Die jüdischen Revolutionäre

Im Jahr 1848 standen jüdische Intellektuelle beim Kampf für Freiheit und Bürgerrechte an vorderster Front.

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Im Oktober 1848 geht die Nationalbibliothek in Flammen auf. © Österreichische Nationalbibliothek

In Wien hatte es eigentlich ganz friedlich begonnen. Während ab der Jahreswende 1847/48 in ganz Europa schon der revolutionäre Funke zündete, wandten sich die Wiener noch mit höflichen Petitionen an Kaiser Ferdinand I. In den ersten Märztagen begann erst einmal der Niederösterreichische Gewerbeverein mit einer Bittschrift an die kaiserliche Regierung und der Forderung nach Demokratie. Es folgten weitere der Wiener Buchdrucker, des juridisch-politischen Lesevereins und der Bürgerschaft.

Am 12. März 1848 stellten sich auch die Studenten mit einer Petition ein. Diese – nicht zuletzt unter maßgeblichem Einfluss des jüdischen ungarischen Mediziners und Chemikers Josef Goldmark beschlossen – hatte es in sich: Darin wurden unter anderem die Teilnahme des Volks an der Regierung, die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, die Installierung von Geschworenengerichten, die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Aufhebung des Untertanenverhältnisses der Bauern, die Festlegung der bürgerlichen Grundrechte, die Beseitigung der metternichschen Zensur, die Presse-, Lehr- und Lernfreiheit und nicht zuletzt die Gleichstellung der Konfessionen gefordert.

Bei der Demonstration rund um das Landhaus starben fünf Menschen, mehr als 500 wurden verletzt. Der erste Tote war dabei der jüdische Technikstudent
Karl Heinrich Spitzer.

Diese Bittschriften wurden wohl in der Hofkanzlei entgegengenommen, aber nicht beantwortet. Daher beschlossen die Universitätsprofessoren und Studenten für den darauffolgenden Tag, den 13. März, an dem im Niederösterreichischen Landhaus die Ständevertretung tagte, eine Demonstration. Die Studenten drangen in das Landhaus ein, vor den Toren hatte sich schon eine empörte Menge versammelt.

Adolf Fischhof, ein jüdischer Arzt aus Ungarn, hielt vor der Menge eine Rede. Unter anderem sagte er: „Wir haben heute eine ernste Mission zu erfüllen: ein Herz zu fassen, entschlossen zu sein und mutig auszuharren. Wer an diesem Tage keinen Mut hat, gehört in die Kinderstube. Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Lehr- und Lernfreiheit, verantwortliche Minister, Volksvertretung, Volksbewaffnung und Anschluss an Deutschland sind das Ziel.“

Schießbefehl verschärft die Lage. Die Lage wurde immer aufgeheizter, die Abdankung Metternichs wurde gefordert, gegen Mittag gab der Stadtkommandant, Erzherzog Albrecht, Schießbefehl: Bei der Demonstration rund um das Landhaus starben fünf Menschen, mehr als 500 wurden verletzt. Der erste Tote war dabei der jüdische Technikstudent Karl Heinrich Spitzer. Inzwischen hatten sich auch Arbeiter aus den Vorstädten in Bewegung gesetzt, Maschinen zerstört und Barrikaden errichtet. Am Abend geschah das Unerwartete: Der Kaiserhof zwang Metternich zum Rücktritt, dieser floh verkleidet ins Ausland.

Am nächsten Tag wurde die Nationalgarde aufgestellt, die Studenten gründeten ihrerseits ein bewaffnetes Korps, die Akademische Legion; Vertreter von beiden bildeten ein „Zentralkomitee“, das die revolutionäre demokratische Gewalt repräsentieren sollte. Der Kaiser gab dem Druck nach, hob kurzfristig die Zensur auf, erließ ein freiheitliches Pressegesetz und versprach eine freiheitliche Verfassung. Ludwig Frankl, ein jüdischer Student, schrieb mit seinem Gedicht über die Universität das erste Druckwerk, das in Wien ohne Einfluss der Zensur erschien:

Die Universität

Was kommt heran mit kühnem Gange?
Die Waffe blinkt, die Fahne weht,
es naht mit hellem Trommelklange
die Universität.

