Die Geduld kam mit den Jahren

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Jiddischkeit hat er zu Hause und im Cheder erlernt, wirtschaftliches Denken im Familienbetrieb Alvorada. wina macht einen Blick in das Leben von Oskar Deutsch, seit Februar neuer Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Von Alexia Weiss

Man muss sich von unten nach oben hocharbeiten“, betonte Oskar Deutsch in seiner kurzen Rede, nachdem er am diesjährigen Faschingsdienstag mit überwältigender Mehrheit vom Kultusvorstand zum neuen IKG-Präsidenten gewählt worden war. Und genau das hat Deutsch getan: Seit 1993 sitzt er zunächst für die Junge Generation, später für die von ihm 1997 mitbegründete Nachfolgefraktion Atid im Kultusrat. Seit 1999 gehört er als Vizepräsident dem Präsidium an, viele Jahre, in denen er seinen Vorgänger Ariel Muzicant zu Gesprächen begleitete, „ob es um Restitution ging oder um Verhandlungen mit der Stadt Wien“.

„Ich habe gelernt, dass es in der Politik eben nicht so zugeht wie in meiner eigenen Firma.“

Mit Muzicant verbindet ihn eine jahrelange Freundschaft

Von ihm habe er nicht nur viel gelernt, er sei auch einfach „ein wunderbarer Mensch“. Das politische Parkett ist Deutsch also alles andere als fremd und das wirtschaftliche beherrscht er ohnehin: Seit vielen Jahren führt er den Familienbetrieb Alvorada, eine Kaffeerösterei mit Sitz in Vösendorf.

Wenn Deutsch durch die Fabrikshallen schreitet, sieht man den Respekt, den ihm seine Mitarbeiter entgegenbringen. Und im Gegenzug die höflich-freundliche Art, mit der er mit seinen Arbeitern und Angestellten umgeht. Wenn Deutsch in seinem Betrieb seine Mitarbeiter auffordert, etwas zu tun, wird dieser Aufforderung sofort nachgekommen. Dass Dinge in der Politik anders funktionieren, hat Deutsch in seinen Jahren als Vizepräsident bereits gelernt. „Nun wollen Sie sicher wissen, welche meine negative Eigenschaft ist“, sagt er im Interview. Nein, eigentlich nicht – aber wenn wir schon beim Thema sind: Ja, bitte, womit haben Sie Schwierigkeiten? Mit der Geduld sei das so eine Sache, sagt Deutsch und schmunzelt. „Ich habe gelernt, dass es in der Politik eben nicht so zugeht wie in meiner eigenen Firma. Und ich bin heute viel geduldiger als in meiner Anfangszeit in der Kultusgemeinde.“

„Das Tora-Studium prägt einen irrsinnig. Was man in dieser Zeit lernt, vergisst man in der Regel nicht.“

Auf Menschen zugehen, mit Menschen reden: das ist etwas, das der neue Präsident gut kann. Bei den Europäischen Makkabi-Spielen, die er im vergangenen Jahr nach Wien holte und organisierte, mischte sich Deutsch sichtlich gerne unter die Gemeindemitglieder und Sportler. Doch auch in der Orthodoxie ist er ein Stückchen zu Hause. „Ich komme aus einem Haus, das Schomer Schabbat war, und wurde als Kind ab dem zarten Alter von sechs Jahren in den Cheder geschickt, in die Grünangergasse.“ Bis er 14 Jahre alt war, hat er nach der Schule mit fünf, sechs anderen Buben täglich drei Stunden mit dem Tora-Studium verbracht. „Das prägt einen irrsinnig. Was man in dieser Zeit lernt, vergisst man in der Regel nicht.“

Seine eigenen Kindern besuchen heute jüdische Schulen

Er selbst ging zunächst ins Gymnasium Stubenbastei. Dass er samstags nicht in die Schule ging, sorgte in der dritten Klasse allerdings für Probleme mit dem Lateinlehrer, der die Schularbeiten grundsätzlich auf einen Samstag legte. Mit der American International School (AIS) war ab der vierten Klasse eine Alternative mit Fünf-Tages-Woche gefunden. Deutsch erinnert sich gerne an die AIS zurück. „Das war eine schöne Zeit.“

Danach beginnt er, an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien zu studieren. Doch bevor er das Studium beenden kann, bittet ihn sein Vater, in den Betrieb zu kommen. Er kommt der väterlichen Bitte gerne nach – und lernt alles von der Pike auf. Durchläuft die Abteilungen in der Fabrik ebenso wie jene im Büro. „Nur die 60-Kilo-Kaffeesäcke, die habe ich nie alleine geschleppt.“ Fehler habe er natürlich gemacht, in den Anfangsjahren, sagt Deutsch, aber das sei eben so. Man mache Fehler – und lerne.

Später habe er sich vor allem mit dem Kaffeekauf und -handel vertraut gemacht, war viel unterwegs, in Brasilien, Vietnam, Thailand, Indonesien. Wer Deutsch heute am Firmensitz in der Deutschgasse in Vösendorf besucht, dem stechen am Eingang auch sofort die Schilder mit der Aufschrift „Consulado General de la República de El Salvador“ ins Auge. „Ich bin der Generalkonsul“, sagt er, darauf angesprochen. Was an diesen Reisen am schönsten sei: neue Leute kennen zu lernen, neue Freundschaften zu schließen. Vor allem in Brasilien seien die Menschen sehr offen.

