Der Videokünstler Omer Fast spielt mit unserem Vertrauen in Worte und Bilder. Von Thomas Edlinger
Sie können mit Omer Fast über alles sprechen, sagt seine Galeristin vorab. Nur eines interessiere den Wahlberliner nicht: sich als jüdischer Künstler in seinem Verhältnis zu Israel erklären zu müssen. Tatsächlich lässt sich der 1972 in Jerusalem geborene Mann auf keine identitätspolitische Agenda reduzieren. Zu komplex sind die Videoarbeiten des früh begabten Zeichners, der sich trotz seines Talents immer mehr für das Schreiben interessierte und zunächst in den USA Literatur studierte, ehe er sich 2001 der bildenden Kunst zuwandte.
Nüchterner Schnittplatz eines Low-Budget-Regisseurs
Obwohl Omer Fast in den letzten Jahren mit prestigeträchtigen Preisen der Berliner Nationalgalerie oder der Whitney Biennale in New York überhäuft wurde und derzeit erstmals in Israel mit einer großen Einzelausstellung im Herzliya Museum gewürdigt wird, sieht sein Atelier nicht aus wie das schicke Loft eines Stars, sondern wie ein nüchterner Schnittplatz eines Low-Budget-Regisseurs. Im Bürobereich des Modeshops seiner Frau in Berlin Mitte arbeitete Fast im Februar an seiner Arbeit für die im Juni eröffnende documenta in Kassel.
Untypischerweise ist diese aktuelle Arbeit über ein Paar, das wiederholt junge Männer in Bundeswehruniform vom Bahnhof abholt und mit diesen in einer mysteriösen, emotional bedeutsamen und offenbar auch sexuell aufgeladenen Beziehung steht, komplett gescriptet. Sie geht nicht von realen Interviews aus, die sonst meist die Ausgangspunkte für die raffinierten Überblendungen von Fiktion, Dokumentation und Selbstreflektivität der filmisch-medialen Produktion bilden: „Ich brauche die Erfahrung von anderen“, sagt Fast.
Exemplarisch wird die Irritationskraft des Wechsels der Erzählebenen und das Spiel mit dem Vertrauen in den Wirklichkeitsgehalt von Bildern und Worten in der knapp halbstündigen Doppelvideoprojektion Take a Deep Breath (2008). Ausgehend von einem Zeitungsinterview mit dem ersten Besucher des Tatorts eines Selbstmordattentats in Jerusalem 2002, einem zufällig vorbeikommenden Arzt außer Dienst, strickt Fast eine teils komisch-absurde, teils verstörende Metaerzählung über die kulturindustrielle Fabrikation von Interpretationen. Take a Deep Breath handelt vom Making Of eines in Los Angeles gedrehten, experimentellen Films über das Attentat in einer Israel-Kulisse, die unseren an zahllosen TV-Katastrophenbildern geschulten Wirklichkeitsbegriff durchlöchern.
In dem Video ist und bleibt nichts so, wie es war oder sein soll: Der Schauspieler, der den im zerbombten Haus verstümmelten Selbstmordattentäter spielt, wird von einem Regisseur namens Omer gefeuert, weil er die Szene – ausgerechnet – durch das Öffnen der Augen sabotiert. Man sieht die Crew, die sich über die mangelnde Professionalität des Schauspielers lustig macht – aber dann doch stutzt, als dieser behauptet, selbst schon Zeuge von Bombenattentaten gewesen zu sein, schließlich sei er Kosovare. Später wird der Mann durch einen neuen Schauspieler ersetzt, der behauptet, seine für die Szene essenzielle Armverstümmelung sei gar kein Produkt des Maskenbildners, sondern eine echte Amputation. „Is it really true?“, fragt eine selbst mit einer Wunde zurechtgeschminkte Kollegin den Mann, stellvertretend für uns alle, die wir die Repräsentationsformen des Films auf seine Fallen hin abtesten. Am Ende platzen noch zwei an Filmcrews längst gewöhnte Polizisten(-darsteller) in das Set und fragen nach Genehmigungen der Explosionen (oder doch nur nach denen für deren Simulationen). Keith, der gefeuerte Amateur, ist inzwischen vom Set verschwunden und gerät am Ende unter „realen“ Verdacht.
Wirklichkeit und Simulation
Es wäre aber zu kurz gegriffen, wollte man diese raffinierten Inszenierungen bloß als virtuose Planspiele zur systematischen Verwischung von Wirklichkeit und Simulation, von Zeugenschaft und Trugbildern verstehen. Fast, darauf weist schon seine frühe Dekonstruktionsübung über die viralen TV-Nachrichten CNN Concatenated (2002) hin, will nicht den Verdacht auf die Chimärenhaftigkeit der Medienbilder nähren, sondern setzt das Misstrauen in deren Wirklichkeitsbezug schon voraus: „Ich gehe davon aus, dass Bilder gefälscht sein können“, sagt der Geschichtenerfinder. Er war 19, als Jean Baudrillard, der Chefideologe der Simulationstheorie, 1991 auf die vom Pentagon gesteuerten, von jedem menschlichen Leid gesäuberten Raketeneinschlagsbilder aus den Bildarchiven mit der Provokation reagierte, der Golfkrieg habe „nicht stattgefunden“. Die ambivalente Faszination für die Bildmaschinerie des Krieges, für den blitzartigen Bombenhorror durch einen ferngesteuerten Vernichtungsschlag aus dem Jenseits der Wahrnehmung oder die unantastbaren Such- und Zielbewegungen der schwebenden Dronenkameras, zeichnet Fasts Werk bis heute aus. Diesbezüglich weist es durchaus Ähnlichkeiten mit dem analytischen Blick des deutschen Filmessayisten Harun Farocki auf.
Das „Licht Gottes“
Das „Licht Gottes“ ist es auch, das in seinem vieldiskutierten, im Rahmen der Biennale von Venedig 2011 aufgeführten Film 5.000 Feet is the Best in den Worten eines US-Dronenpiloten bei seinen Einsätzen im arabischen Raum auf den Boden fällt. Omer Fast hat das Interview mit ihm, der tatsächlich ausgerechnet in der Kulissenstadt Las Vegas seinem Geschäft der Fernsteuerung nachgeht, in einem Hotelzimmer nachgestellt – und sich mit der Demaskierung militärischer Aussagen prompt vage Drohungen des FBI gegen seinen Produzenten eingehandelt. In der dreiteiligen Videoarbeit Nostalgia I–III spürt Fast der politischen Dimension der Glaubwürdigkeit von Flüchtlingserzählungen nach: Professionelle Beamte lauern auf entlarvende Ungereimtheiten wie Fallensteller, deren alltägliches Handwerk im englischen Wald dazu ebenfalls in Beziehung gebracht wird.