Die deutsche Miss Marple

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Miriam Ettisch gehört zu jenen wenigen Glücklichen, die ihren Traumjob gefunden haben. Nach über 40 Jahren ist die heute 72-jährige Wirtschafts­detektivin genauso begeistert von ihrer außergewöhnlichen Arbeit wie am ersten Tag. Von Esther Graf

Die Alltagstauglichkeit eines geisteswissenschaftlichen Studiums stellt Miriam Ettisch tagtäglich unter Beweis, wenn sie mit Anwälten, Kollegen, Versicherungen und anderen Firmen zu tun hat. Sie gilt als eine der Besten ihres Fachs, was der weltweit tätigen Wirtschaftsdetektivin internationales Renommee gebracht hat. Dabei hatte sie ursprünglich mit ihrem Studium der Orientalistik, Latein und Germanistik ganz andere Pläne.  1941 in Petach Tikva geboren, wächst sie in Sichron Meir, inzwischen einverleibt in Bnei Brak, mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder auf. Bis heute ist sie stolz darauf, eine echte Sabre, also im späteren Israel geboren zu sein. Vater und Mutter stammten beide aus Berlin. Als promovierter Jurist und Wirtschaftswissenschaftler gehörte Miriam Ettischs Vater zum jüdischen Bürgertum, dem auch ihre Mutter entstammte. Frühzeitig erkennt ihr Vater die Zeichen der Zeit. Nachdem er Mein Kampf gelesen und Hitlers Machtergreifung 1933 miterlebt hat, beschließt er umgehend, Deutschland zu verlassen. Er sieht voraus, dass der „Schnurrbartträger“ seine beschriebenen Visionen die Juden betreffend verwirklichen wird. Seine spätere Frau folgt ihm wenige Monate später nach Palästina. Das junge Paar, das sich seit Kindertagen kennt, heiratet und bekommt zwei Kinder. Der Vater sorgt als Versicherungsvertreter für das Auskommen der Familie, teilweise unter Lebensgefahr, wenn er durch arabische Dörfer nach Jerusalem fahren muss. Die Eingliederung in die jüdische Gesellschaft Palästinas sei schwer gewesen, erinnert sich Ettisch. Als Jeckes, Juden aus Nazideutschland, habe man keinen leichten Stand gehabt, zumal zuhause Deutsch gesprochen wurde. Auf die Frage, ob Deutsch oder Hebräisch ihre Muttersprache sei, antwortet sie: „Meiner Mutter Sprache ist Deutsch, meine Muttersprache ist Hebräisch.“ Ihr Elternhaus bezeichnet sie als konservativ jüdisch, Schabbat wurde gehalten, und der Haushalt war koscher. Lebhafte Erinnerungen hat sie an den Unabhängigkeitskrieg von 1948, als sie durch Fliegeralarme vom Spielen im Freien in die provisorisch errichteten Luftschutzräume gezwungen wurden. Miriam absolviert die achtjährige Volkschule und schließt diese als Beste ihres Jahrgangs in Bnei Brak ab.

Kibbuz oder Deutschland

Mit voranschreitendem Alter vertragen ihre Eltern das subtropische Klima immer schlechter. Sie beschließen, zurück nach Berlin zu gehen, und stellen ihre 15-jährige Tochter vor die Wahl: Entweder sie geht in einen Kibbuz oder begleitet die Eltern nach Deutschland. Miriam Ettisch entscheidet sich für Letzteres. Sie macht Abitur und beginnt in Freiburg in Baden-Württemberg Orientalistik, Latein und Germanistik zu studieren. Doch schon bald zieht es die Sabre zurück in die Großstadt, in der sie ihr Studium an der Freien Universität fortsetzt. 1966 schließt sie es in Durham, England, mit einem Bachelor of Arts erfolgreich ab. Sie lässt sich in London nieder, wo sie u. a. an einem jüdischen Mädchengymnasium Deutsch und Latein bis zum Abitur unterrichtet. Aber für sie als Ausländerin eines Nicht-Commonwealth-Landes ist es geradezu unmöglich, eine unbefristete Stelle als Lehrerin zu bekommen. Deshalb beschließt die junge Geisteswissenschaftlerin 1969, zurück nach Berlin zu gehen. An der Freien Universität lehrt sie nun Altaramäisch und verdient sich ihren Lebensunterhalt als Bürokraft. Ettisch ist sehr schnell im Tippen und eignet sich rasch wertvolle Kenntnisse der Karteiführung und Registraturarbeit an. Sie lernt die Import-Export-Branche kennen und avanciert 1972 zur Büroleiterin einer Wirtschaftsauskunftei. Mithilfe ihrer Sprachkenntnisse, Hebräisch, Englisch, Französisch und Italienisch, und ihrer an der Universität erworbenen Recherchierkompetenz greift sie den externen Rechercheuren der Auskunftei unter die Arme und strukturiert die Büroarbeit auf innovative Weise.

