Die Büchse der Pandora

Bei der Gedenkveranstaltung des Parlaments anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags hielt die grüne Bundesrätin Ewa Dziedzic gemeinsam mit ihrem Kollegen David Stögmüller Schilder hoch, auf denen zu lesen war: „Wenn Sie jetzt unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen – SAGE NEIN!“ Sorgen bereitet Dziedzic aber auch der Blick in ihr Geburtsland Polen. WINA sprach mit der Grün-Politikerin über das dort jüngst verabschiedete Gesetz, das unter Strafe stellt, die früheren nationalsozialistischen KZs als „polnische Lager“ zu bezeichnen.

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© privat

Wir treffen einander Anfang Feb­ruar kurz nach der Rückkehr Ewa Dziedzic’ von einer Reise nach Krakau. Die Gespräche, die sie dort über die innenpolitische Situation Polens geführt hat, sind ernüchternd. Da sorgt sich auf der einen Seite eine Familie, dass ihr das Haus, das einst Juden gehörte und in dem sie sich eine neue Existenz aufgebaut hat, von heute in Israel lebenden Nachfahren weggenommen werden könnte. Da fürchtet sich auf der anderen Seite eine polnische Jüdin, sich als solche zu deklarieren. „Sie hat gesagt: So lange ich in Polen Angst habe zu sagen, dass ich Jüdin bin, merke ich, dass die Geschichte noch immer nicht aufgearbeitet ist.“

Wie viele Jüdinnen und Juden heute in Polen leben, dazu gibt es keine gesicherten Zahlen. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass sich eben viele nicht deklarieren, sagt Dziedzic. Dabei gab es nach dem Zusammenbruch des Kommunismus kurz einen Hoffnungsschimmer, dass sich das Land seiner Geschichte – und damit auch dem Antisemitismus – stellt. In den vergangenen zehn, 15 Jahren entstand eine Reihe von Filmen, welche Polen einerseits als Retter von Juden in der NS-Zeit zeigten, andererseits aber auch als Anstifter von Pogromen.

„So lange ich in Polen Angst habe zu sagen,
dass ich Jüdin bin, merke ich, dass die Geschichte noch immer nicht aufgearbeitet ist.“
Polnische Jüdin

So brachte beispielsweise Władysław Pasikowski 2012 den Streifen Pokłosie in die Kinos. Darin besucht ein in den 1980er-Jahren in die USA ausgewanderter Pole seinen Bruder in seiner Heimat. Dieser sammelte in der Zwischenzeit wie besessen jüdische Grabsteine aus der Umgebung und stellte sie auf seinem Feld auf. Es geht ihm dabei um ein würdiges Bewahren dieser Steine. Doch in der Dorfgemeinschaft wächst der Widerstand gegen diesen Spleen, man versucht den Bauern auszubremsen, etwa indem er von der Genossenschaft keinen Termin für den Einsatz des Mähdreschers erhält. Der Besucher beginnt ebenfalls zu recherchieren und erfährt, dass ein Großteil der Häuser in dem Ort früher in jüdischem Besitz waren – darunter auch der elterliche Bauernhof. Und schließlich entdeckt er auf dem Grund der Familie auch noch ein Massengrab.

Die Handlung spielt zwar an einem fiktiven Ort, bezieht sich aber auf das Massaker von Jedwabne im Juli 1941, bei dem während der NS-Besatzung einige hundert Juden von polnischen Tätern in eine Scheune zusammengetrieben und dann verbrannt wurden. Ihr Besitz wurde zudem von den Tätern geplündert.

Der Antisemitismus hat in Polen eine lange Tradition. Es gab ihn bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg, und Dziedzic schreibt ihn dem Erstarken einer polnischen Nationalität zu, die mit einer Abgrenzung der polnisch-jüdischen Bevölkerung einherging. Schon lange vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten mussten jüdische Studierende in den 1930er-Jahren in extra Bänken sitzen, so die Grün-Politikerin. Und als Nazi-Deutschland Polen besetzte und dabei auch viele nicht-jüdische Polen in Vernichtungslager deportiert wurden (die Nationalsozialisten stuften Slawen niedriger als Germanen ein) gab es dennoch viele Polen, die meinten, Hitler würde zumindest die Judenfrage klären, erläutert Dziedzic. Auf der anderen Seite gab es Menschen, die Juden versteckten.

Nach 1945 stand die Bekämpfung von Antisemitismus weiter nicht auf der politischen Agenda. Mehr noch, mehr als zwei Jahrzehnte später – im Frühjahr 1968 – schürte das Regime einmal mehr ganz bewusst Judenfeindlichkeit. Die so genannte „antizionistische Kampagne“ war offiziell als Antwort auf den Sechstagekrieg in Israel zu sehen. Die Sowjet­union hatte gegen Israel Stellung bezogen. Polen schloss sich hier an. Aus der „antizionistischen Kampagne“ wurde dann aber eine Aktion scharf gegen Studierendenrevolutionäre. Man schrieb den Aufruhr an den Universitäten Jüdinnen und Juden zu, ließ sie verhaften, schloss sie aus der Partei aus, und viele von ihnen verließen Polen.

„Das ist ein antidemokratisches Gesetz,
dessen Ziel es ist, die Geschichte umzuschreiben.“
David Silberklang, Yad Vashem

Und nun also ein Gesetz, das das Formulieren jeder Verantwortung oder Mitverantwortung Polens an den Nazi-Verbrechen mit einer Geld- oder bis zu dreijährigen Freiheitsstrafe belegt. Für Dziedzic wird damit „die Büchse der Pandora“ geöffnet. Sie fürchtet, „dass unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit antisemitische Parolen nicht nur an Wände geschmiert werden, wie etwa in der Stadt Auschwitz, sondern dass solche Äußerungen salonfähig werden. Das kann sich aufschaukeln und den polnischen Nationalismus weiter befeuern.“ Schon jetzt gebe es Demonstrationen, auf denen Schilder mit Slogans wie „Für ein weißes Polen“ zu lesen seien.

Das Gesetz sei zudem von der regierenden PiS-Partei ohne Not aus dem Hut gezaubert worden. Denn der Formulierung und Beschlussfassung der Materie sei keine breite öffentliche Debatte vorausgegangen. Die Grünen-Bundesrätin sieht hier vielmehr „eine Kontinuität in der Ausrichtung der PiS-Partei. Wenn man den Patriotismus befeuert, wenn man den Nationalismus zur Gesinnungsfrage macht, dann ist das fast ein logischer Schritt.“

Die israelische Regierung legte gegen das Gesetz scharfen Protest ein. Premier Benjamin Netanjahu sagte, „man kann die Geschichte nicht ändern und der Holocaust kann nicht geleugnet werden.“ Und David Silberklang, Historiker an der Gedenkstätte Yad Vashem, klagte an: „Das ist ein antidemokratisches Gesetz, dessen Ziel es ist, die Geschichte umzuschreiben.“ 

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