„Das war die Umkehr“

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Politische Wegbegleiter. Andreas Khol eröffnet die neue Gesprächsreihe im Gemeindezentrum./ © Alexia Weiss

Ende Mai gab IKG-Ehrenpräsident Ariel Muzicant den Startschuss zu einer Gesprächsreihe: „Ich möchte die Geschichte der IKG in den letzten 50 Jahren aufarbeiten und dokumentieren. Das beste Mittel dazu ist, mit Kronzeugen dieser Zeit über die teilweise gemeinsam zurückgelegten Wege zu sprechen, die dorthin geführt haben, wo wir heute sind.“ Sein erster Gesprächspartner: Andreas Khol, früherer ÖVP-Nationalratspräsident und heutiger Obmann des Seniorenbundes. Er war wesentlich an der Entstehung des Nationalfonds und später des Allgemeinen Entschädigungsfonds beteiligt. Dokumentation: Alexia Weiss

Ariel Muzicant: Ich möchte mit dem Privaten beginnen. Sie kommen aus Südtirol, haben schwierige Zeiten erlebt. Vielleicht erzählen Sie uns, wie es war, bevor Sie Präsident wurden? Und vielleicht erzählen Sie uns auch über ihre jüdischen Wurzeln?

Andreas Khol: Vielen Dank, Präsident Muzicant, für die Einladung. Ich kann nur bestätigen, wir haben immer gut mitei­nander gesprochen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Sie 1998, da war ich Klubobmann, mit fünf dicken Ordnern in der Hand die Klubobleute abgeklappert haben. Sie haben gesagt, „da gibt es noch eine ganze Reihe von nicht aufgeklärten und nicht geregelten Dingen. Wir wollen ja kein Geld, wir wollen Gerechtigkeit.“ Und ich kann mich erinnern, wie ich dann mit Viktor Klima in der Regierungssitzung drei Wochen später, nachdem ich mir den Ordner sehr genau angeschaut habe, darüber gesprochen habe und er sagte, „mein Gott, das rühr’ ma nicht an, das halt’ ma nicht aus.“ Später ist dann der Allgemeine Entschädigungsfonds daraus geworden.

Andreas Khol sprach offen und selbstkritisch über die gemeinsame Geschichte./ © Beck Lukas / picturedesk.comDie Familie. Ich komme aus einer sehr alten Südtiroler Freibauernfamilie. Mein Großvater war Berufsoffizier und Ritter der Eisernen Krone. Die Buben sollten Offiziere werden, die Mädchen Lehrerinnen. So kam mein Vater mit acht Jahren in die Militärkadettenanstalt, wo er das Ende des Krieges und dann die Abtrennung Südtirols miterlebt hatte. Wie alle Südtiroler hat er in Deutschland studiert. Er blieb in Deutschland und war 1935 in Peenemünde. Das war eine deutsche Raketenforschungsanstalt. Er hat mir schon mit 15 Jahren erzählt – und das war das Erste, was ich von Juden gehört habe –, wie er seinen Südtiroler Verwandten erzählt hatte, „die Deutschen bauen Raketen, da darf ich nichts sagen, aber stellt’s euch vor, da gibt’s Leute im g’streiften G’wandl, die haben nichts anderes gemacht, als dass sie Juden sind.“ „Herbert, das gibt’s ja nicht, bist du auch schon a Kommunist“, so haben die Leute reagiert.

Mein Vater hat dann 1936 bei den Olympischen Spielen meine Mutter kennen gelernt und Knall auf Fall geheiratet. Meine Mutter war Halbjüdin, fiel unter die Nürnberger Rassengesetze. Das hat meinen Vater aber nicht getroffen, weil er italienischer Staatsbürger war. Das hat wahrscheinlich meine Mutter gerettet. Ich habe gerade Matura gemacht, als man mir gesagt hat, dass meine Mutter Halbjüdin ist. Sie konnte deshalb 1933 nicht mehr promovieren. Der erste Begutachter hat ihr ein „Sehr gut“ gegeben, und der zweite hat gesagt, „Sie können nicht mehr promovieren.“ Dafür ist sie aber 1952 entschädigt worden.

