Dirigent der Täfelchen

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Das älteste Auktionshaus der Welt steht in Wien: Im Dorotheum wechseln jedes Jahr Kunstwerke für Millionenbeträge die Besitzer. Michael Ortner über einen Abend voller Rekorde, Nervenkitzel und heiße Leitungen. Von Michael Ortner   

Rafael Schwarz muss ganz genau auf die Menschen und Täfelchen, auf die potenziellen Kunstkäufer und ihre Bieternummern aufpassen. Der 36-Jährige ist Auktionator im Wiener Dorotheum, dem ältesten noch aktiven Auktionshaus der Welt. Wenn andere Feierabend haben, beginnt für ihn der wichtigste Teil seiner Arbeit. Dorotheergasse 17, erster Bezirk. Es ist kurz vor 18 Uhr, Rafael Schwarz steht im neubarocken Franz-Joseph-Saal, er rückt noch einmal sein Headset zurecht, sein Krawattenknoten sitzt bereits perfekt. Trotz der Menschentraube um ihn wirkt er erstaunlich ruhig.

Der Festsaal im Palais Dorotheum füllt sich schnell. Menschen tippen eifrig in ihre Smartphones, telefonieren oder blättern im Auktionskatalog. Die Wände ringsum sind gesäumt von zeitgenössischer Kunst: Arbeiten des italienischen Avantgardekünstlers Lucio Fontana, ein Mao von Andy Warhol oder eine riesige Leinwand des irischen Malers Sean Scully. Vor den Stuhlreihen des Publikums steht das Pult von Rafael Schwarz, sein Arbeitsplatz in den kommenden zwei Stunden.

„Manche im Pub­likum zwinkern mir einfach nur zu oder nicken mit dem Kopf.“ Rafael Schwarz

Versteigert werden im Dorotheum aber nicht nur Kunstwerke. Gehandelt werden auch historische Gewehre, Brillantohrringe und die Briefkorres­pondenz des K.u.K.-Linienschiffsleutnant Alfred Wilhelm und seiner Verlobten, der er von seiner Asienreise auf der S.M.S. „Kaiserin Elisabeth“ berichtet. Oder ein türkis-metallic-farbener Porsche 911 Turbo, Baujahr 1979, dessen Vorbesitzer unter anderen Micro­soft-Gründer Bill Gates war.

Akustischer Sprachencocktail
Lucio Fontanas Concetto Spaziale. Der 1968 verstorbene Avantgardekünstler erreicht heute international Rekordpreise.
Lucio Fontanas Concetto Spaziale. Der 1968 verstorbene Avantgardekünstler erreicht heute international Rekordpreise.

Der Geräuschpegel im Saal steigt, besonders bei den Mitarbeitern der Spartenbereiche und Experten des Dorotheum, die schräg gegenüber vom Auktionator stehen. Stellvertretend für den Interessenten am Telefon bieten sie bei der Auktion mit. Dort herrscht dichtes Gedränge, die Leitungen laufen schon vor Beginn der Auktion heiß. Hinter einem der zahlreichen Apparate steht auch Patricia Pálffy, Expertin für zeitgenössische Kunst am Dorotheum. Während Versteigerungen hat sie Bieter aus Frankreich, Belgien und Großbritannien am anderen Ende der Leitung. „Am Nachmittag kontrollieren wir noch mal die Telefonnummern, ob die Bieter auch unter der angegebenen Nummer erreichbar sind. Ein paar Losnummern vorher ruft man an und sagt ihnen, dass das Objekt bald an der Reihe ist“, so Pálffy. Sie sagt den Bietern am Telefon auch, wie das Interesse im Saal ist. Für ein Objekt des italienischen Konstruktivisten Paolo Scheggi haben sich allein 20 Telefonbieter angekündigt. Anfragen aus Brasilien oder Japan sind nicht selten. Mitbieten kann übrigens jeder, die Auktion findet öffentlich statt.

