Der scharfe Blick aus Jerusalem?

Der Boykott Israels gegenüber dem freiheitlichen Teil der Regierung ist nicht rein jüdisch motiviert. Denn ein Blankoscheck für die FPÖ würde einem Freibrief für eine Koalition mit der AfD gleichkommen.

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Doron Rabinovici / © APA Picturedesk/ Marko Lipus

Warum, so fragen manche, hat Israel nicht schon längst den Boykott gegenüber den freiheitlichen Regierungsmitgliedern aufgegeben? Die FPÖ sagt doch, jeglichem Antisemitismus abgeschworen zu haben. Das müsse endlich gefälligst zur Kenntnis genommen werden. So eine Argumentation erinnert ein wenig an einen Vergewaltiger, der vor Gericht für Freispruch plädiert, weil er sich doch klar gegen jede Form des sexuellen Übergriffs ausgesprochen habe. Die Freiheitlichen müssten gar nicht so oft beteuern, wie sehr sie die Juden neuerdings lieben, würden sie nur nicht jede zweite Woche mit einem neuen antisemitischen Vorfall hervortreten. Ja, es wäre auch hilfreich, wenn sie zumindest die heftigsten antisemitischen Agitatoren aus ihren Reihen ausschlössen, aber dann würden sie wohl einen beträchtlichen Personalmangel in Spitzenpositionen erleiden.

Die freiheitliche Partei hat eine besondere Schlagseite, wenn es um Ressentiments gegenüber Juden geht. Wer das leugnet, lügt. Aber könnte ein souveräner Staat wie Israel nicht dennoch darüber hinwegsehen? Zumindest der strategischen Interessen wegen? Hat Mahmud Abbas noch nie Schlimmeres von sich gegeben als Johann Gudenus? Kümmert sich denn Recep Tayyip Erdoğan darum, was Wladimir Putins Minister von Türken meinen? Brachen afrikanische Staatsmänner den Kontakt zu Washington ab, nachdem Donald Trump ihre Länder als „shithole countries“ bezeichnet hatte? Wohl kaum.

Die freiheitliche Partei hat eine
besondere Schlagseite, wenn es um Ressentiments gegenüber Juden geht.
Wer das leugnet, lügt.

Aber Israel hält daran fest, mehr sein zu wollen als die souveräne Nation der eigenen Bevölkerung. Es will demokratisch und jüdisch zugleich sein. Zuweilen keine ganz leichte Aufgabe, aber Teil der grundlegenden Doktrin. Um indes darin glaubhaft zu erscheinen, braucht es eine besondere Verantwortung gegenüber der Diaspora und den jüdischen Gemeinden. Hinzu kommt das Vermächtnis der Vergangenheit. Die Erinnerung wird mit gutem Grund gegen die Feinde Israels aufgerufen. Wer weiß nicht mehr, wie der frühere iranische Präsident Ahmadinedschad das Gedenken an die Schoah diskreditierte, um mit Assoziationen von einer künftigen Vernichtung zu spielen.

Auf die Rechtsextremen Deutschlands und Österreichs wird in Jerusalem aufgrund der einschlägigen Geschichte immer noch schärfer geblickt. Ja, wer von Zion auf Wien schaut, kann nicht anders, als im Hintergrund auch Berlin zu sehen. Anders ausgedrückt: Ein Blankoscheck für die FPÖ würde letztlich einem Freibrief für eine Koalition mit der AfD gleichkommen. Hier geht es nicht nur um ein kleines Donaualpenland, dessen Rechtsextreme noch an manchen nazistischen Nostalgien laboriert. Zur Disposition steht ein mächtiges Deutschland, das zu einem Freund des Volkes und des Staates Israel wurde, zu einem zentralen Bürgen eines demokratischen und friedlichen Europa, zu einem Garanten im Kampf gegen Antisemitismus.

So unverständlich ist es ja nicht, wenn der Judenstaat befindet, dass es einfach dumm wäre, dieses Deutschland durch einen Pakt mit Strache, Gudenus und Mölzer zu konterminieren. Zumindest solange die etablierte Politik in Berlin geschlossen gegen die AfD steht, gibt es in Israel nicht nur jüdische Motive, sondern durchaus auch starke strategische Argumente für einen Boykott dieser FPÖ.

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