AM: Ich bin 1998 bei meinen Antrittsbesuchen zu Vertretern dieser Republik gelaufen und habe gesagt, wir brauchen endlich eine vernünftige Restitution. Ich habe damals an die 30 unerledigte Punkte aufgezählt und ganz zart die Gründung einer Historikerkommission vorgeschlagen. Sie waren einer von denen, die mir zugehört und sich auch die Akten angeschaut haben. Einer, der mir auch zugehört hat, war Peter Kostelka.

AK: Er war mein Gegenüber.

AM: Sie haben es ernst genommen, dann wurde es schubladisiert; und Heinz Fischer hat noch gemeint, vielleicht könnte ich meine Wortwahl ändern und nicht fordern, sondern anregen. Daran werde ich mich auch immer erinnern. Und dann bin ich mit meiner Familie auf Urlaub gefahren, wir waren in Maine in einem Nationalpark. In der Nacht läutet das Telefon und mein Vizepräsident [Oskar Deutsch] ist am Apparat und sagt, „stell dir vor, die haben deine Historikerkommission beschlossen.Irgendein Fagan hat die Bank Austria geklagt, und da hat man sehr rasch beschlossen, die Kommission zu gründen.“  Warum war das so? Warum musste immer so ein bisserl Druck von außen kommen, damit etwas weitergeht?

„Ich habe Matura gemacht, als man mir gesagt hat, dass meine Mutter Halbjüdin ist.“ Andreas Khol

AK: Ich muss da auch an mir selber Maß nehmen und Kritik üben. Ich habe mich das erste Mal in die Sache wirklich eingelesen anhand Ihres Ordners. Davor war mir bekannt, wir hatten die sechs Rückstellungsgesetze, die diversen Sozialversicherungsgesetznovellen. Erst mit Ihrem Ordner habe ich gedacht, das sind ja wirklich die Kleinsten, die Ärmsten, die nicht entschädigt wurden; auch Mietrechte wurden nicht entschädigt. Und da habe ich gesehen, da war ja das siebente Rückstellungsgesetz geplant für das Mietrecht, aber da kam der Staatsvertrag dazwischen, und kaum hatten wir den Staatsvertrag, hat die Republik das siebente Rückstellungsgesetz vergessen. Und ich habe mir die Rückstellungspraxis angeschaut und gesehen, jeder, der etwas beanspruchte, musste das hieb- und stichfest beweisen, und wenn er das nicht konnte, wurde gegen ihn entschieden.

Ich habe mir geschworen, wenn ich in die Situation komme zu entscheiden, sollte es gerade umgekehrt sein: Wir sollen beweisen müssen, dass der Antragsteller in seinem Vorbringen Unrecht hat. Und beim Allgemeinen Entschädigungsfonds hat es dann gereicht, wenn man gesagt hat, ich heiße Arthur Paecht, ich habe am Schwarzenbergplatz gewohnt, mein Vater war Zahnarzt, wir haben die Wohnung verloren, und ich kann mich erinnern, wir hatten Aktien und Versicherungen. Das hat genügt. Das war die Umkehr – denn damals in den Jahren, in denen die Rückstellungen gemacht wurden, hat man sie widerwillig geleistet und alles so gemacht, dass man sie ja nicht leisten musste.

AM: Die Wende war 1991, da kam die Rede Vranitzkys. Und dann die Reise nach Israel.Ariel Muzicant spricht mit politischen Wegbegleitern über die Geschichte der IKG./ © Robert Newald / Picturedesk.com

AK: 1993 gab es eine Erklärung Vranitzkys auf der Regierungsbank: Die Republik Österreich war Opfer und viele Österreicher waren Täter.

AM: 1994 Mauerbach, 1995 Nationalfonds.

AK: Das war einer der ersten Initiativanträge von Kostelka und mir.

AM: Wie kam es 1995 plötzlich zum Nationalfonds, der ja ein Durchbruch war?

AK: Bis 1995 war bei den Sozialdemokraten Willi Fuhrmann Klubobmann, der mit den Grünen verhandelt hat. Sie wollten unbedingt die Kollektivschuld im Gesetz haben. Daraufhin ist das versandet. 1995 wurde Kostelka neuer Klubobmann, es war der 50. Jahrestag nach 1945, beide Regierungsparteien haben gesagt, wir müssen etwas machen. Die Aufgabe von Kostelka und mir war es, die festgefahrenen Fronten aufzubrechen. Wir haben gesagt, wir pfeifen uns nichts, wir verhandeln nicht mit Grünen und Freiheitlichen, sondern wir zwei verhandeln das Gesetz. Ich habe gesagt, bei der Kollektivschuld bin ich nicht dabei, dafür sind wir großzügig bei der Frage der Berechtigung.

