken – obwohl sich Rothbacher in Deutschland alles andere als wohlfühlte. „Da waren diese verschlossenen Deutschen, mit denen ich nie Kontakt gehabt habe. Niemand wusste, was das für ein Name war, Miriam. Oft haben sie mich mit Herr angeschrieben. Dann die Ärzte in der Klinik, in der mein Bruder behandelt wurde. Ich bin mit denen nicht zurechtgekommen. Da gab es noch Lehrbücher in der Medizin, in denen gestanden ist, das sei eine Judenkrankheit.“