„Die einzige Wiedergutmachung wäre eine Politik des Anstands“

Burgl Czeitschner ist Filmemacherin und Journalistin. Nach redaktionellen Tätigkeiten bei Kurier und profil leitete sie Anfang der 1990er die ORF-Abteilung „Gesellschaft, Jugend und Familie“. 2018 erschien ihr Film Let’s keep it über problematische Restitutionsfälle der Republik Österreich.

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© Ronnie Niedermeyer

WINA: Welchen Bezug hast du zum Judentum?
Burgl Czeitschner: Bis zum Beginn meines Studiums an der Universität Salzburg wusste ich überhaupt nichts über Juden. Ich wusste nur, dass man auf einen Stein, über den man stolpert, drauftreten muss, weil darunter ein „Jud“ begraben ist. Das haben mir meine Nazi-Eltern beigebracht. Als ich in den Vorlesungen und Übungen bei der späteren Doyenne der österreichischen Zeitgeschichte, Erika Weinzierl, all das hörte, was mir sowohl von meiner Familie wie auch vom Gymnasium in Villach verschwiegen worden war, verstand ich, dass ich quasi subkutan antisemitisch verseucht worden war. Also beschloss ich, aktiv und gegen alle innerfamiliären Schwierigkeiten anzukämpfen und mich zweifelsfrei zu positionieren.

Woher rührt dein Interesse an Restitutionsfällen?
Als in Österreich 2001 das Entschädigungsfondsgesetz beschlossen wurde, habe ich in Deutschland gearbeitet und dieses Gesetz nur am Rande wahrgenommen. Seit 2003 war ich wieder für den ORF tätig und konnte daher regelmäßig heimische Zeitungen lesen. Mehrere Berichte über Restitutionsfälle haben dann mein Interesse an den Entscheidungen der Schiedsinstanz für Naturalrestitution geweckt. Ende 2014 erhielt ich die Möglichkeit, einen privat finanzierten Kinodokumentarfilm darüber zu machen. Nach dreieinhalb Jahren war Let’s keep it fertig und ich musste zur Kenntnis nehmen, dass meine filmische Kritik am Entschädigungsfondsgesetz ausgerechnet im „Gedenkjahr“ 2018 keinen Verleih findet.

»Ausgerechnet im ‚Gedenkjahr‘ 2018 fand ein Film über das Entschädigungsfondsgesetz
keinen Verleih.«

 

Was ist der Unterschied zwischen Restitution und Wiedergutmachung?
Da ich keine Juristin bin, kann ich das nur aus meiner Warte definieren. Bei der Restitution geht es um konkrete Ansprüche – mittlerweile nur noch von Nachkommen von Holocaust-Opfern. Wiedergutmachung ist ein Begriff, mit dem ich wenig anfangen kann. Wer vermag das Unrecht der Nazis je wieder gutzumachen? Die einzige Möglichkeit, wenigstens ansatzweise Wiedergutmachung zu betreiben, wäre für mich eine Politik der Empathie und des Anstands gegenüber allen Opfern des Nazi-Mörderregimes. Davon war bis jetzt in Österreich wenig zu spüren. Egal, unter welchen Mehrheitsverhältnissen.

Die aktuelle Regierung rühmt sich damit, jüdische Anliegen sehr ernst zu nehmen. Wie wurde dein Film von staatlicher Seite rezipiert?
Let’s keep it wurde von offizieller Seite gar nicht rezipiert. Die Einladungen zu unserer privat organisierten Premiere im Gartenbaukino wurden in Nestroy’scher Art nicht einmal ignoriert. Auch meine Bemühungen, bei einigen Abgeordneten Interesse für das Thema zu wecken, blieben bis dato erfolglos. Es interessiert einfach niemanden, dass das Unrecht von damals mit Hilfe eines fragwürdigen Gesetzes schlicht und ergreifend fortgeführt wird. Auch kann ich ein „Ernstnehmen“ jüdischer Anliegen nicht erkennen. Der gegenwärtige Bundeskanzler hat ja seine ganz spezielle Methode: Vorne biedert er sich mit wohl gewählten Worten den Juden an – hinten macht er aus Karrieregründen mit Rechtsrechten gemeinsame Sache.

Was für einen Film würdest du gerne als nächstes drehen?
Ich arbeite bereits an einem neuen Projekt. Ich werde ein Jahr lang in Venedig eine Art Miniserie für das Fernsehen machen – quasi als Erholung nach der teilweise extrem schwierigen Arbeit an Let’s keep it. Mehr will ich noch nicht darüber sagen.

Du bist für die Fraueninitiative Al-Nour tätig, mit der körperlich behinderten Frauen in Marrakesch ein sicherer Arbeitsplatz gewährt wird. Was möchtest du über diese Organisation und dein Engagement darin erzählen?
Ich war schon 2006 bei der Entstehung dieses wunderbaren Sozialprojekts für behinderte Frauen in Marrakesch dabei. Niemand kann sich vorstellen, wie kompliziert es war, dieses Projekt zum Laufen zu bringen. Es kann gar nicht genug gewürdigt werden, was Patricia Kahane dafür leistet. Ich bewundere sie für ihre unermüdliche Geduld und ihren nicht nachlassenden Einsatz, um „unseren“ Frauen ein Leben in Würde zu garantieren. Daher ist es für mich nur selbstverständlich, meinen Anteil an Unterstützung einzubringen.

Du stehst vor dem Gemälde eines Kindes in Lederhose, das dein Bruder gemalt hat. Stimmt es, dass du und dein Bruder tatsächlich in Krachledernen über die Hügel gerannt seid?
Mein Bruder Bruno ist drei Jahre älter, und ich durfte immer seine Lederhosen auftragen. Da ich auch kurze Haare hatte, wurden wir bei unseren Unternehmungen manchmal sogar verwechselt. Als er eines Tages beschloss, Lederhosen zu verweigern, war ich ihm von Herzen böse. Denn ich wusste, irgendwann werde ich aus seiner letzten herausgewachsen sein. Jahrzehnte später hat er sich mit diesem Bild dafür entschuldigt. Das gleiche hängt in seiner Wohnung in Villach.

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