Die Stunde ist des Lichts gekommen,
was wir ersehnt, umsonst erfleht,
im jungen Herzen ist’s entglommen
der Universität.

Das freie Wort, das sie gefangen,
seit Joseph arg verhöhnt, geschmäht,
vorkämpfend sprengte seine Spangen
die Universität …

Beim Begräbnis der später so genannten Märzgefallenen kam es zu einer nie da gewesenen Manifestation von Glaubensfreiheit und Ökumene: Am 17. März gab es auf dem Schmelzer Friedhof eine Trauerfeier. Nacheinander sprachen ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher sowie ein jüdischer Prediger, der spätere Rabbiner Isaak Mannheimer.

Robert S. Wistrich hat in seinem Standardwerk Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs über die Beteiligung einzelner Juden hinaus die längerfristigen historischen Strömungen beschrieben: „Obwohl es im Revolutionsjahr 1848 noch keine geeinte jüdische Gemeinde in Wien (oder in ganz Österreich) gab, waren nun immer mehr Angehörige dieser Generation, die sich gegen Metternich auflehnte, bereit, sich offen für die Ideale von Freiheit und Gleichheit einzusetzen. Die meisten dieser jungen Männer waren aus der Provinz nach Wien gekommen und hatten in der habsburgischen Hauptstadt unter sehr schwierigen materiellen Bedingungen studiert.“

Laut Wistrich sollten diese jungen Juden auch im weiteren Verlauf der politischen Kämpfe um Demokratie und Freiheit eine erhebliche Rolle spielen. Schon dem Ende März gegründeten Studentenkomitee gehörten neben Fischhof und Goldmark eine Reihe weiterer Juden an: Bloch, Flesch, Kasper, Mannheimer, Tausenau, Taussig und Unger. Im neu gewählten Reichstag im Juli 1848 waren erstmals vier Juden vertreten: Fischhof, Goldmark, Mannheimer und der Krakauer Rabbiner Berusch Meisels. Als im Mai in Wien der so genannte Sicherheitsausschuss gegründet wurde, wählte man Fischhof zum Vorsitzenden, und auch einer seiner beiden Stellvertreter war Jude. Der Sicherheitsausschuss hatte behördenähnliche Funktionen und befehligte 6.000 Männer der akademischen Legion und angeblich weitere 20.000 Arbeiter. Nicht wenige Juden dienten in der Akademischen Legion und in der Nationalgarde.

Wistrich zieht aus seinen Studien klare Schlüsse: „Sowohl quantitativ als auch qualitativ fand diese starke jüdische Beteiligung an dem österreichischen Aufstand von 1848 keine Parallele in anderen europäischen Staaten, weder in Deutschland noch in Ungarn, wo sich Juden ebenfalls stark für die revolutionäre Bewegung einsetzten.“ Und weiter: „Diese beispiellose jüdische Beteiligung an der Revolution hatte weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf die Juden selbst, sondern auch auf ihre Gegner.“

Michaelaplatz, Ende 1848.
Der zweite Aufstand in Wien
nimmt Fahrt auf nach der
allgemeinen Ablehnung der vom Hofe
vorgelegten Verfassung.
©Ullstein Bild/picturedesk.com

Kämpfer für allgemeine Freiheit. Zwar sahen sich die revolutionären Juden vor allem als Kämpfer für die allgemeine Freiheit und weniger ihre eigenen jüdischen Anliegen. „Kein einziges Wort über jüdische Emanzipation“, argumentierte wiederholt Isaak Mannheimer, „außer es wird von anderen in unserem Interesse ausgesprochen.“ Die Juden hätten lange genug „auf den Knien und mit erhobenen Händen“ um ihre Rechte gebettelt, nun müssten sie unter der Prämisse handeln, dass „zuerst der Mensch, der Bürger, kommt und dann erst der Jude. Niemandem soll Gelegenheit gegeben werden, uns vorzuwerfen, dass wir immer zuerst an uns selbst denken.“