Drei Schläge von Rafael Schwarz auf eine Klingel eröffnen den Abend. Die Klingel ähnelt der in einer Hotelrezeption. Doch mit einem Rezeptionisten hat der gebürtige Wiener nichts gemein. Vielmehr steht er wie ein Dirigent vorne am Pult, vor ihm fast 250 Augenpaare, denen er aufmerksam folgen wird. Seit rund sieben Jahren ist Schwarz Auktionator im Dorotheum. Neben ihm steht eine Assistentin, die die Namen der Künstler und das jeweilige Startgebot vorliest. Eine Telefonistin fächert sich derweil mit dem Bieter­täfelchen zu. Wegen der Hitze kann es nicht sein, im Saal herrschen angenehme Temperaturen.

Optimal waren die klimatischen Bedingungen schon vor hundert Jahren, vor allem in den Kellerdepots. Kaiser Franz Joseph I. ließ das Dorotheum, das 1707 noch als „Versatz- und Frag-amt“ gegründet wurde, neu errichten. 1901 eröffnete er es höchstpersönlich. Dass im April 2014 eine Unterhose von ihm hier versteigert wird, hätte sich der Monarch damals nicht träumen lassen. Der Saal ist heute nach ihm benannt, an der Wand gegenüber vom Auktionator prangt noch der Doppeladler als imperiale Insignie. Rund 600 Auktionen finden jährlich im Dorotheum statt. Bemessen am Umsatz ist es das sechstgrößte Auktionshaus der Welt, 2012 wurden 154 Millionen Euro umgesetzt.

Teurer als ein Eigenheim

Der Bea-mer wirft ein Bild von Los Nummer 801, einer Arbeit des Italieners Paolo Scheggi, an die Wand über dem Auktionator. Für Zone riflessi legte Scheggi mehrere Leinwände übereinander, ovale Einschnitte vermitteln Räumlichkeit. Seine Gemälde sah er als dreidimensionale Objekte. Der Schätzpreis liegt zwischen 90.000 und 120.000 Euro. Rafael Schwarz ruft es um 70.000 aus, ansonsten liegt das Startgebot meist bei der Hälfte vom oberen Schätzpreis.

Niemand regt sich im Saal, nur bei den Damen an den Telefonapparaten kommt plötzlich Hektik auf. Abwechselnd strecken mehrere Damen die Täfelchen mit den Bieternummern hoch. Rafaels Augen schnellen von links nach rechts, dann wieder zurück zu den Telefonen schräg gegenüber und in die Mitte des Saals. Rasant geht der Preis nach oben, die 150.000-Euro-Marke ist schnell geknackt. In 10.000er-Schritten steigt er weiter. Die Augen von Rafael Schwarz huschen durch den Saal, wahlweise hebt er den linken oder den rechten Arm, um das nächsthöhere Gebot zu bestätigen. Nach vier Minuten liegt der Preis bei 360.000 Euro, so viel, wie ein neuer Sportwagen von Lamborghini oder ein Eigenheim kostet.
Das Täfelchen mit der Bieternummer 127 ist das letzte, das Rafael im Blick hat. „Zum Ersten“, Schwarz macht eine kurze Pause und blickt in die Runde. „480.000 zum Zweiten“, wieder eine Pause. „Zum Dritten. Verkauft.“ Er schlägt behutsam auf die Klingel und bedankt sich mit „Grazie“. Zone riflessi hat nun einen neuen Besitzer, genau genommen eine im Saal anwesende Besitzerin. Eine elegante Frau mit Gold besetzten Highheels hat das Werk für 480.000 Euro – netto – ersteigert. Denn zum Hammerpreis kommen noch Gebühren, Steuern und Aufschläge hinzu. Letztendlich summiert sich der Preis auf 573.300 Euro, der höchste Preis, der je für einen Scheggi bezahlt wurde, das bedeutet Weltrekord. „Es ist sehr ungewöhnlich, dass gleich das erste Los so einen hohen Preis erzielt“, sagt Olga Kronsteiner, Kunstmarktexpertin bei der Tageszeitung Der Standard.