„Ich bin der Meinung, dass Kinder Eltern zurückgeben sollten, was sie von ihnen bekommen haben.“

Geschäft, IKG, Familie:

Um diese Pole dreht sich der Alltag von Oskar Deutsch. Ein besonders inniges Verhältnis wird ihm zu seiner Mutter nachgesagt. „Ja, seit 48 Jahren“, merkt der 48-jährige IKG-Präsident dazu an und fügt hinzu, „sie ist eine jüdische Mame, die mich sehr lieb hat und immer da war und immer da sein wird, wenn ich etwas brauche“. Das sei im Gegenzug aber ebenso. „Ich bin der Meinung, dass Kinder Eltern zurückgeben sollten, was sie von ihnen bekommen haben.“ Und was hat er von seinen Eltern bekommen? „Viel, viel Liebe, ein sehr behütetes Zuhause und jede Möglichkeit zu lernen.“

All das will er heute auch seinen Kindern geben. Wichtig ist daher die gemeinsam verbrachte Zeit, „denn Familie ist etwas Wunderbares“. Er genieße etwa die tägliche Zeit mit den Kindern in der Früh und das Miteinander am Freitagabend und am Samstag. Mittelpunkt seines heutigen Familienlebens ist aber natürlich seine Frau Sarah, und er betont: „Aus der Energie, die mir meine Familie gibt, schöpfe ich die Kraft für mein soziales Engagement.“

Auch er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern Schomer Schabbat. Für seine Kinder wünscht er sich vor allem eines: Gesundheit. „Und dass sie niemals einen Krieg erleben müssen.“ Er selbst hat zwar keinen Krieg erlebt, bei den Eltern war das allerdings anders. Die Mutter verlor ihre Eltern in der Schoa, erst nach dem Tod seiner Stiefgroßeltern war es möglich, nach Lemberg, den Geburtsort der Mutter, zu fahren. Und auch Klausenburg, den Heimatort des Vaters, hat er erst nach dessen Tod 1998 gemeinsam mit einem Cousin besucht. Warum die Eltern nicht eher über die NS-Zeit gesprochen haben? „Aus einem eigenen Bedürfnis heraus. Um Schutz für mich ging es dabei nicht.“

Das Präsidentenamt zu übernehmen, sieht er mit viel Verantwortung verbunden

„Da muss man sich immer die Frage stellen: Was ist gut für unsere Gemeinde?“ Die Arbeit für das Gemeinwohl sei ihm allerdings bereits seit seiner Jugend wichtig. In der Bnei Akiva habe er nicht nur Freunde gefunden, sondern rasch bemerkt: Er will Madrich sein, er will anderen helfen, Vorbild sein. Später engagiert er sich im Vorstand der Misrachi, in der Fraktion Junge Generation, wird Kultusrat, klettert die Leiter Stück für Stück hinauf. Immer ehrenamtlich.

Sieht er es als Pflicht, wenn man so wie er persönlich finanziell gut situiert ist, seine Zeit, sein Engagement anderen, der Gemeinde zur Verfüfgung zu stellen? „Ich bin nicht für Zwang“, sagt er, „aber wenn man das Privileg hat, etwas für andere tun zu können, habe ich es immer getan. Das muss allerdings jeder für sich selbst entscheiden.“ Grundsätzlich würde er sich freuen, wenn noch viel mehr Menschen in der Gemeinde aktiv würden. Und zu helfen gebe es immer. In den nächsten Monaten werden beispielsweise einige jüdische Familien aus Ungarn auf Grund der dortigen politischen Situation nach Wien übersiedeln. Und damit aber auch wieder zur Lebendigkeit und Vielfalt der jüdischen Gemeinde in Wien beitragen, die Deutsch unbedingt als Einheitsgemeinde weiterführen will.

Zu Hause ist Deutsch in Wien, hier ist er geboren und aufgewachsen. Hier ist er seit vielen Jahren Präsident des SC Maccabi Wien und fiebert jedem Match entgegen, denn, erzählt er, seine Freunde sagen, er sei „der aktivste Passivsportler, den sie kennen“. Seit seiner Kindheit macht er zwei Mal im Jahr in Israel Urlaub, heute stets in einem Hotel in Herzlia. „Israel ist meine geistige Heimat.“ Was er dort allerdings nicht bekommt, ist seine Lieblingsspeise: Kaiserschmarrn ohne Rosinen, dafür mit Himbeeren. „Auch wenn das meine Frau nicht gerne hört.“

Zur Person

Oskar Deutsch, geb. 1963 in Wien, nach der Matura an der American International School Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seit 1982 im Familienbetrieb Alvorada tätig. Bereits in jungen Jahren in jüdischen Organisationen engagiert, zunächst in der Bnei Akiva, später Vorstandsmitglied der Misrachi, von 1989 bis 1998 Generalsekretär der Jungen Generation (Vorgängerfraktion von Atid). Seit 1993 Kultusvorsteher der IKG Wien, dabei Vorsitz in verschiedenen Kommissionen, u. a. auch der Finanzkommission. 1997 Mitbegründer von Atid, seit 1999 Vizepräsident der IKG. 2011 Vorsitzender der Europäischen Makkabi-Spiele in Wien. Seit Februar 2012 Präsident der IKG Wien. Deutsch ist verheiratet und Familienvater. 

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