In seinem neuen Geschichtenreigen Unter Freunden blickt Amos Oz zurück auf die Frühzeit des Kibbuz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Von Anita Pollak
Waren sie nicht einst für die freie Liebe gewesen? Aber jetzt ist Nachum fünfzig, Witwer, sein Sohn gefallen, und seine Tochter Edna, nun sein einziges Kind, verliebt sich gerade in Nachums alten Freund David Dagan, der noch dazu ein bekannter Frauenheld ist. Als sie zu ihm zieht, will der Vater die 17-Jährige zurückholen. Schließlich aber verlässt er Dagans Haus und ist nicht einmal seine Wut losgeworden. Ist die Liebe eine Art Entzündung oder eine Plage, fragt sich Nachum in der Titelgeschichte von Amos Oz neuem Erzählband Unter Freunden. Nachum ist der Elektriker im Kibbuz und David, der Lehrer, einer der Chefideologen der Kommune. Zvi, der Gärtner, ist der pessimistische Überbringer chronisch schlechter Nachrichten, Martin als Asket der „Gandhi“ des Kibbuz, und Roni ist das Klatschmaul. Er weiß, welche Frau nachts das Haus ihres Mannes verlässt und welcher Vater im Kinderhaus ausrastet, als sein kleiner Sohn dort gemobbt wird.Getrascht wird viel in der engen Gemeinschaft der 50er-Jahre, als die kleine Welt im Kibbuz noch fest gefügt scheint, aber Risse sind schon da, der Traum vom kollektiven Glück mit Arbeit und Aufbau des Landes ist schon brüchig geworden. Denn die Utopie der Gründerväter muss scheitern und zwar an nichts anderem als an der condition humaine, der unveränderlichen Natur des Menschen, so sieht es Amos Oz. Neid, Missgungst, Eifersucht, menschliche Schwächen, sie lassen sich nicht ausrotten wie Unkraut, genauso wenig wie die Einsamkeit, die in der Gemeinschaft oft noch schwerer zu ertragen scheint.
Sehnsucht nach der Idylle
Mit seinen Geschichten aus dem fiktiven Kibbuz Jikhat blickt Oz zurück auf die Frühzeit Israels und auf seine eigene Jugend im Kibbuz Chulda, in den er mit fünfzehn Jahren eintrat, nachdem seine Mutter Selbstmord begangen hatte. Es war nicht zuletzt eine Revolte gegen den intellektuellen Vater, als sich Amos für das scheinbar einfache Leben mit schwerer körperlicher Arbeit entschloss. Aus der Perspektive des heute 74-jährigen Autors ist es ein Blick zurück mit Liebe und Verständnis für Jugendträume, die der Wirklichkeit nicht standhalten können, weil Menschen eben Menschen sind, an denen orthodoxe Ideologien zerbrechen müssen. Diese Erfahrung, die das 20. Jahrhundert in reichem Maße gemacht hat, spiegelt der israelische Starautor im Mikrokosmos des Kibbuz wie in einem Brennglas. Und trotzdem bleibt irgendwo die Sehnsucht spürbar nach der Idylle, nach familiärer Wärme ohne Gier und ohne Neid, in der alle und alles für alle da sind. Im Kibbuz Jikhat wollen sie noch daran glauben und daran arbeiten. Unermüdlich diskutieren sie darüber, ob die Kinder des Kibbuz allen gehören sollen oder doch nur ihren Eltern, ob man zum Studium ins Ausland fahren darf und wann, wie viele überhaupt studieren sollen, ob man Arbeitskräfte von außerhalb aufnehmen darf und ob Frauen nicht doch benachteiligt würden.