Der Kunde als Facebook-König

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Produzenten, Händler und Werbebranche geraten seit einiger Zeit stark ins Schwitzen, wenn es um Preise geht, denn die Käufer glauben nicht mehr alles. Kommentar Miriam Fried

Was haben Cottage-Cheese, Facebook und ratlose Werbemanager gemeinsam? In Israel recht viel, denn die beiden ersteren waren die großen Stars der sommerlichen Proteste 2011. Mit denen wurde zwar nicht mehr soziale Gerechtigkeit erreicht. Aber sie brachten das Schreckgespenst des Dritten im Bunde, der Werbefachleute, hervor: den kritischen Konsumenten. Und dieser hat ein neues Hobby: Statt wild darauf los zu konsumieren, was Werbespots und Inserate verlockend anpreisen, macht der Frechdachs sich daran, Preise zu vergleichen. Dann veröffentlicht er seine Erfahrungen auf Facebook, sodass möglichst viele Leute davon erfahren und zum Beispiel jenen Supermarkt meiden, in dem Babywindeln oder Hühnerschnitzel um 10, 20 oder 30 Prozent teurer sind als bei der Konkurrenz.

Über Facebook zum Boykott von Cottage-Cheese

Im schlimmsten Fall, so wie es im Frühjahr 2011 der Fall war, wird über Facebook zum Boykott eines bestimmten Produktes aufgerufen. Damals war es der Cottage-Cheese, der in den Regalen blieb. Israel hat zwar drei Großmolkereien, doch die Preisunterschiede bei identischen Milchprodukten sind gleich null. Da der Cottage-Cheese ein integraler Bestandteil des israelischen Speiseplans ist, eignete er sich besonders gut als Beispiel der ständigen Preiserhöhungen bei Lebensmitteln. Viele davon standen bis vor fünf Jahren unter staatlicher Kontrolle, doch als diese fiel, verdoppelten sich manche Preise binnen weniger Jahre, obwohl Israel im selben Zeitraum an keiner nennenswerten Inflation litt und die Löhne auch nicht entsprechend mitwuchsen. Im Dezember bestätigte die OECD dann offiziell den Verdacht vieler Israelis: Die hiesigen Lebenshaltungskosten liegen im Schnitt deutlich über jenen der zumeist besser verdienenden europäischen Länder. So sind etwa Milch und Eier um 44 Prozent teurer als im europäischen Durchschnitt, Fleisch liegt um 28 Prozent darüber, Brot und Backwaren um 17 Prozent und alkoholfreie Getränke sogar um 48 Prozent.

Die Händler und Produzenten rechtfertigten die Preiserhöhungen mit steigenden Rohstoff- und Energiekosten, und bis zum Sommer 2011 ging das auch gut. Doch angeregt durch die Massendemos berichteten die Medien verstärkt über extreme Preisunterschiede bei ein und demselben Produkt. In den Augen der israelischen Öffentlichkeit waren die großen Konzernbosse mit ihren engen Verflechtungen zur Staatsmacht plötzlich nichts weiter als böswillige „Mafionäre“, die den kleinen Mann ausbeuten.

Der Handel reagierte äußerst nervös auf das Misstrauen und den Unmut, der ihm von Kundenseite entgegenschlug, und kürzte die Werbeetats drastisch. Deshalb schloss die israelische Werbebranche trotz guter Wachstumsraten in der ersten Hälfte 2011 zum ersten Mal ein Geschäftsjahr mit Verlusten ab. Die Marketingfachleute waren sich zwar einig, dass das nichts mit der europäischen Wirtschaftskrise zu tun hatte, doch wie man mit dem neuen, kritisch aktiven Konsumenten umgehen soll, scheint ihnen vorläufig schleierhaft. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass gerade durch die Berichterstattung in den Massenmedien über Preistreiberei und soziale Proteste, die das Thema erst so richtig populär machte, die Haupteinnahmequelle eben dieser Medien, nämlich Werbeeinschaltungen, drastisch zurückging.

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