„Der einzig mögliche Fluchtort ist die eigene Seele“

Giora Feidman, Sproß einer Klezmorim-Dynastie, zählt seit den 1970ern zu den weltweit erfolgreichsten Klarinettisten. Neben zahlreichen Klezmer- und Tango-Alben ist der in Argentinien geborene Musiker für seine Mitwirkung an der Filmmusik von Schindlers Liste bekannt.

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© Ronnie Niedermeyer

WINA: Vor 70 Jahren wurde der Staat Israel gegründet. Sie waren damals zwölf Jahre alt und lebten noch in Buenos Aires. Was haben Sie davon mitbekommen?

Giora Feidman: Sehr viel sogar! In den Straßen von Buenos Aires hing überall die israelische Fahne. Mein erster Gedanke war: „Kann es wirklich wahr sein?“ Der zweite Gedanke: „Ich möchte heimkehren.“ Als ich im Jahr darauf anlässlich meiner Bar Mizwa eine Rede hielt, sprach ich auch über den Wunsch, Alija zu machen. Es dauerte aber noch, bis ich zwanzig war. Da mir mein Ruf als jüngster Musiker im Orchester des Teatro Colón vorauseilte, konnte die Sochnut (offizielle Einwanderungsorganisation des Staates Israel, Anm. d. Red.) mir eine Stelle im Israel Philharmonic Orchestra organisieren – wo ich ebenfalls der Jüngste war. Ungeachtet dessen musste ich dem Maestro vorspielen wie alle anderen auch!

Im Theater Akzent führen Sie mit Miguel Herz-Kestranek durch den jüdischen Witz. Gibt es Dinge, worüber auch Sie nicht lachen können?
Ich finde, man kann und soll in allem den Humor sehen. Sogar in den Konzentrationslagern haben manche Juden Witze erzählt, um sich von ihrem Schicksal abzugrenzen. Mir ist keine andere Kultur bekannt, die sich so sehr über ihre eigenen Zores lustig macht. Und da der jüdische Humor eben so selbstironisch ist, muss man aufpassen: Eine leichte Veränderung im Ton, und schon kann aus einem jüdischen Witz ein antisemitischer Witz werden.

»Ich fühle mich in jeder Gesellschaft wohl,
in der 
es keinen Rassismus gibt.«

Ihre Eltern kamen in Bessarabien auf die Welt – ein Gebiet, das vormals zu k.u.k. Österreich-Ungarn gehörte. Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute Österreich besuchen?
Als meine Eltern geboren wurden, war diese Region ein Teil Rumäniens. Meine Mutter emigrierte als Zweijährige mit ihrer Familie und war von ihrer Prägung her ein argentinisches Mädel. Mein Vater wuchs noch in Rumänien auf und kam mit Anfang Zwanzig nach Südamerika. In Buenos Aires weiß ich: Da komme ich her. In Kischinau, der Stadt meiner Ahnen, spüre ich eine gewisse familiäre Vertrautheit. In Wien identifiziere ich mich mit der ausgeprägten Musikkultur. In Tel Aviv, wo ich einen Großteil des erwachsenen Lebens verbracht habe, empfinde ich eine Basis. In New York und vielen Städten Deutschlands, wo ich regelmäßig auftrete, bin ich beruflich daheim. Und als Jude fühle ich mich in jeder Gesellschaft wohl, in der es keinen Rassismus gibt. Nicht nur Antisemitismus, wohlgemerkt!

Sie definieren Musik als Universalsprache. Doch auch musikalische Projekte wie das West-Eastern Divan Orchestra bringen den Nahostfrieden nicht näher.
Seit sechzig Jahren lebe ich schon in Israel. Während dieser Zeit habe ich auch mit vielen Palästinensern musiziert. Sie sagen uns: „Bitte, liebe Israelis, bleibt hier. Die Lebensqualität, die wir bei euch genießen, hätten wir in keinem arabischen Land.“ Hamas und die IS erreichen mit ihrer Hetze nur eine winzige Minderheit. Dass der Frieden trotzdem jahrzehntelang nicht eintritt, ist beidseitiges politisches Kalkül. Das Volk hat schon längst Frieden geschlossen.

Die Aufnahme der Klarinettensoli für Schindlers Liste liegt auch schon fünfundzwanzig Jahre zurück. Wie gingen Sie an die schwierige Aufgabe heran, der Schoah mittels Musik eine Stimme zu verleihen?
Ich habe mir damals Werke von Komponisten angehört, die im KZ komponierten. Einige, die überlebten, habe ich auch getroffen. Jedem stellte ich dieselbe Frage: Wie war es möglich, inmitten dieser Hoffnungslosigkeit eine so lebensbejahende Musik ins Leben zu rufen? Und alle antworteten mir sinngemäß das Gleiche: Der einzige Ort, an den man flüchten konnte, war die eigene Seele. Als ich für Spielberg die Soli einspielte, bekam ich weder Anweisungen, noch wurden mir die dazugehörigen Filmszenen gezeigt. Offenbar wollte er, dass auch ich in meine Seele hineingehe.

 

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