Ein Augenzwinkern genügt

Vielleicht liegt es auch am zunehmenden Interesse an zeitgenössischer Kunst. Dem Jahresbericht von Informationsdienst Artprice zufolge stiegen die Preise für Zeitgenossen 2013 im Vergleich zum Vorjahr weltweit um 34 Prozent. Auf Auktionen wurde mehr als eine Milliarde Euro mit zeitgenössischer Kunst erwirtschaftet. Sie macht am globalen Auktionsumsatz rund 13 Prozent aus, der Löwenanteil geht an moderne Kunst – mit 47,6 Prozent fast die Hälfte aller Verkäufe.

Es ist 20 Uhr, das letzte Los erscheint auf dem Projektor. Schwarz hat heute zeitgenössische Kunst für über sieben Millionen Euro verkauft.

Rafael Schwarz verliert keine Zeit, er ruft bereits das nächste Kunstwerk auf, mal auf Englisch, mal auf Deutsch, den Saal in seiner ganzen Breite stets in Beobachtung. Vor Auktionen sieht sich Schwarz, der Kommunikationswissenschaft und Judaistik studierte, alle Objekte an und trifft potenzielle Käufer in der Schaustellung. Oft kriegt man die Gebote als Beobachter gar nicht mit: „Manche im Publikum zwinkern mir einfach nur zu oder nicken mit dem Kopf“, sagt Schwarz. Oft wiederholt er den Preis auch, wartet, ob jemand mehr bietet. Auf die Frage, was einen guten Auktionator ausmacht, antwortet er: „Man muss sich trauen, charmant zu sein, und auf die Kunden zugehen. Manche sind eher zurückhaltend, ich spüre, wenn jemand zögerlich ist. Da muss die Kommunikation passen, der Kunde darf sich von mir nicht unter Druck gesetzt fühlen.“

Der Reiz, mitzubieten
Paolo Scheggi. Zone riflessi des italienischen Künstlers (1940–1971) erzielte einen Rekordpreis von  € 573.300,-.
Paolo Scheggi. Zone riflessi des italienischen Künstlers (1940–1971) erzielte einen Rekordpreis von
€ 573.300,-.

Das Publikum ist im Durchschnitt eher jünger als bei Alten Meistern oder bei klassischer Moderne. Auch die Verkäufer selbst nehmen manchmal im Saal Platz, wenn sie sehen wollen, welchen Preis der Auktionator für ihre Kunstwerke erzielen kann. Inkognito besuchte gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch Kaiser Joseph II. das Dorotheum. Als einfacher Bürger verkleidet soll er sich unter das Pub­likum gemischt haben. Er verlegte die Institution 1787 in das aufgelöste Augustiner-Chorherren-Stift mit der Kirche zur Heiligen Dorothea. Sie gab dem Dorotheum seinen Namen.

Einige sitzen einfach nur als Zuschauer im Saal. Auch Gerhard und seine Tochter Tilia. Sie waren schon einmal bei einer Auktion im Dorotheum, Gerhard hatte sogar ein Bietertäfelchen: „Mit der Nummer in der Hand war es deutlich spannender. Der Nervenkitzel, weil man das Schild ja hochheben könnte und plötzlich bleibt das Gebot bei einem hängen“, erzählt er. Ersteigert hat er auch heute nichts. Wenn er genug Geld hätte, würde er sich eine Arbeit des deutschen Malers Günter Förg ersteigern.

