Die Dürre ist zurück

Mit dem Bau großer Entsalzungsanlagen fühlte sich Israel kurzzeitig sicher. Doch die Wassersituation ist erneut dramatisch angespannt.

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© Flash 90

„Ich bin wieder da.“ Die bekannte israelische Schauspielerin Renata Raz begrüßte die Fernsehzuseher mit einem dramatischen Appell: Sie mögen doch Wasser sparen, die Lage sei alles andere als entspannt. Schon einmal, vor fast zehn Jahren, gab es eine intensive TV-Kampagne zu dem Thema, „Israel trocknet aus“, unter anderem mit der Kollegin von Raz Bar Refaeli und der Sängerin Ninet Tayeb. Das half damals auch tatsächlich, die Israelis zeigten sich einsichtig und reduzierten ihren Wasserverbrauch.

Doch dann gingen die großen Meerwasserentsalzungsanlagen in Betrieb, es folgten einige regenreichere Winter, die Gefahr schien gebannt. Seit dem Frühjahr 2018 ist wieder alles anders. Der See Genezareth (Kinneret) nähert sich mit seinem Wasserstand einem historischen Tief. Schon ist eine Insel aufgetaucht, die bisher unter dem Wasserspiegel lag, der Salzgehalt, der in den tieferen Schichten höher ist, steigt bedrohlich. Und der Wasserverbrauch der Bürger ist in den letzten Jahren ebenso kräftig angestiegen, wie die Regenmengen zurückgegangen sind. „Niemand hat mit fünf trockenen Jahren hintereinander gerechnet“, erklärte Yuval Steinitz, der Minister für Energie und Wasserversorgung. „So befinden wir uns nun trotz unserer Entsalzungskapazität in einer sehr, sehr ernsten Situation.“

Daher hat die Regierung ein Notfallprogramm beschlossen. Geplant ist der Bau von zwei zusätzlichen großen Meerwasserentsalzungsanlagen im Norden, zusätzlich zu den bestehenden fünf. Das kann aber nur mittelfristig helfen. Für die unmittelbare Notlage setzen die Behörden auf Sparen der Bevölkerung, auf die Drosselung der Wasserzuteilung für die Landwirtschaft und auf ein umfangreiches Pumpprogramm, um die dramatisch niedrigen Wasserstände im Landesinneren – im See Genezareth und im Jordan – zu stabilisieren. Im Winter, wenn nicht das gesamte entsalzte Wasser aus dem Meer benötigt wird, soll es quer durch das Land in den See gepumpt werden.

»Solange die Entsalzungsanlagen liefen,
herrschte ein falsches Gefühl von Sicherheit.«
Sarit Caspi-Oron, Wasserexpertin

„Jetzt bringen wir entsalztes Wasser in den See Genezareth, denn wenn wir im Winter Wasser entsalzen, gibt es dafür keine Verwendung“, erklärt Premierminister Benjamin Netanjahu. „Wir machen den See Genezareth zu einem Reservoir für entsalztes Wasser.“ Das ist auch aus politischen Gründen notwendig, denn es gibt Verträge mit dem Nachbarstaat Jordanien, dass diesem ein Teil des Wassers aus dem See zusteht, und Jordanien braucht dieses Wasser dringend.

Kritiker, vor allem aus der Ökologiebewegung, werfen der Regierung vor, in den vergangenen Jahren den umfassenden Wasserschutz vernachlässigt zu haben und einzig auf die Säule Entsalzung gesetzt zu haben. „Israel hat das Wassersparen definitiv zurückgestellt“, sagt etwa die Wasserexpertin Sarit Caspi-Oron von der Israel Union for Environmental Defense. „Solange die Entsalzungsanlagen liefen, herrschte ein falsches Gefühl von Sicherheit.“

Auch wenn diese Kritik für die letzten paar Jahre zutreffen mag, so hat Israel in den Jahrzehnten davor doch auf dem Gebiet Wassermanagement im internationalen Vergleich Herausragendes geleistet. Vor der Staatsgründung schätzten britische Experten des damaligen Mandatsgebiets die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Region als äußerst bescheiden ein – vor allem wegen der Wasserknappheit. Landwirtschaftliche Produktion wäre nur mit Hilfe von Bewässerung möglich, und diese würde die knappen Grundwasserspeicher bald leeren, argumentierten sie – und beschränkten nicht zuletzt deshalb die Zahlen der jüdischen Zuwanderer. Wasserknappheit sollte dann auch über lange Jahre das Bewusstsein sowohl der Kibbuzbauern wie der städtischen Bevölkerung prägen.

National Water Carrier. Im jungen israelischen Staat wurde schnell klar, dass die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wasser eine der dringlichsten Aufgaben darstellte. Die Übernahme dieser Aufgabe durch den Staat war daher eine Selbstverständlichkeit, und schon in den 50er-Jahren nahm dieser den Bau eines landesweiten Wasserleitungssystems in Angriff – mit dem Rückgrat der Hauptader National Water Carrier. Dieses leitete vor allem Wasser aus dem See Genezareth, der wiederum vom Jordan, vom Litani und vom Yarmuk gespeist wurde, in Richtung Süden, um dort agrarische Siedlungen zu ermöglichen. Fertiggestellt wurde diese Hauptwasserleitung im Jahr 1964.