WadEine Anfrage an Simon Wiesenthal

Als ihr Arbeitgeber 1972 pleitegeht, wagt Ettisch den Sprung in die Selbstständigkeit und gründet ihre eigene Wirtschaftsdetektei und Auskunftei. Trotz der erworbenen Geschäftskontakte braucht sie viel Biss und Ausdauer, bis ihr Büro richtig läuft. Als Frau muss sie sich in der Männerdomäne erst durchsetzen. Sie jobbt vier Tage die Woche in anderen Firmen und sichert sich so ihr Auskommen. Die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen wächst stetig, nach etwa drei Jahren kann sie davon leben. 1979 verschlägt es sie nach Rheinland-Pfalz, wo sie im Winzerort Dirmstein ihr Büro einrichtet. Sie liebe ihre Arbeit bis heute, sagt Ettisch, weil sie so abwechslungsreich sei und sie mit so vielen unterschiedlichen Menschen zu tun habe. Die Verifizierung von Todesfällen und die Überprüfung des Lebenswandels von Personen liegen im Interesse von Versicherungen, während große Unternehmen vor der Einstellung von führenden Managern deren Lebensläufe durchleuchten lassen. Nur einmal in ihrer gesamten Laufbahn musste sie ermitteln, ob eine Person eine NS-Vergangenheit hat oder nicht. Sie nahm Kontakt zu Simon Wiesenthal auf. Der Nazi-Jäger konnte ihr bestätigen, dass in diesem Fall kein nationalsozialistischer Hintergrund vorlag. Respekt unter ihren vorrangig männlichen Kollegen und internationales Renommee erwarb sie sich durch ihre Erfolgsquote und ihre dauerhafte Agilität. Belohnt wurde dies mit mehreren Auszeichnungen, deren höchste sie vor zwei Jahren erhielt: Der älteste und größte internationale Fachverband, die World Association of Detectives, ehrte sie als „Ermittlerin des Jahres 2012“.

Auf ihre alten Tage wurde Miriam Ettisch zur Bauherrin einer kleinen Wohnanlage für Pensionäre und Behinderte. In Dirmstein ließ sie in einem restaurierten Bau aus dem 17. Jahrhundert eine Senioren-Lodge einrichten. Ein Projekt, das der deutschen Miss Marple sehr am Herzen liegt. Denn neben all dem detektivischen Spürsinn hat sie auch einen starken Sinn für Soziales.

Miriam Ettisch, 1941 in Petach Tikva geboren, lebt bis 1956 in Israel. Übersiedlung nach Berlin, Studium der Semitistik, Latein und Germanistik. Im Rahmen ihrer Nebenjobs setzt sie ihre an der Universität erworbenen Recherchierkenntnisse in einer Wirtschaftsauskunftei ein. 1972 eröffnet sie ihre eigene Wirtschaftsdetektei. Seit 1998 gibt sie einen Newsletter für Detektive heraus und betreibt eine Detektivgruppe bei YahooGroups, seit wenigen Jahren auch bei LinkedIn, Facebook, Twitter, Xing.
ettisch-detectives.com

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