Mit dem Rekordpreis, für den der Scheggi verkauft wurde, beginnen andere Werke erst. 500.000 Euro ist der Rufpreis einer Arbeit von Lucio Fontana. Gleich geht es auf 600.000 hoch, dann in Schritten zu 50.000 Euro. Eine Frau im Publikum hat das Telefon ständig am Ohr, in der anderen Hand das Täfelchen mit der Bieternummer 131, auf dem Schoß den Katalog. Sie telefoniert mit einem Kunden, der das Bild kaufen will. Nervös späht sie zu einem ihrer Konkurrenten, zu Alessandro Rizzi (Bieternummer 126), der bei den Telefonen steht. Er ist Repräsentant der Dorotheum-Niederlassung in Mailand. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen 131 und 126, Rafael treibt den Preis auf 920.000 Euro hoch. Rizzi gibt das letzte Gebot, Rafael lacht und reibt sich die Hände. „Are you sure, not 930?“, fragt er die Dame im Publikum. Sie überlegt, bedeutet ihm mit den Händen, dass sie aussteigt, und beendet das Telefonat. Das 100 mal 81 cm große Concetto spaziale wechselt für insgesamt 1,08 Millionen Euro den Besitzer. Ein Weltrekordpreis für ein Bild aus der „barocken Phase“ des Künstlers. Bei Fontana gibt es einen ungeheuren Nachholbedarf bei Sammlern und Museen, sagte Martin Böhm, Geschäftsführer des Dorotheum, in einem Interview mit der Zeit 2012. Es wird nicht der letzte Fontana sein, der an diesem Abend im Dorotheum ausgerufen wird.

Gerahmte Vierbeiner

Dass selbst eine Auktion nicht von Katzen-Content verschont bleibt, also von vor allem auf Facebook verbreiteten Katzenbildern, beweisen die 25 Cats name(d) Sam and one Blue Pussy (ca. 1954) von Andy Warhol. 25 kleinere Katzenlithografien, die von Warhol und seinen Freunden mit Aquarellfarben koloriert wurden. Die gerahmten Vierbeiner haben familiären Hintergrund: Julia Warhola, Warhols Mutter, nannte alle ihre Katzen Sam, nur eine einzige taufte sie auf den Namen Hester. Warhol nahm als Vorlage jedoch nicht die eigenen Katzen, sondern Fotografien aus der New Yorker Public Library. Er verschenkte einen Großteil der Arbeiten an Freunde und Kunden. Für 95.205 Euro finden sie heute einen neuen Besitzer – oder Besitzerin? Eine Frau im weißen Blazer – sie ist ein Sensal – hat die Katzen ersteigert, doch nicht für sich selbst, sondern für einen anonymen Bieter.

Werke Warhols finden jedoch nicht immer einen Käufer. Für Marilyn, einen Siebdruck in grün, gelb, rot und violett des Sexsymbols aus den 1950er-Jahren, interessiert sich niemand im Saal oder an den Telefonen. Es handelt sich um Dutzendware, der Druck ist Nummer 115 von 250. Enorm ist der Unterschied zu Einzelstücken: Ein Unikat der Pop-Art-Ikone erreichte bei einer Christie’s-Auktion in New York unlängst 62,88 Millionen Dollar (46,13 Millionen Euro). Auf dem Auktionsmarkt tummeln sich aber auch Plagiate. Bei einer Versteigerung im Wiener Auktionshaus im Kinsky musste eine Marilyn zurückgezogen werden, so der offizielle Wortlaut. Obwohl der Siebdruck eine Signatur hatte, gab es berechtigte Zweifel an deren Echtheit. Offensichtlich handelte es sich um eine Fälschung, die leider erst nach Drucklegung des Katalogs festgestellt wurde.

Rafael Schwarz hat es bald geschafft, es ist 20 Uhr, das letzte Los erscheint auf dem Projektor. Er hat heute zeitgenössische Kunst für über sieben Millionen Euro verkauft, das Ergebnis der Auktion hat ihn umgehauen: „Es lag weit über unseren Erwartungen. Wir haben 73 Prozent von allen angebotenen Objekten verkauft.“ Morgen muss er wieder den Überblick bewahren über Menschen und Täfelchen. ◗

© Dorotheum
© www.robertogobbophoto.it

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