Allerdings war offensichtlich, dass diese Leitungen mit dem Wasser aus dem See Genezareth alleine die Versorgung nicht gewährleisten konnten. Zusätzliche Mengen kamen aus dem küstennahen Grundwasserspeicher Coastal Aquifer und von zahlreichen kleineren Quellen im ganzen Land.

Frisches Wasser. Geplant ist der Bau von zwei zusätzlichen großen Meerwasserentsalzungsanlagen im Norden. © Flash90/ Edi Israel

Ab den frühen 70er-Jahren begann die nationale Wassergesellschaft Mekorot, die auf eine Gründung des Jahres 1937 zurückgeht, mit der Errichtung von Meerwasserentsalzungsanlagen. Diese waren anfänglich relativ klein und stellten sich als enorme Energievernichter heraus, aber der Wasserbedarf – unter anderem auch der Landwirtschaft – schien ungebrochen. Parallel dazu baute man zahlreiche kleinere Anlagen zur Entsalzung von so genanntem Brackwasser oder leicht salzigem Grundwasser. Ab 2005 lief dann ein umfangreiches Investitionsprogramm für mehrere große, moderne Meerwasserentsalzungsanlagen an: in Hadera, Palmahim, Ashkelon, Sorek und der jüngsten nahe Ashdod.

Die zeitweise relativ gute Versorgungslage lässt sich aber nicht ausschließlich mit der verbesserten Angebotsseite erklären. Auch beim Verbrauch konnte Israel Erfolge erzielen: Der Verbrauch pro Kopf der Bevölkerung ging vom Höchststand 1998 von 111 m3/Jahr auf 86,8 m3 im Jahr 2014 zurück. Allerdings ist in derselben Zeit die Einwohnerzahl von mehr als sechs auf rund acht Millionen gewachsen, daher stiegen die Gesamtverbräuche dennoch weiter an.

Der Anteil von recyceltem Wasser am Gesamtwasserverbrauch des Landes beträgt mittlerweile beinahe ein Drittel, eine Zahl,
die international kaum überboten wird.

Die Gründe für diese relative Verbesserung waren mehrere: Einerseits hielten sich die Privathaushalte beim Wasserverbrauch zurück – nicht nur wegen der Preise, sondern auch motiviert durch die intensiven landesweiten Werbekampagnen zum Sparen. Überdies gibt es weniger industrielle Großverbraucher als in anderen Ländern, die israelische Wirtschaft hat ihre Schwerpunkte eher nicht in der Stahl-, Papier- oder Kunststofferzeugung, sondern bei IT und anderen Dienstleistungen.

Recyceltes Abwasser. Und auch die Landwirtschaft konnte die Produktion ausweiten, obwohl der Wasserverbrauch insgesamt zurückging. Das hatte wiederum mehrere Ursachen: Zuerst einmal wurden äußerst wasserhungrige Pflanzen nicht länger angebaut, etwa Zuckerrüben oder Baumwolle. Dann brachte der massive Einsatz der Tröpfchenbewässerung erhebliche Einsparungen. Und auf Basis intensiver Agrarforschung lässt sich heute eine ganze Reihe von Gemüsesorten züchten, die einen geringeren Wasserbedarf haben oder sogar salziges Wasser vertragen.

Eine der größten Umstellungen in der Landwirtschaft wiederum betrifft den Einsatz von recyceltem Abwasser. Dessen Anteil am Gesamtwasserverbrauch des Landes beträgt mittlerweile beinahe ein Drittel, eine Zahl, die international kaum irgendwo überboten wird. Dabei wird das geklärte Brauchwasser allerdings strengstens kontrolliert. Denn ganz am Beginn dessen Verwendung, 1970, war es einmal zu einem kurzen Ausbruch der Cholera gekommen, als mangelhaft gereinigte Abwässer illegal auf die Gemüsefelder ausgebracht wurden. Derartige Risiken musste man künftig mit allen Mitteln verhindern.

Dennoch ging die Versorgung der Israelis mit Wasser nicht ohne ökologische Folgekosten vor sich. Die großen Mengen, die dem See Genezareth – und damit dem Jordan – entnommen wurden, führten zu einem wohl irreversiblem Absinken des Wasserspiegels im Toten Meer. Hotels, die einst am See gelegen waren, sind heute weit von dessen Ufer entfernt. Dabei spielt dort wohl auch die chemische Industrie mit ihrer Düngemittel- und Magnesiumproduktion eine nicht unbeträchtliche Rolle – an beiden Seiten, der israelischen und der jordanischen.