AM: Anschließend gab es die Historikerkommission. Heute sind alle dankbar, damit konnte man endlich die Kapitel, die noch offen waren, aufarbeiten. Heute kann niemand mehr sagen, es gibt das Wissen nicht.

AK: Es gibt aber immer noch Leute, die sagen, sie wissen es nicht.

AM: Die Historikerkommission war der nächste große Schritt und führte später zum Abschluss der Resitutionsverhandlungen im Rahmen des Washingtoner Abkommens.

AK: Und das kann man von Blau-Schwarz nicht trennen, weil es wahrscheinlich unter Rot-Schwarz nicht so gekommen wäre.

AM: Diese Verhandlungen waren extrem unangenehm für die Kultusgemeinde. Wir waren diejenigen, die die 30 Kapitel aufgelegt haben, und man hat fast die ganze Zeit versucht, uns aus diesen Verhandlungen hinauszudrängen. Ihr braucht hier nicht zu sitzen, hier sitzt die Claims Conference. Ich weiß schon, ich bin damals am Heldenplatz alles andere als charmant gewesen. Ich habe mit allen meinen Kräften gegen Schwarz-Blau agitiert und gewettert, und die Kultusgemeinde hat die Rechnung bekommen. Wie haben Sie das erlebt?

AK: Genau so. Die Kultusgemeinde war nicht mehr der liebe Pauli Grosz, sondern der bissige Ariel Muzicant, der auf einer Sozi-Liste gestanden ist und dort kandidiert hat.

AM: Das stimmte nicht.

AK: Das war die Fama; und uns am Heldenplatz durch Sonne und Mond geschlagen hat. Da war natürlich keine große Bereitschaft da, die Kultusgemeinde, die man als nicht objektiv empfand, zur Drehscheibe zu machen.

„Wenn wir schweigen, machen wir uns schuldig, dass wir nicht rechtzeitig aufgestanden sind.“ Ariel Muzicant

AM: Ich stand ja unter enormem Druck: eine jüdische Gemeinde, die sich ernst nimmt und bei Blau-Schwarz schweigt. Mich hat nicht das Schwarz gestört, sondern das Blau, noch dazu mit einer Reihe von Leuten, die ein unkorrektes Verhältnis hatten zum Rechtsextremismus. Jetzt sind so viele Jahre vergangen. Sehen Sie das abgeklärter?

AK: Wir sind beide älter geworden – aber weiser nicht. Ich hätte schon erwartet, dass Sie selbstkritisch sind. Damals wurde vermuteten Absichten der Prozess gemacht. Die Annahmen, die zum Heldenplatz geführt haben – rechtsextrem, antisemitisch, ausgrenzend – sind alle nicht eingetreten. Aber es wurde der Allgemeine Entschädigungsfonds eingerichtet, die Klimt-Bilder wurden zurückgegeben. Ich glaube, dass man am Heldenplatz einen Popanz an die Wand gemalt hat und den dann abgefotzt hat, wie man auf Tirolerisch sagt.

AM: Ich kann nur versuchen zu erklären, warum ich so gegen Blau-Schwarz war. Jude in Österreich zu sein bedeutet, sich ständig rechtfertigen zu müssen, vor sich selbst, vor den Juden im Ausland. Ich habe mich nicht arrangiert und ich werde mich nicht arranigeren. Ich kämpfe für ein anderes Österreich. Daher habe ich so reagiert, wie ich reagiert habe. Wenn wir schweigen, machen wir uns schuldig, dass wir nicht rechtzeitig aufgestanden sind.

Zur Person

Andreas Khol, geb.1941 auf Rügen, aufgewachsen in Südtirol und Tirol, Jusstudium an der Uni Innsbruck. Seine beruflichen Stationen führten vom Verfassungsgerichtshof in den Europarat, zurück nach Österreich an die Politische Akademie und schließlich in den Nationalrat. 1994 bis 1999 sowie 2000 bis 2002 war er Klubobmann der ÖVP, bis 2006 dann Erster Nationalratspräsident. Heute ist er Obmann des ÖVP-Seniorenbundes. Khol ist verheiratet und Vater von sechs erwachsenen Kindern.

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