Der Traum vom kollektiven Glück

1638
Amos Oz/ © picturedesk.com, Rolf Vennenbernd

In seinem neuen Geschichtenreigen Unter Freunden blickt Amos Oz zurück auf die Frühzeit des Kibbuz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Von Anita Pollak

Waren sie nicht einst für die freie Liebe gewesen? Aber jetzt ist Nachum fünfzig, Witwer, sein Sohn gefallen, und seine Tochter Edna, nun sein einziges Kind, verliebt sich gerade in Nachums alten Freund David Dagan, der noch dazu ein bekannter Frauenheld ist. Als sie zu ihm zieht, will der Vater die 17-Jährige zurückholen. Schließlich aber verlässt er Dagans Haus und ist nicht einmal seine Wut losgeworden. Ist die Liebe eine Art Entzündung oder eine Plage, fragt sich Nachum in der Titelgeschichte von Amos Oz neuem Erzählband Unter Freunden. Nachum ist der Elektriker im Kibbuz und David, der Lehrer, einer der Chefideologen der Kommune. Zvi, der Gärtner, ist der pessimistische Überbringer chronisch schlechter Nachrichten, Martin als Asket der „Gandhi“ des Kibbuz, und Roni ist das Klatschmaul. Er weiß, welche Frau nachts das Haus ihres Mannes verlässt und welcher Vater im Kinderhaus ausrastet, als sein kleiner Sohn dort gemobbt wird.Getrascht wird viel in der engen Gemeinschaft der 50er-Jahre, als die kleine Welt im Kibbuz noch fest gefügt scheint, aber Risse sind schon da, der Traum vom kollektiven Glück mit Arbeit und Aufbau des Landes ist schon brüchig geworden. Denn die Utopie der Gründerväter muss scheitern und zwar an nichts anderem als an der condition humaine, der unveränderlichen Natur des Menschen, so sieht es Amos Oz. Neid, Missgungst, Eifersucht, menschliche Schwächen, sie lassen sich nicht ausrotten wie Unkraut, genauso wenig wie die Einsamkeit, die in der Gemeinschaft oft noch schwerer zu ertragen scheint.

Sehnsucht nach der Idylle

Mit seinen Geschichten aus dem fiktiven Kibbuz Jikhat blickt Oz zurück auf die Frühzeit Israels und auf seine eigene Jugend im Kibbuz Chulda, in den er mit fünfzehn Jahren eintrat, nachdem seine Mutter Selbstmord begangen hatte. Es war nicht zuletzt eine Revolte gegen den intellektuellen Vater, als sich Amos für das scheinbar einfache Leben mit schwerer körperlicher Arbeit entschloss. Aus der Perspektive des heute 74-jährigen Autors ist es ein Blick zurück mit Liebe und Verständnis für Jugendträume, die der Wirklichkeit nicht standhalten können, weil Menschen eben Menschen sind, an denen orthodoxe Ideologien zerbrechen müssen. Diese Erfahrung, die das 20. Jahrhundert in reichem Maße gemacht hat, spiegelt der israelische Starautor im Mikrokosmos des Kibbuz wie in einem Brennglas. Und trotzdem bleibt irgendwo die Sehnsucht spürbar nach der Idylle, nach familiärer Wärme ohne Gier und ohne Neid, in der alle und alles für alle da sind. Im Kibbuz Jikhat wollen sie noch daran glauben und daran arbeiten. Unermüdlich diskutieren sie darüber, ob die Kinder des Kibbuz allen gehören sollen oder doch nur ihren Eltern, ob man zum Studium ins Ausland fahren darf und wann, wie viele überhaupt studieren sollen, ob man Arbeitskräfte von außerhalb aufnehmen darf und ob Frauen nicht doch benachteiligt würden.

Die Utopie der Gründerväter scheitert an der unveränderlichen Natur der Menschen.

Wie schon in seinen Geschichten aus Tel Ilan, ebenso ein Zyklus aus acht Episoden einer kleinen geschlossenen Welt, sind es wiederum vor allem die Figuren, die den poetischen Reiz des Bandes ausmachen. Mit ihren Schrullen, Ängsten und Schwächen wachsen sie einem in wenigen Seiten ans Herz. Es passiert ja nicht viel in den kurzen miteinander lose verbundenen Geschichten, außer dass hie und da ein Traum zerplatzt, einer verlässt oder verlassen wird und das Leben auch so weitergeht.

Eine anrührende Klugheit des Herzens zeichnet das immer lakonischer werdende Alterswerk von Amos Oz aus, in dem er, wie übrigens auch seine etwas älteren Kollegen Aharon Appelfeld und Yoram Kaniuk in ihren letzten Büchern, die Geschichte Israels mit der eigenen Lebensgeschichte unauflöslich verknüpft. So viel Anfang, so viel Hoffnung war nie, wie in den jungen Jahren des Staates, und dass auch diese Träume der harten Wirklichkeit weichen mussten, erscheint im Rückblick nur zu verständlich. Ein reformierter, realitätsnaher Kibbuz wäre noch immer eine lebenswerte Gesellschaftsform, hat Amos Oz in einem Interview festgestellt. Und gleichzeitig mehr politischen Realitätssinn eingefordert. Dass er seine Literatur davon freihält, macht sie so liebenswert.

Zur Person
Der 1939 in Jerusalem geborene Amos Oz verbrachte von seinem 15. Lebensjahr an über 30 Jahre im Kibbuz Chulda. Mit seinen Romanen, Erzählungen und anderen Büchern ist er heute einer der international erfolgreichsten Autoren Israels. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und wird immer wieder als Nobelpreis-Kandidat genannt. Oz lebt in Arad und Tel Aviv.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here