Das Pumpen von Wasser aus den Grundwasserspeichern der Küstenebene hat zum Absinken des Spiegels und teilweise zur Versalzung geführt. Seit die großen Entsalzungsanlagen im Regelbetrieb laufen, hat man allerdings begonnen, dem Jordan und dem See Genezareth wieder mehr Wasser zu belassen, weil man weniger aus dem See ableitet. Jetzt soll er wieder aktiv befüllt werden.


Wasser und Politik

Das knappe Gut Wasser spielte in der regionalen politischen Auseinandersetzung schon vor 1948 und sofort ab Gründung des Staates eine nicht unwesentliche Rolle. Die Arabische Liga kritisierte, dass Israel zu viel Wasser aus dem See Genezareth und damit auch aus dessen Zuflüssen für eigene Zwecke abzweigte. Im Unabhängigkeitskrieg 1948, aber auch danach kam es wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um das Wasser, etwa mit Syrien in den 50er-Jahren. Pläne der Araber, mit grenznahen Staumauern Wasser von Israel in Richtung Syrien und Libanon abzuleiten, wurden nach israelischen Drohungen mit einem Militäreinsatz wieder abgeblasen. 1965 forderte ein Arabischer Gipfel, die Wasseraufteilung gewaltsam zu lösen. Der Beschluss wurde zwar nicht umgesetzt, hatte aber doch seinen Anteil beim Ausbruch des Sechs-Tage-Kriegs zwei Jahre später.

Danach entspannte sich dieser Streit vorerst – zumindest zwischen den benachbarten Staaten. Und ab dem Friedensvertrag mit Jordanien im Jahr 1994 einigten sich Jerusalem und Amman auf fixe Zuteilungen aus dem Wasser des Sees Genezareth. Ab 2013, als die großen Meerwasserentsalzungsanlagen die Lage entschärften, erhöhte Israel seine Wassermengen für das Nachbarland sogar.

Das bedeutet aber nicht, dass dieser Konflikt völlig beendet wurde. Weder mit Syrien noch mit dem Libanon gibt es Abkommen über die Wasseraufteilung. Die Osloer Verträge 1995 führten zu einer Vereinbarung der Wasserzuteilung für die Palästinenser im Westjordanland, vorerst als fünfjähriges Provisorium, das allerdings länger angewendet wurde. Die Palästinensische Autonomiebehörde hätte darüber hi-
naus selbst weitere Investitionen durchführen sollen, doch das blieb weitgehend im Planungsstadium, einerseits wegen technischer Probleme, aber aus Sicht der Palästinenser auch, weil die israelische Seite administrative Hürden aufstellte. Und man argumentiert von beiden Seiten mit deutlich unterschiedlichen Zahlen: Laut palästinensischer Wasserbehörde verbrauchen ihre Bürger pro Kopf nur einen Bruchteil des Wassers der Israelis, von israelischer Seite wird die Differenz deutlich kleiner dargestellt.

Am krassesten sind die Unterschiede zwischen den israelischen Siedlungen auf der West Bank mit moderner Infrastruktur und manchen ärmlichen arabischen Dörfern in unmittelbarer Umgebung. Insgesamt ist das Leitungssystem im Westjordanland bei Weitem nicht auf dem Stand des israelischen, es gibt hohe Verluste durch undichte Leitungen, teils wird auch Wasser illegal abgezweigt. Es kommt immer wieder zu Engpässen.

Mehr als unbefriedigend ist die Lage auch im Gazastreifen. Die Wasserversorgung hängt dort von Brunnen in Küstennähe ab, das Wasser ist großteils von minderer Qualität, oft überhaupt nicht trinkbar. Die örtlichen Grundwasservorkommen wurden jahrzehntelang – schon lange vor der israelischen Besatzung 1967 – übermäßig ausgebeutet, dazu kommt ebenfalls ein veraltetes Leitungsnetz mit hohen Verlusten. Gaza wird relativ schnell eine eigene große Meerwasserentsalzungsanlage benötigen, darüber hinaus eine umfassende Sanierung der Leitungsinfrastruktur.

Kurzzeitig still geworden ist es zu einem großen israelisch-jordanischen Gemeinschaftsprojekt. Dieses sieht vor, dass nahe der jordanischen Küstenstadt Akaba eine Entsalzungsanlage errichtet wird, die Akaba versorgt, aber auch Wasser in Israels Arava-Region liefert. Die bei diesem Prozess entstehende Salzsole soll mit Meerwasser verdünnt werden und durch eine rund 180 Kilometer lange Pipeline vom Roten Meer zum Toten Meer gepumpt werden. Das soll dazu dienen, den Wasserspiegel des Toten Meeres zu stabilisieren. Aber dieses Projekt ist auch umstritten. Manche Umweltschützer begrüßen es zwar, halten aber die Wassermenge aus dem Projekt für viel zu gering, um eine dauerhafte Trendwende zu erreichen. Andere Ökologen wiederum warnen davor, dass die Zusammensetzung des Roten Meeres sich chemikalisch erheblich von jener des Toten Meeres unterscheide und man die Auswirkungen nicht vorhersagen könne.

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