Doch die antijüdischen Kräfte formierten sich schon. Im Herbst 1848 konnte man in der Wiener Zeitschrift Schild und Schwert lesen, „hauptsächlich die Juden“ seien „das Unglück unseres Vaterlandes, also das Unglück von uns allen“. Schon in den Monaten der Revolution gab es die Parole von der jüdischen „Geldmacht“ und vom „Wucher“. Vor allem in Böhmen wurden jüdische Unternehmen und Geschäfte attackiert und mussten vom Militär geschützt werden, in Pressburg kam es zu einem Pogrom und zur Zerstörung einer Synagoge. Sukzessive formierte sich auch auf der katholischen Seite eine konservative Front gegen den jüdischen Liberalismus.

Das Jahr 1848 brachte keine politische Lösung. Es kam zu weiteren Aufständen und blutigen Auseinandersetzungen, erst im Mai, dann wieder im August, nicht immer nur zwischen der Obrigkeit und den Revolutionären, sondern auch zwischen der Akademischen Legion und Arbeitern. Im Herbst eskalierte dann die Lage endgültig. Am 6. Oktober wurde in der Wiener Innenstadt gekämpft, sogar im Stephansdom. Als Höhepunkt wurde Kriegsminister Theodor Graf Baillet de Latour aus seinem Büro am Hof gezerrt und an einem Laternenmast aufgehängt. Nun ließ der Kaiser Truppen gegen Wien marschieren. Diese schlossen unter der Führung von Alfred Fürst zu Windisch-Graetz Ende Oktober die Stadt ein, am 23. begann der Sturm. Wien fiel am 31. Oktober, die Bilanz ergab mehr als 2.000 Tote und erhebliche Zerstörungen.

Auch nach dem Sieg ging das Töten weiter: Hingerichtet wurden unter anderem der deutsche Delegierte zur Nationalversammlung Robert Blum und der Wiener Schriftsteller und Journalist Hermann Jellinek. Die Revolution war gescheitert, zahlreiche Intellektuelle, die Kämpfe und Erschießungskommandos überlebt hatten, flohen nach Amerika.


Die jüdische Aufklärung

Moses Mendelssohn wurde sowohl
vom Reformjudentum wie auch vom
orthodoxen Judentum als Vorbild in
Anspruch genommen und diente als
Wegweiser für den Kampf um die
jüdische Emanzipation.
© Moses Mendelssohn (1771, Porträt
von Anton Graff, Kunstbesitz der
Universität Leipzig), Wikimedia

Die Haskala-Bewegung (Haskala bedeutet auf Hebräisch Bildung, Aufklärung) formierte sich ab den 1770er-Jahren in Deutschland und breitete sich sukzessive nach Osteuropa aus. Ziel war es, für Juden Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft in den verschiedenen europäischen Ländern zu erreichen. Man wollte nicht mehr im Ghetto leben, sondern Teil des Bürgertums sein. Als Erstes wurde das in Frankreich umgesetzt: 1791 wurde Juden dort die volle Staatsbürgerschaft zuerkannt. In der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie erhielten Juden erst 1867 mit der sog. Dezemberverfassung im Zuge des Ausgleichs erstmals ihre rechtliche Gleichstellung.

Mit einher ging dieser so genannten jüdischen Aufklärung eine Öffnung hin zur christlichen Mehrheitsgesellschaft sowie Säkularisierung, was wiederum zu Spannungen im Verhältnis zur Orthodoxie führte.

Wichtige Vertreter der Haskala – die so genannten Haskilim – waren der Philosoph Moses Mendelssohn, David Friedländer oder Isaac Euchel, der die Zeitschrift Ha-Meassef herausgab. Insgesamt wurde auch weltliche Bildung wichtig – was nicht gleichbedeutend mit einer Abkehr von der Religion war. Mendelssohn etwa hatte keine Religionsreform im Sinn, er lebte orthodox, sah aber die Notwendigkeit, sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu öffnen. wea

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